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NAHOST/1180: US-Expertengruppe rät von Angriff auf den Iran ab (SB)


US-Expertengruppe rät von Angriff auf den Iran ab

Militärische Lösung des "Atomstreits" könnte verheerende Folgen haben



Israels Premierminister Benjamin Netanjahu macht dermaßen Druck auf Barack Obama, im sogenannten "Atomstreit" mit dem Iran einen noch härteren Kurs einzuschlagen, daß er sich inzwischen im eigenen Land mit dem Vorwurf der unzulässigen Einmischung in die amerikanische Innenpolitik konfrontiert sieht. Netanjahu weist den Vorwurf, er benutze die heiße Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfes, um Obama zu erpressen, weit von sich. Dennoch beharrt er auf seinem Standpunkt, daß schleunigst militärische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Gefahr, daß der Iran in den Besitz der Atombombe gelangen könnte, zu bannen. Bisher weigert sich das Weiße Haus, auf den Kriegskurs von Netanjahu und dessen Verteidigungsminister Ehud Barak einzuschwenken.

Washington hält mit dem Argument, es gebe keine Hinweise für die Existenz geheimer militärischer Forschungen hinter dem iranischen Kernenergieprogramm, dem Druck Tel Avis bislang stand. Doch es gibt noch einen Grund, warum besonnene Köpfe beim Geheimdienst und Militär der USA einen Bomben- und Raketenangriff auf die iranischen Atomanlagen für eine schlechte Idee halten. Ein solcher Angriff würde das iranische Atomprogramm vermutlich nur vorübergehend zurückwerfen und die Regierung in Teheran aller Wahrscheinlichkeit nach dazu verleiten, aus dem Nichtverbreitungabkommen auszusteigen, um dann doch noch eigene nukleare Abschreckungsmittel zu entwickeln und zu bauen. Unterstützung für diese Einschätzung liefert nun eine hochkarätige Expertengruppe, die am 13. September ihre Analyse der Lage der Öffentlichkeit präsentierte.

Zu den Unterzeichnern des Berichtes gehören unter anderem der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Brent Scowcroft, der ehemalige Senator Chuck Hagel, der ehemalige Botschafter Thomas Pickering, der zuletzt informell geheime Sondierungsgespräche mit Vertretern Teherans geführt haben soll, und die beiden früheren CENTCOM-Chefs, General a. D. Anthony Zinni und Admiral a. D. William Fallon. Fallon hat bekanntlich 2007 die Spannungen zwischen Washington und Teheran etwas abbauen und das damalige Säbelrasseln von Präsident George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney relativieren können, als er erklärte, während seiner "Wache" am Persischen Golf würde es keinen Krieg zwischen den USA und dem Iran geben.

Im Bericht der aus Demokraten und Republikanern bestehenden überparteilichen Expertengruppe heißt es, ein israelischer Luftangriff würde das iranische Atomprogramm nur um zwei, ein amerikanischer nur um vier Jahre zurückwerfen. Wolle man die Gefahr einer iranischen Atombombe militärisch dauerhaft beseitigen, müßte man in das Land einmarschieren und einen "Regimewechsel" erzwingen. "Die Besatzung des Irans würde mehr Personal und Ressourcen erfordern als das, was die USA im Irak und in Afghanistan zusammen in den letzten zehn Jahren aufgewandt haben", so die Autoren, die deshalb für eine diplomatische Lösung eintreten. Sie geben zudem zu bedenken, daß ein westlicher Überfall auf den Iran in einen regelrechten Regionalkrieg ausarten und den ganzen Nahen Osten in Brand setzen könnte.

Unter Verweis auf die aktuellen Geschehnisse in der islamischen Welt mahnte Generalleutnant a. D. Gregory Newbold, der einst Operationschef im Büro der Vereinigten Stabschefs war und zu den Mitunterzeichnern des Berichtes gehört, im Interview mit der Nachrichtenagentur Associated Press zur Vorsicht im "Atomstreit": "Planer und Kommentatoren sollten bedenken, daß die Krawalle und Unruhen infolge der Veröffentlichung eines obskuren Films [zur Verunglimpfung des Islamgründers Mohammed - Anm. d. SB-Redaktion] im Internet wahrscheinlich nur ein Bruchteil dessen darstellen, was nach einem Angriff - sei es durch Israel oder die USA - auf den Iran passieren könnte".

15. September 2012