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NAHOST/1380: Unterstützt Kanada den Terrorismus in Syrien? (SB)


Unterstützt Kanada den Terrorismus in Syrien?

Kanadischer Spitzel liefert britische Mädchen dem IS-Kalifat aus


Seit drei mutmaßliche militante Islamisten im Januar bei Überfällen auf die Pariser Redaktionsräume des Comics Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt 16 Menschen getötet und 23 verletzt haben und ein "radikalisierter" dänischer Jugendlicher palästinensischer Abstammung im Februar in Kopenhagen mit Schüssen auf ein Kulturkaffee und eine Synagoge zwei Menschen ums Leben gebracht hat, ist im öffentlichen Diskurs Europas und Nordamerikas der Import von Terrorismus aus dem Nahen Osten - speziell aus den Ländern Syrien, Irak, Jemen und Libyen - ein Riesenthema. Eigentlich müßte es nicht Import, sondern Reimport heißen. 2011 hat die Militärintervention der NATO al-kaida-nahe Gruppen in Libyen dazu erst befähigt, Muammar Gaddhafi zu stürzen. Seit vier Jahren leisten der Westen, die Türkei und die arabischen Staaten am Persischen Golf dem Aufstand gegen das säkulare "Regime" des Baschar Al Assad in Syrien umfangreiche militärische und finanzielle Hilfe. Das Kalifat Islamischer Staat (IS), das inzwischen weite Teile der Levante und des Zweistromlands mit mittelalterlicher Brutalität beherrscht, ist aus jenem Trümmerhaufen hervorgegangen, den die hochgerüsteten Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Australiens im Irak durch ihren illegalen Einmarsch 2003 verursacht haben.

Unter der schwarzweißen Fahne des IS kämpfen in Syrien und im Irak schätzungsweise mehr als 20.000 ausländische Dschihadisten, die zum einen Teil aus der islamischen Welt stammen und sich zum anderen in den USA, in Kanada, den Ländern der Europäischen Union und Australien haben rekrutieren lassen. Zum Schreckenssymbol der "Radikalisierung" im Westen aufgewachsener muslimischer Jugendlicher durch den IS ist der Englisch sprechende "Jihadi John" geworden, der seit vergangenem Herbst mit spektakulären Enthauptungsvideos im Internet von sich reden macht und Ende Februar von der Washington Post als der 27jährige britische Bürger kuwaitischer Herkunft Mohammed Emzawi enttarnt wurde. Für weltweites Aufsehen hat auch der Fall der drei britischen Mädchen, der beiden 15jährigen Amira Abase und Shamima Begum sowie der 16jährigen Kadiza Sultana, gesorgt, die am 17. Februar ohne Wissen ihrer Eltern von London nach Ankara flogen und sich von dort aus über die Grenze nach Syrien schmuggeln ließen, um sich als "Dschihad-Bräute" am Kampf des IS zu beteiligen.

Bei Emzawi steht der Verdacht im Raum, daß der britische Inlandsgeheimdienst MI5 ihn durch auffällige Observierung und das Drängen, ein Informant in islamistischen Kreisen in London zu werden, dazu erst veranlaßt hat, nach Syrien zu reisen und sich der IS-Armee des selbsternannten Kalifen Abu Bakr Al Baghdadi anzuschließen. Bisher ist völlig unklar, wer die Reise von Abase, Begum und Sultana in die Türkei finanziert hat. Doch offenbar war es der kanadische Geheimdienst, der entscheidend dafür sorgte, daß die drei untergetauchten Schulfreundinnen aus der Ostlondoner Bethnal Green Academy in das von IS-Kämpfern beherrschte Gebiet in Syrien gelangten. Am 12. März meldete der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu die Festnahme eines Spions eines der an der Anti-IS-Koalition beteiligten Länder, der die drei Mädchen über die Grenze nach Syrien geschmuggelt hatte. Am selben Tag berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Verweis auf Quellen in europäischen Sicherheitskreisen, daß es sich bei dem Verhafteten um einen inoffiziellen Mitarbeiter des Canadian Security Intelligence Service (CSIS) handelt. In einer ersten Stellungnahme aus Ottawa hieß es lediglich, der Mann im türkischen Gewahrsam sei kein Bürger Kanadas und kein Angestellter des CSIS.

Der türkische Fernsehsender A-Haber strahlte am 13. März Videoaufnahmen aus, die offenbar von Überwachungskameras am Busbahnhof in der grenznahen Stadt Gaziantep gemacht worden waren und die zeigten, wie der Verdächtige die drei Mädchen samt Gepäck in sein Auto befördert und sie anschließend wegfährt - Richtung Syrien vermutlich. Am selben Tag hat die islamisch-konservative, regierungsnahe Zeitung Yeni Safak den Mann als den Syrer Mohammed Mehmet Raschid identifiziert. Aus türkischen Polizeikreisen heißt es, Raschid habe für die kanadische Botschaft in Amman gearbeitet, in der Hoffnung, die Staatsbürgerschaft Kanadas zu bekommen, um dorthin auswandern zu können. Pikant an der Geschichte ist die Tatsache, daß der Botschafter Kanadas in der jordanischen Hauptstadt, Bruno Saccomani, ein ehemaliger Beamter der legendären Royal Canadian Mounted Police (RCMP), der frühere Leibwächter von Premierminister Stephen Harper ist, der trotz fehlender diplomatischer Erfahrungen vor zwei Jahren von letzteren persönlich für die heikle Position gewählt wurde. Als Botschafter in Amman ist Saccomani nicht nur die für Interessen Kanadas in Jordanien, sondern auch in Syrien und im Irak zuständig.

Raschid soll in den letzten eineinhalb Jahren die türkisch-syrische Grenze mindestens 33 Mal - stets in Begleitung vermutlich von IS-Rekruten - überquert haben. Einem Artikel der Zeitung Ottawa Citizen vom 13. März zufolge ist Raschid auch einmal in Kanada gewesen. Die Reise unternahm er mittels eines Touristenvisums, das von der Botschaft in Amman ausgestellt worden war. Während sich die Regierung in Ottawa nicht zu dem Fall Raschid äußert, sind wohlwollende Spekulationen in der kanadischen Presse aufgetaucht, denen zufolge der enttarnte Spion Kanadas im Syrienkrieg lediglich eine beobachtende Funktion gehabt hätte. Dem widerspricht ein Artikel der türkischen Zeitung Millyet vom 15. März. Darin heißt es unter Berufung auf Angaben aus türkischen Polizeikreisen, Raschid hätte im Rahmen der laufenden Vernehmung zugegeben, regelmäßig Einzahlungen aus dem Ausland bei einer Dependence der amerikanischen Bank Western Union in Ankara abgeholt und das Bargeld zu syrischen Juwelieren in der südtürkischen Stadt Sanliurfa nahe der Grenze zu Syrien gebracht zu haben. Diese hätten wiederum dafür gesorgt, daß das Geld nach Rakka, der IS-Hochburg im Osten Syriens, wo sich Raschids Bruder aufhält, gelangte.

Die Festnahme von Raschid und die Bekanntgabe der Details seiner Tätigkeit als kanadischer Spion sowie Menschenschmuggler und Geldkurier des IS in einem läßt sich durchaus als Retourkutsche der Türken auf die wiederholten Vorwürfe der Nordamerikaner und Europäer der letzten Wochen, wonach Ankara viel zu wenig tue, um den dschihadistichen Grenzverkehr nach Syrien hinein zu unterbinden, verstehen. Dessen ungeachtet spricht die mangelnde Resonanz, auf die der himmelschreiende Skandal in der westlichen Öffentlichkeit gestoßen ist, über die Verlogenheit der USA und ihrer Verbündeten unter den Industrienationen im vermeintlichen Jahrhundertkampf gegen das Übel des "Terrorismus" absolut Bände. Die Fälle von "Jihadi John", "Raschid" und den drei Ausreißerinnen aus London lassen erneut die berechtigte Frage aufkommen, ob es einen "Terrorismus" à la IS ohne das Zutun westlicher Geheimdienste gäbe.

16. März 2015


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