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NAHOST/1299: USA und Saudi-Arabien wollen Syriens Rebellen helfen (SB)


USA und Saudi-Arabien wollen Syriens Rebellen helfen

Präsident Obama und König Abdullah vereinbaren einen neuen Aktionsplan


Nach dem Staatsbesuch von US-Präsident Barack Obama in Saudi-Arabien und seiner mehrstündigen Unterredung mit König Abdullah am 28. März scheinen sich die diplomatischen Spannungen zwischen Washington und Riad gelegt zu haben. Die Saudis waren verärgert, weil sich Obama im September vergangenen Jahres gegen die Durchführung von angedrohten Raketenangriffen der USA auf die syrischen Streitkräfte entschied und sich statt dessen auf das vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vermittelte Angebot der Regierung in Damaskus zur Beseitigung des kompletten syrischen Chemiewaffenarsenals einließ. Als es dann wenige Wochen später zum Durchbruch in den Verhandlungen über eine Lösung des "Atomstreits" des Westens mit dem Iran kam, fühlten sich die Saudis noch mehr von ihrer inoffiziellen Schutzmacht USA entfremdet. Hinzu kam eine unterschiedliche Bewertung des Militärputsches im Juni 2013 in Ägypten. Während die USA den gewaltsamen Sturz des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi verurteilten, haben die Saudis die Entmachtung der Moslembruderschaft am Nil begrüßt und der neuen Militärregierung in Kairo mit einer Soforthilfe in Milliardenhöhe unter die Arme gegriffen.

Die Verärgerung Riads über den ausbleibenden Raketenangriff der Amerikaner hatte einen einfachen Grund. Viele Hinweise deuten darauf hin, daß der Giftgasangriff, der Mitte August in Al Ghouta, einem Stadtteil von Damaskus, Hunderte Menschen das Leben kostete und weltweit für Empörung sorgte, nicht von den Streitkräften Baschar Al Assads, sondern von Teilen der syrischen Rebellen durchgeführt wurde. Mittels einer spektakulären Falsche-Flagge-Operation wollten die islamistischen Assad-Gegner, gesteuert vom saudischen Geheimdienstschef Prinz Bandar bin Sultan, offenbar die USA in den Krieg hineinziehen, ihn auf diese Weise für sich entscheiden und für den langersehnten "Regimewechsel" in Damaskus sorgen. Wohl wissend, daß sich eine Militärintervention in Syrien für die USA weitaus komplizierter gestalten würde als zwei Jahre zuvor in Libyen, haben sich besonnene Kräfte in der Obama-Regierung, allen voran der Präsident selbst und Generalstabschef Martin Dempsey, der Sogkraft der Ereignisse entziehen können.

Seitdem hat sich einiges, sowohl auf dem Schlachtfeld in Syrien als auch im internationalen Umfeld, verändert. Unterstützt durch die libanesisch-schiitische Hisb-Allah-Miliz haben die syrischen Streitkräfte wichtige Geländegewinne erzielen können und vor allem die Schmuggelroute für Kämpfer und Waffen aus dem Ausland über den Nordlibanon weitestgehend lahmgelegt. Ihrerseits haben sich die sunnitischen Dschihadisten in Syrien diskreditiert. Seit Monaten liefern sich "extremistische" Gruppen wie Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) und die Al-Nusra-Front schwere Kämpfe miteinander, mit der säkularen Freien Syrischen Armee (FSA) und im Nordosten Syriens mit kurdischen Milizen. Dies hat unter anderem dazu geführt, daß Aiman Al Zawahiri dem ISIL die Zugehörigkeit zum Al-Kaida-"Netzwerk" aufgekündigt hat und sie dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, daß das Königreich Saudi-Arabien die Teilnahme seiner Untertanen an Bürgerkriegen im Ausland unter Strafe stellte und Prinz Bandar, der wichtigste Fürsprecher der Gotteskrieger, nicht mehr für die Syrien-Politik Riads zuständig ist. Diese Verantwortung obliegt seit mehreren Monaten Kronprinz Salman bin Sultan, dem Vizeverteidigungsminister Saudi-Arabiens.

Vor Obamas Staatsbesuch in Saudi-Arabien loteten Verteidigungsminister Chuck Hagel und CIA-Chef John Brennan mit Prinz Salman sowie US-Außenminister John Kerry mit seinem Amtskollegen Prinz Saud Al-Faisal in Washington beziehungsweise in Riad die Möglichkeiten für eine neue gemeinsame Linie in der Syrien-Frage aus. Am selben Tag, als sich Obama in Riad mit König Abdullah traf, machte David Ignatius, der seit Jahren als inoffizielles Sprachrohr von CIA und Pentagon agiert, in der Online-Ausgabe der Washington Post die Umrisse des neuen amerikanisch-saudischen Kriegskurses publik.

Die wichtigsten Punkte des neuen Plans lauten wie folgt: die Anzahl der Kämpfer, die in Trainingslagern in Jordanien, Saudi-Arabien und Katar für den Kriegsdienst in Syrien ausgebildet werden, soll von 300 auf 600 pro Monat verdoppelt werden; die CIA soll weiterhin das Ausbildungsprogramm leiten, während über eine Teilnahme der US-Spezialstreitkräfte nachgedacht wird; alle potentiellen Rekruten sollen genauestens überprüft werden, damit keine religiösen Fanatiker in den Genuß der Militärausbildung kommen; vom Programm sind alle Personen ausgeschlossen, die mit der Al-Nusra-Front, dem ISIL und dem Ahrar Al Sham in Verbindung stehen oder für diese gekämpft haben; Katar, dem Saudi-Arabien seit Monaten eine zu große Nähe zu den genannten Gruppen vorwirft, soll sich bereit erklärt haben, diese nicht mehr zu unterstützen und statt dessen mit mehreren hundert Millionen Dollar das amerikanisch-saudische Projekt mitzufinanzieren; die wiedererstarkte Oppositionsarmee soll nicht nur Assads Truppen, sondern auch die Radikalislamisten bekämpfen; in den Teilen Syriens, wo die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist, soll eine neue Polizei aufgebaut werden; die pro-westlichen Rebellen sollen unter ganz strengen Auflagen, damit keine zivilen Passagiermaschinen abgeschossen werden, endlich die von ihnen geforderten Boden-Luft-Raketen erhalten.

Ob diese Maßnahmen ausreichen werden, um eine entscheidende Wende im syrischen Bürgerkrieg zugunsten der Aufständischen herbeizuführen, muß sich noch zeigen. Das Verbot der Teilnahme saudischer Freiwilliger am Konflikt und die im Maßnahmenkatalog enthaltene Absicht, die schwächelnden staatlichen Strukturen in den "befreiten" Teilen Syriens zu retten, sind sichtbare Anzeichen für die späte Einsicht in Riad und Washington, daß es für sie im Syrienkonflikt eventuell ein schlimmeres Szenario als ein Überleben des Assad-"Regimes" geben könnte - nämlich eine Machtübernahme durch die Dschihadisten bzw. die endgültige Verwandlung Syriens in einen rechtlosen Flickenteppich konkurrierender Milizentümer.

Interessanterweise lud Saudi-Arabien Anfang März den neuen iranischen Präsidenten Hassan Rohani zu einem Staatsbesuch ein. Teheran hat die Einladung inzwischen angenommen. Ein Treffen Rohanis mit König Abdullah könnte viel zur Entschärfung der sunnitisch-schiitischen Konfrontation in der Region zwischen Mittelmeer und Persischen Golf und somit zum gesellschaftlichen Frieden nicht nur in Syrien, sondern im Libanon, in Bahrain, im Irak und im Jemen beitragen. Wie der Zufall so will, rief Präsident Putin Obama kurz nach seinem Gespräch mit König Abdullah, als er wieder in seinem Hotel, dem Ritz-Carlton in Riad, war, aus dem Kreml an. Allgemein wird als Anlaß für den Anruf der Wunsch Putins angenommen, die Krim-Krise zu entschärfen und den diplomatischen Streit zwischen Washington und Moskau über die Zukunft der Ukraine beizulegen. Es würde jedoch nicht überraschen, wenn Obama und Putin bei der Gelegenheit auch über Syrien gesprochen haben. Die USA und Rußland sorgen derzeit in einer gefährlichen Operation gemeinsam für die Beseitigung der syrischen Chemiewaffen. Eine Antwort auf die Frage, ob der Syrien-Krieg beigelegt werden kann oder, wie von einigen Experten befürchtet, noch weitere Jahre anhalten wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sich die Rivalen des alten und neuen Kalten Krieges doch noch zu einer Verständigung durchringen können oder nicht.

1. April 2014


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