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NAHOST/1388: Lausanner Eckpunkte versprechen Lösung im Atomstreit (SB)


Lausanner Eckpunkte versprechen Lösung im Atomstreit

Zugeständnisse des Irans bringen Israel in Bedrängnis


Der Eckpunkte-Katalog, den die Vertreter der P5+1 - der fünf ständigen UN-Vetomächte China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA plus Deutschland - und des Irans am 2. April nach einem mehrtägigen Verhandlungsmarathon im Fünf-Sterne-Hotel Beau Rivage in Lausanne vereinbart haben, stellt den langersehnten Durchbruch im sogenannten Atomstreit dar. Sollten, wie geplant, bis Ende Juni die Eckpunkte durch ein völkerrechtliches Abkommen formalisiert werden, bedeutete dies eine neue Ära in den bilateralen Beziehungen zwischen dem Iran und den USA, die sich seit dem Sturz des Schahs infolge der Islamischen Revolution 1979 feindlich gegenüberstehen.

Bereits zweimal, 2005 in Verhandlungen mit den EU-3 - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - und 2010 unter Vermittlung Brasiliens und der Türkei, hat der Iran versucht einen Modus vivendi mit dem Westen zu finden und dessen angebliche Sorgen um sein Atomprogamm zu zerstreuen. In beiden Fällen haben die Scharfmacher in den USA, zuerst die republikanische Regierung George W. Bushs, danach die demokratische Außenministerin Hillary Clinton, die Angebote Teherans abschlägig beschieden. Offenbar war in Washington die Erinnerung an die 444tägige Geiselnahne in der US-Botschaft in Teheran 1979-1981 bzw. der Drang nach einem Sturz des "Mullah-Regimes" immer noch zu stark. Inzwischen hat sich die regionale und weltpolitische Lage verändert. Wegen des Aufkommens der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) im Irak und Syrien ist die USA auf die Hilfe des Irans angewiesen (die inoffizielle Zusammenarbeit beider Seiten bei der jüngsten Rückeroberung der irakischen Stadt Tikrit in den letzten Wochen macht dies deutlich). Des weiteren könnte ein stärkeres Engagement Teherans als regionale Ordnungsmacht im Nahen Osten den USA eine Neugruppierung ihrer Streitkräfte ermöglichen, um sich der wachsenden Herausforderung durch Rußland und China zu widmen.

In Lausanne sind die Iraner, angeführt von Außenminister Mohammad Javad Scharif, den Amerikanern unter der Leitung vom Amtskollegen John Kerry sehr weit entgegenkommen. Die Zahl der im Iran in Betrieb befindlichen Uran-Zentrifugen wird von derzeit 19.000 auf 6104 reduziert. Für die nächsten 15 Jahre wird iranisches Uran nur noch auf 3,67 Prozent U235 angereichert, was für die Herstellung ziviler Brennstäbe, nicht aber von Atomsprengköpfen genügt. Irans vorhandene Menge an schwachangereichertem Uran wird durch die Verwandlung in zivile Brennstäbe in Rußland um 98 Prozent auf 300 Kilogramm reduziert. Angereichert wird nur noch in der Anlage Natans. Aus der unterirdischen Produktionsstätte Fordo wird ein Technologiezentrum. Der Schwerwasserreaktor Arak wird dahingehend umgerüstet, daß er nur ganz geringe Mengen Plutonium für die Verwendung als Isotopenmaterial bei der Behandlung von Krebspatienten produziert. Die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) erhält weitreichende Kontrollmöglichkeiten, um jeden Verdacht einer militärischen Nutzung von Spaltmaterial auszuschließen.

Im Iran sind die Hardliner wegen der Vereinbarung von Lausanne und des darin beschlossenen Rückbaus der Atominfrastruktur ihres Landes unglücklich. Die Mehrheit des Volks, die Regierung von Präsident Hassan Rohani und das geistliche Oberhaupt Ajatollah Ali Khamenei beurteilen das Ergebnis anders. Durch den Verzicht auf Komponenten, die keinen ernsthaften militärischen Nutzen hatten und vom gegnerischen Ausland seit Jahren benutzt wurden, um die Islamische Republik an den Pranger zu stellen, kann Teheran endlich aus der diplomatischen und wirtschaftlichen Isolation ausbrechen und seinen Platz in der "internationalen Gemeinschaft" einnehmen. Der Iran benötigt zum Beispiel dringend neue Passagiermaschinen; fast der gesamte Flugzeugbestand von Iranian Airlines stammt aus der Schah-Zeit. Angeblich sind bereits erste Vorgespräche mit Airbus und Boeing angelaufen. Auch die Infrastruktur der iranischen Öl- und Gasindustrie ist marode und bedarf dringend neuer Investionen in Milliardenhöhe. Darüber hinaus herrscht im Iran vor allem unter den Jugendlichen eine hohe Arbeitslosigkeit, die nur durch eine Belebung der Wirtschaft abgebaut werden kann.

Auch wenn alles nicht reibungslos verläuft, stehen die Chancen gut, daß die Zusicherungen, die dem Iran in Bezug auf die Aufhebung der Finanz- und Wirtschaftssanktionen gemacht wurden, umgesetzt werden. Angesichts der positiven Großwetterlage ist mit einer vergleichsweise raschen Aufhebung der von der EU und dem UN-Sicherheitsrat verhängten Maßnahmen zu rechnen. In den USA liegen die Dinge etwas anders. Barack Obama wird mittels präsidialer Macht die amerikanischen Sanktionen vorübergehend aufheben können. Doch wegen des Widerstands der Republikaner, die seit Januar in beiden Häusern des Kongresses wieder die Mehrheit stellen, könnten Gesetze, welche die früheren Sanktionen Washingtons in die Geschichtsbücher verweisen, lange auf sich warten lassen. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, der bekanntlich starken Rückhalt bei den US-Republikanern genießt, wird nicht müde, die Einigung von Lausanne zu Betrug und Bedrohung des israelischen Staates aufzubauschen. Die Hysterie Netanjahus läßt sich leicht erklären. Die Zugeständnisse des Irans stärken die Bemühungen um die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten, durch deren Realisierung Israel seinen Sonderstatus als einzige Atommacht der Region verlöre.

4. April 2015


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