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NAHOST/1439: Libyens neue Einheitsregierung auf wackligen Füßen (SB)


Libyens neue Einheitsregierung auf wackligen Füßen

Eine Beilegung der politischen Krise in Libyen läßt auf sich warten


Unter massivem Druck des Westens wurde am 19. Januar die Bildung einer neuen Einheitsregierung für Libyen verkündet. Die Tatsache, daß dies aufgrund der instabilen Sicherheitslage in Libyen in Tunis, der Hauptstadt des Nachbarlandes Tunesien, stattfand, läßt für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Statt eine in Ansätzen vorhandene, innerlibysche Lösung der Krise in dem nordafrikanischen Land zuzulassen, haben im vergangenen Dezember Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und die USA mittels der Androhung diplomatischer und finanzieller Sanktionen die rasche Bildung einer neuen Regierung erzwungen. Von jener Administration erwarten die westlichen Großmächte nun die Einladung zu einer "Sicherheitspartnerschaft" mit Libyen. Den führenden NATO-Staaten geht es hierbei vor allem um eine Eindämmung des Flüchtlingsstroms nach Europa und die Sicherung der strategisch wichtigen libyschen Ölanlagen. Das Schicksal der Libyer selbst ist ihnen zweitrangig. Man kann davon ausgehen, daß jede ausländische Intervention in Libyen, wo derzeit Hunderttausende junge Männer unter Arbeits- und Perspektivlosigkeit leiden, die Menschen in die Arme der sunnitisch-salafistischen "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) treiben wird.

In Libyen selbst ist die neue Einheitsregierung und die Art, wie sie zustande gekommen ist, hoch umstritten. Als ihre Bildung am 17. Dezember im marokkanischen Badeort Sukhairat im Beisein des UN-Sondervermittlers Martin Kobler, eines ehemaligen Mitarbeiters Joschka Fischers, beschlossen wurde, haben nur 80 von insgesamt 188 Abgeordneten des international anerkannten Repräsentantenhauses (House of Representatives - HoR) in Tobruk und nur 50 von 136 des rivalisierenden, von Islamisten dominierten Allgemeinen Nationalkongresses (General National Congress - GNC) in Tripolis ihre Unterschrift unter das entsprechende Dokument gesetzt. Nachdem am 19. Januar in Tunis der designierte Premierminister, der Geschäftsmann Fadschez Al-Sarradsch, sein künftiges, 32köpfiges Kabinett der Weltpresse präsentiert hatte, kamen die Minister in spe nicht wieder nach Libyen hinein. An der Grenze wurde ihnen von schwerbewaffneten Mitgliedern der Miliz Libysche Dämmerung, die den GNC in Tripolis unterstützt, die Einreise schlicht verweigert.

Ohne formelle Bestätigung durch das HoR und den GNC bleibt die neue Einheitsregierung eine Luftnummer. In beiden Versammlungen sieht es derzeit nicht aus, als käme schnell eine Mehrheit für die Annahme der neuen Administration um Premierminister Al-Sarradsch zustande. Besonders beim GNC in Tripolis ist das Mißtrauen gegenüber der "internationalen Gemeinschaft" groß, seit im vergangenen Herbst bekannt wurde, daß der Vorgänger Koblers, der spanische Diplomat Bernardino Leon, in Absprache mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) die "gemäßigten" Milizionäre aus Misurata gegen die Moslembruderschaft ausspielen wollte, um letztere politisch ins Abseits zu manövrieren.

Vorerst bleibt also der neunköpfige Einheitspräsidialrat, der aus dem Treffen Mitte Dezember in Marokko hervorging und in dem die wichtigsten Gruppen Libyens vertreten sein sollen, die höchste politische Instanz. Inwieweit mit dessen Hilfe die NATO und die EU ihre Ziele in Libyen werden erreichen können, muß sich noch zeigen. Eigentlich hatte man in Europa und den USA gehofft, aus der Libyschen Dämmerung und General Khalifa Hifters Armee mit Namen Operation Würde, dem militärischen Arm des HoR in Tobruk, eine schlagkräfte Nationalarmee bilden zu können, die dem Treiben des IS in Libyen ein Ende setzen würde. Der fehlende politische Rückhalt in Libyen für die neue Einheitsregierung, der eine Folge westlicher Hybris ist, läßt eine schnelle Bewältigung des Problems IS nicht erwarten. Das Gegenteil ist der Fall. Fünf Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings sind in den vergangenen Tagen in Tunesien riesige Massenproteste gegen Vetternwirtschaft und wirtschaftliche Misere ausgebrochen. In Tunesien wird die Jugendarbeitslosigkeit auf mehr als 60 Prozent geschätzt. Zu dieser erschreckenden Zahl hat der aus der libyschen Küstenstadt Sirte heraus operierende IS in letzter Zeit durch mehrere blutige Anschläge auf die wichtigsten tunesischen Touristenzentren beigetragen.

23. Januar 2016


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