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NAHOST/1330: Gazakrieg entlarvt Nahost-Friedensprozeß als Farce (SB)


Gazakrieg entlarvt Nahost-Friedensprozeß als Farce

Ehepaar-Leverett legt die Absichten Israels und der USA bloß



Seit zwei Wochen läuft Israels Militäroperation Protective Edge gegen den Gazastreifen. Sie hat inzwischen 609 Palästinensern, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, 27 israelischen Soldaten und einem israelischen Zivilisten das Leben gekostet. Der internationale Druck auf die israelische Administration Benjamin Netanjahus und die in Gaza regierende Hamas, das Blutvergießen zu beenden, steigt. Zwecks Herbeiführung einer Waffenruhe sprach US-Außenminister John Kerry heute in Kairo mit seinem ägyptischen Amtskollegen Sameh Schukri. Bereits gestern traf UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon mit dem ägyptischen Präsidenten, General a. D. Abdel Fattah Al Sisi, und dem Generalsekretär der Arabischen Liga, dem ehemaligen Außenminister Ägyptens Nabil Elaraby, am Nil zusammen. In den Medien und seitens der Diplomatie ist von der absoluten Notwendigkeit der Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses zwecks Verwirklichung der sogenannten Zweistaatenlösung die Rede. Dafür ist es inzwischen zu spät.

Die rechtsgerichtete Regierung Netanjahus hat durch den forcierten Siedlungsbau die jüngste Verhandlungsinitiative der USA torpediert. Als daraufhin Anfang Juni der palästinensische Präsident Mahmud Abbas eine Einheitsregierung zwischen seiner Fatah im Westjordanland und der Hamas in Gaza bilden ließ, hat Israel eine Großoffensive gestartet. Unter dem Vorwand der Suche nach drei vermißten Torah-Schülern hat man Hunderte Hamas-Mitglieder auf der Westbank festgenommen, Tausende Häuser durchsucht und auf den Kopf gestellt. Mit der Inhaftierungswelle hat Israel zahlreiche Personen wieder hinter Gitter gebracht, die 2011 im Austausch gegen den entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit freigelassen worden waren. Aus Sicht der Hamas hatte Israel damit gegen gültige Abmachungen verstoßen.

Statt sich mit der neuen palästinensischen Regierung zu arrangieren, deren Bildung von der Hamas sowohl die faktische Anerkennung Israels als auch informell ein Bekenntnis zum Friedensprozeß abverlangt hatte, setzte Israel auf Konfrontation. Als Mitte Juni die Leichen der drei verschleppten Jugendlichen aus einer jüdischen Siedlung bei Hebron gefunden wurden, war für Tel Aviv die Zeit für Vergeltung gekommen. In den letzten Jahren haben sich die politischen Verhältnisse in Israel dermaßen nach rechts verschoben, daß Netanjahu, der Totengräber des Friedensprozesses, fast wie ein Gemäßigter wirkt. Sein Außenminister Avigdor Lieberman fordert die militärische Rückeroberung des Gazastreifens, während Wirtschaftsminister Naftali Bennett von der Siedlerbewegung für die formelle Annektierung des Westjordanlands eintritt. Vor diesem Hintergrund hat Netanjahu am 11. Juli, dem dritten Tag von Operation Protective Edge, auf einer Pressekonferenz in Jerusalem erklärt, Israel würde seine Streitkräfte niemals aus dem Jordantal abziehen, was im Grunde genommen das Aus für einen Staat Palästina, der diesen Namen verdiente, bedeutet.

Angesichts der schrecklichen Vorgänge, die sich derzeit im Gasastreifen abspielen, betreiben diejenigen, die derzeit eine Wiederbelebung des Friedensprozesses und der Zweistaatenlösung in Aussicht stellen, in erster Linie Beschwichtigung. Allmählich kommt man nicht um die Erkenntnis herum, daß der Nahost-Friedensprozeß von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen ist, weil er von den wichtigsten Akteuren, den USA und Israel, niemals aufrichtig gemeint war. Eine Bestätigung für diese deprimierende Sicht lieferten am 18. Juli in einem aufschlußreichen Gastbeitrag für die Website des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Flynt Leverett and Hillary Mann Leverett.

Die Leveretts gehörten früher zur außenpolitischen Elite in Washington. Er kommt aus der CIA, sie aus dem Außenministerium. Während der Präsidentschaft von George W. Bush arbeiteten beide im Weißen Haus beim Nationalen Sicherheitsrat, wo sie für die Nahost-Politik zuständig waren. Durch den Eintritt für ein Ende der Dauerkonfrontation der USA mit dem Iran haben sie sich jedoch ins Abseits manövriert und wurden von den Neokonservativen am Hofe Bushs und Dick Cheneys kaltgestellt. Unter der Überschrift "Gaza's Crisis, Israeli Ambition, and US Decline" gehen die Leveretts mit der militaristischen Ausrichtung der Nahost-Politik der beiden Verbündeten USA und Israel scharf ins Gericht. Ihre Erläuterung der wahren Absichten Tel Avivs und Washingtons in der Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf läßt an Deutlichkeit wenig vermissen. Besonders die Stelle, wo es um die Art des amerikanisch-israelischen Umgangs mit den Palästinensern geht, lohnt, zitiert zu werden:

Die instrumentale Natur der "Sonderbeziehung" hat auch das, was von Außen als Washingtons chronisch ineffektive Verwaltung des sogenannten Nahost-Friedensprozesses - insbesondere durch das Streben nach einer Zweistaatenlösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt - erscheint, geformt. Ungeachtet aller rhetorischen Bekundungen haben weder Israel noch die USA jemals eine Zweistaatenlösung gewollt.
Israels nationale Sicherheitsstrategie beruht seit langem auf der Militärdoktrin - welche die israelischen Vertreter irreführend als Abschreckung bezeichnen -, derzufolge Israels Militär imstande sein muß, Gewalt zuerst, unverhältnismäßig sowie wo und wann immer in seiner Nachbarschaft einzusetzen, ganz wie es Israels Politiker verlangen. Eine Zweistaatenlösung ernsthaft zu verfolgen würde letztlich diese Freiheit der einseitigen militärischen Initiative beschneiden.
Überdies würde ein Zweistaatenergebnis für ein zionistisches Projekt mit von Natur aus religiösen Wurzeln die Preisgabe zuviel des biblischen Heimatlands der Juden bedeuten, um die jüdische Einwanderung, auf der Israels langfristige Zukunft beruht, noch aufrechterhalten zu können.
Gleichermaßen war es niemals von den USA geplant, daß der Friedensprozeß den Palästinensern zu einer echten Selbstbestimmung verhelfen sollte - denn das würde Israel bei der Ausübung seiner militärischen Vormachtstellung einschränken, was wiederum das Streben Amerikas nach Vorherrschaft über den Mittleren Osten abschwächen würde. Statt dessen wurde der Prozeß so gehandhabt, um Israel zu stärken, die Palästinenser und die anderen Araber einer zunehmend militarisierten Einflußsphäre der USA unterzuordnen und um die Zustimmung der arabischen Staaten zu einem solchen Szenario zu erzielen.

Das Resultat jener Politik Tel Avivs und Washingtons, die Netanjahu bekanntlich seit zwei Jahrzehnten aktiv mitgestaltet, läßt sich anhand des aktuellen Grauens in Gaza, des dreijährigen Bürgerkrieges in Syrien, des Chaos im Irak einschließlich des Vormarsches sunnitischer Fundamentalisten, die in der Mitte des Zweistromlandes und des Ostens Syriens das Kalifat Islamischer Staat ausgerufen haben und Jagd auf Schitten, Christen und Angehörige kleiner religiöser Gruppen machen, beobachten. Millionen einfacher Araber sind hier die Hauptleidtragenden, während sich die Beteiligten der Rüstungs- und Sicherheitsindustrien in den USA und Israel über dicke Auftragsbücher erfreuen. So hat das Senate Appropriations Defense Subcommittee in Washington angesichts des Raketenbeschusses aus Gaza am 15. Juli allein für das israelische Raketenabwehrsystem weitere 621,6 Million Dollar bewilligt. Einen Tag zuvor meldete die Nachrichtenagentur Agence France Presse die Bestellung von amerikanischen Patriot-Raketen und Apache-Hubschaubern im Wert von elf Milliarden Dollar durch Katar - der vermeintlichen iranischen Bedrohung wegen. Das Emirat, es ist nur 11.571 Quadratkilometer groß und hat nur 2,5 Millionen Einwohner, beherbergt am Militärflughafen Al Udeid den größten und wichtigsten Stützpunkt der US-Luftwaffe am Persischen Golf.

22. Juli 2014