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NAHOST/1489: US-Marine greift Huthi-Rebellen im Jemen direkt an (SB)


US-Marine greift Huthi-Rebellen im Jemen direkt an

Helfen die USA dem saudischen Militär im Jemen aus der Patsche?


Seit März 2015 unterstützt das US-Militär die Intervention einer von Saudi-Arabien angeführten Allianz sunnitischer Staaten im Jemen. Ohne diese Unterstützung - Waffen und Munition in riesigem Umfang, tägliche Luftbetankung, Wartung der Flugzeuge in Saudi-Arabien durch amerikanisches Personal sowie satellitengestützte Zielerfassung - wäre der einseitige Luftkrieg Riads, der 10.000 Menschen das Leben gekostet hat, die meisten von ihnen Zivilisten, nicht möglich gewesen. Darüber hinaus ist die US-Marine seit eineinhalb Jahren neben Kriegsschiffen aus Ägypten und den sunnitischen Autokratien am Persischen Golf an einer Seeblockade beteiligt, die im Jemen eine große Hungersnot ausgelöst hat. Ein Anzeichen der sich verschlimmernden humanitären Katastrophe sind die ersten Fälle von Cholera, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 9. Oktober aus der Hauptstadt Sanaa gemeldet hat.

Seit Jahren kommt es im Jemen regelmäßig zu CIA-Drohnenangriffen auf mutmaßliche Mitglieder und Stellungen von Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP). Ende April war eine Einheit von US-Spezialstreitkräften an der Einnahme der Hafenstadt Al Mukalla im Südosten des Jemens beteiligt, die sich rund ein Jahr in den Händen von AQAP befunden hatte. Da dieser Einsatz vom Pentagon als Teil des seit dem 11. September 2001 laufenden "globalen Antiterrorkriegs" Washingtons deklariert wurde, galt er nicht als direkte Beteiligung der USA am Jemen-Krieg. Diese Klassifizierung gebührt jedoch den Raketenangriffen, mit denen am 12. Oktober die US-Marine drei mobile Radaranlagen der schiitischen Huthi-Rebellen und der jemenitischen Streitkräfte, die zu weiten Teilen dem langjährigen ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh die Treue halten, zerstört haben. Ob es sich hier um eine einmalige Aktion oder den Auftakt zu einem größeren Militärengagement der USA handelt? Die Indizien sprechen für letzteres.

Für Saudi-Arabien läuft der Krieg im Jemen, der als Machtdemonstration zugunsten des neuen Königs Salman und seines ehrgeizigen Sohns und Verteidigungsministers Mohammad gedacht war, nicht gut. Das Bündnis zwischen der Ansarullah-Bewegung der Huthis und dem Saleh-Klan kontrolliert nach wie vor Sanaa und die Nordwesthälfte des Jemens, während die Saudis und ihre Verbündeten, die mit Hilfe südlicher Separatisten und gelegentlich auch der AQAP den 2014 gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wiedereinsetzen wollen, in der Südosthälfte einschließlich der strategisch enorm wichtigen Hafenstadt Aden die Oberhand haben. Bei der Stadt Taiz, die auf halber Strecke zwischen Aden und Sanaa liegt und um die seit Monaten erbittert gekämpft wird, ist die Front praktisch zum Stillstand gekommen.

Trotz wiederholter Angriffe auf die Hafenanlagen von Hodeidah halten die Huthis und die Saleh-Leute über die Stadt an der Küste des Roten Meeres den Handel mit der Außenwelt mehr schlecht als recht aufrecht. Am 1. Oktober haben die Huthi-Rebellen in der Nähe von Hodeidah per Rakete ein Kriegsschiff der Vereinigten arabischen Emirate versenkt und angeblich rund einhundert Militärangehörige der gegnerischen Seite getötet. Vermutlich als Vergeltung dafür haben saudische Kampfjets am 8. Oktober in Sanaa eine Trauerfeier für den verstorbenen Vater eines Mitglieds der Huthi-Führung angegriffen, mehr als 155 Menschen getötet und mehr als 500 verletzt. Wegen des bislang blutigsten Massakers im Jemen-Krieg hat Riad weltweit einen Sturm der Entrüstung geerntet.

Nur vor dem Hintergrund des Stillstands auf dem Schlachtfeld und der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der saudischen Streitkräfte ist das erste offizielle direkte Eingreifen des US-Militärs in den Jemen-Krieg zu verstehen. Am 12. Oktober wurden drei mobile Radaranlangen des Huthi-Saleh-Bündnisses mittels fünf Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk zerstört, die vom US-Kriegsschiff Nitze, das im Indischen Ozean stationiert ist, abgefeuert wurden. In einem Brief an den Kongreß rechtfertigte am 14. Oktober Barack Obama die Maßnahme als legitimen Akt der Selbstverteidigung unter Verweis auf zwei Raketenangriffe, die angeblich am 10 und 12. Oktober auf ein anderes Kriegsschiff, die U.S.S. Mason, die im südlichen Roten Meer nahe der Meerenge Bab Al Mandab kreuzt, erfolgt war. Tatsächlich weiß das US-Militär jedoch eigenen Angaben zufolge nicht, wer die Raketen auf die Mason abgefeuert hat, sondern lediglich, daß der Angriff von einem Gebiet aus erfolgte, das sich unter der Kontrolle der Huthis und der Saleh-Leute befindet. Die Huthis bestreiten vehement, auf die Mason geschossen zu haben. Es gibt zudem keinen Beweis, daß der Angriff überhaupt stattgefunden hat, sondern lediglich die Behauptungen der Amerikaner. Die Boden-Luft-Raketen, die angeblich der Mason gefährlich nahe kamen, sollen demnach auf Nimmerwiedersehen ins Meer gestürzt sein.

Die ganze Angelegenheit erinnert fatal an den Golf-von-Tonkin-Vorfall, mit dem am 4. August 1964 das Pentagon einen Torpedo-Angriff nordvietnamesicher Schnellboote auf das US-Kriegsschiff Maddox vortäuschte und Präsident Lyndon B. Johnson den gewünschten Vorwand für eine drastische Aufstockung der US-Militärpräsenz in Südvietnam lieferte. In Bezug auf die jüngsten Ereignisse nahe der Bab Al Mandab behauptete am 12. Oktober Amerikas prominentester Kriegstreiber, der Vietnam-Veteran und republikanische Senator John McCain, ohne auch nur den leisesten Beweis dafür zu präsentieren, daß hinter den Angriffen auf die Mason "wahrscheinlich" der Iran stecke. "Dank der erfolgreichen Schläge, welche die U.S.S. Nitze zur Vergeltung durchgeführt hat, hat die Marine der Vereinigten Staaten eine starke Botschaft ausgesendet." Am selben Abend berichtete die Onlinezeitung Middle East Eye unter Verweis auf Pentagonsprecher Peter Cook, daß das US-Militär "neue Angriffe gegen die Huthis im Jemen" vorbereitet.

15. Oktober 2016


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