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NAHOST/1252: Syrienkonflikt wird zum islamischen Konfessionskrieg (SB)


Syrienkonflikt wird zum islamischen Konfessionskrieg

Sunnitischer Prediger ruft zum Kampf gegen Iran und Hisb Allah auf



In Syrien ist trotz aller Bemühungen der USA und Rußlands um eine Friedenskonferenz in den nächsten Wochen in Genf kein Ende des Krieges in Sicht. Um die strategisch enorm wichtige Stadt Al Qusair unweit der Grenze zum Nordlibanon liefern sich seit zwei Wochen die vom Westen, der Türkei und den arabischen Golfstaaten unterstützten Aufständischen mit der syrischen Armee und Freiwilligen der libanesischen Hisb-Allah-Miliz heftige Kämpfe. Im Irak heizt der Konflikt im Nachbarland die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten an. Der Mai 2013 war im Zweistromland mit 1077 Toten und 2258 Verletzten (Quelle: antiwar.com) infolge von Bombenanschlägen und Überfällen der blutigste Monat seit 2008. Im Libanon springen die ständigen Scharmützel zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen in der nördlichen Hafenstadt Tripoli auf andere Landesteile über. Immer mehr gerät der politisch-wirtschaftliche Stellvertreterkrieg in Syrien mit der Regierung in Damaskus, der Hisb Allah und dem Iran auf der einen Seite und den USA, Saudi-Arabien, Frankreich, Großbritannien, der Türkei, Israel, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und Saudi-Arabien auf der anderen zum großen sunnitisch-schiitischen Glaubenskonflikt, der den ganzen Nahen Osten in den Abgrund zu reißen droht.

Überdeutlich wurde diese unheilvolle Entwicklung, als der berühmte Islamgelehrte Yusuf Al-Qaradawi beim Freitagsgebet am 31. Mai alle männlichen Sunniten wehrfähigen Alters der ganzen Welt dazu aufrief, nach Syrien zu reisen, um das "Regime" Baschar Al Assads zu stürzen und dessen Verbündete Iran und Hisb Allah zu besiegen. Der heute 86jährige Al-Qaradawi, der ursprünglich aus Ägypten stammt, lebt seit Jahrzehnten in Katar. Dort hat er die Universität von Doha mitaufgebaut, viele theologische Schriften verfaßt und sich als Fernsehprediger über den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera ein millionenfaches Publikum verschafft. Al-Qaradawi zählt zu den prominentesten ideologischen Vertretern des Wahhabismus, als dessen bewaffneter Arm sich die Männer des Al-Kaida-"Netzwerkes" um Aiman Al Zawahiri und den 2011 von den USA extralegal hingerichteten Osama Bin Laden verstehen. Im Syrienkrieg ist Al Kaida vor allem unter der Fahne der Al-Nusra-Front an zahlreichen Fronten präsent.

Wegen der geistigen Nähe zum islamistischen "Terrorismus" hat Al-Qaradawi seit 1999 in den USA, seit 2008 in Großbritannien und seit 2012 in Frankreich Einreiseverbot. Al-Qaradawi steht als Hauptanteilseigner der in der Schweiz registrierten Bank Al-Taqwa vor, die lange Zeit wegen des Verdachts der "Terrorfinanzierung" auf der entsprechenden, vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufgestellten Liste geführt und erst 2010 wieder gelöscht wurde. Al-Qaradawi gilt als wichtiger Fürsprecher des sogenannten "Arabischen Frühlings" und hat sich Anfang 2011 recht früh auf der Seite der Demonstranten und gegen die Diktaturen in Tunesien, Ägypten und Libyen positioniert. Die Proteste der schiitischen Mehrheit gegen das sunnitische Herrscherhaus in Bahrain hat er dagegen nicht unterstützt. Für Aufsehen sogar im Westen sorgte Al-Qaradi, als er im Februar 2011 eine Fatwa aussprach, mit der er im voraus jeden Libyer, der Muammar Gaddhafi ermorden sollte, von jeglicher Schuld freisprach. Ein halbes Jahr später sind libysche Rebellen der Anweisung Al-Qaradawis gefolgt und haben den von ihnen gefangengenommenen Gaddhafi vor laufenden Mobiltelefonkameras zu Tode gefoltert.

Unter Verweis auf Massaker, welche die Truppen Assads im Mai im sunnitischen Dorf Bayda in der mehrheitlich von Alewiten bewohnten syrischen Mittelprovinz Latakia begangen haben sollen, erklärte Al-Qaradawi vor drei Tagen vor seinen Anhängern in Doha: "Ich rufe die Moslems überall dazu auf, ihren Brüdern zum Sieg zu verhelfen. Wäre ich dazu in der Lage, würde ich selbst hingehen und an ihrer Seite kämpfen. ... Jeder, der die Fähigkeit und die Ausbildung zum Töten hat ... muß sich zur Verfügung stellen. Wir können nicht zuschauen, während unsere Brüder getötet werden." Er bezeichnete die Alewiten, die als Nebensekte des Schiitentums gelten, als "noch ungläubiger als Christen und Juden" und die Hisb Allah, dessen Namen "Partei Gottes" bedeutet, als "Partei Satans".

Al-Qaradawi erklärte zudem, Sunniten und Schiiten hätten nichts miteinander gemein, und warf dem schiitisch-geprägten Iran vor, die Menschen der anderen Konfession "verschlingen" zu wollen: "Der Iran schickt Waffen und Männer, also warum sollten wir tatenlos herumstehen? ... Jetzt wissen wir, was die Iraner wollen... Sie wollen weitere Massaker verüben, um Sunniten zu töten." "Wie können 100 Millionen Schiiten 1,7 Milliarden [Sunniten] besiegen? Nur weil die Muslime (gemeint sind ausschließlich die Sunniten - Anm. d. SB-Red.) schwach sind", so der im Exil lebende Chefideologe der ägyptischen Moslembruderschaft. Al-Qaradawi räumte es als persönlichen Fehler ein, die Hisb Allah und dessen Generalsekretär Hassan Nasrallah früher - 2006 im Libanonkrieg gegen Israel - in Schutz genommen zu haben. Gleichwohl behauptete er, sein Aufruf an die Sunniten, sich am Kampf gegen die Hisb Allah und die Truppen Baschar Al Assads zu beteiligen, sei "nicht gegen alle Schiiten" gerichtet.

Die Schiiten, Alewiten, Christen und Säkularisten, die seit zwei Jahren die Brutalität und Engstirnigkeit der sunnitischen Dschihadisten am eigenen Leib haben erfahren müssen, dürften da anderer Meinung sein. Als Nasrallah Ende April die Entsendung von Hisb-Allah-Kämpfern nach Syrien erstmals offiziell zugab, begründete er dies mit der Notwendigkeit, schiitisch-libanesische Dörfer an der Grenze sowie die Sayyidah-Zainab-Moschee bei Damaskus zu schützen. Das historische Bauwerk gilt als letzte Ruhestätte von Zainab, der Enkelin Mohammeds und Tochter von Ali, den die Schiiten bis heute als den von den Sunniten verratenen rechtmäßigen Nachfolger des Propheten verehren. Nach dem Aufkommen des Wahhabismus Ende des 18. Jahrhunderts und der Entstehung der Allianz des Gründers Muhammad Ibn Abd Al-Wahhab mit der saudischen Königsfamilie haben die Wahhabiten 1802 die irakische Stadt Kerbala, einschließlich der Grabstätte von Hussein, neben seinem Vater Ali der zweite große Heilige des Schiitentums, verwüstet.

Die Wahhabiten sind seit mehr als 200 Jahren dafür bekannt, daß sie alle Heiligtümer, die in ihren Augen zum Götzendienst einladen, zerstören. Diese Grundeinstellung haben sie 2012 nach der Eroberung Timbuktus durch das Abtragen mehrere Mausoleen und das Abfackeln der dortigen Bibliothek samt zahlreicher jahrhundertealter islamischer Schriften erneut demonstriert. Die Schiiten befürchten den Abriß der Sayyidah-Zainab-Moschee, sollte die salafistisch-dominierte Rebellenbewegung in Syrien an die Macht gelangen. Mitunter aus diesem Grund unternehmen der Iran und Hisb Allah derzeit alles, um das Baath-"Regime" von Präsident Assad am Leben zu erhalten.

3. Juni 2013