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NAHOST/1497: Großoffensive gegen IS in Mossul gerät ins Stocken (SB)


Großoffensive gegen IS in Mossul gerät ins Stocken

Kommen türkische Streitkräfte der irakischen Armee zu Hilfe?


Die am 17. Oktober begonnene Großoffensive zur Rückeroberung von Mossul, das sich seit Juni 2014 unter der Kontrolle der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) befindet, ist ins Stocken geraten. Zwar ist die zweitgrößte Stadt des Iraks inzwischen weitgehend umzingelt, doch die irakischen Armeeeinheiten, die vor rund zehn Tagen in den Osten Mossuls vorgestoßen sind, sehen sich heftigem Widerstand der IS-Dschihadisten ausgesetzt und sitzen mehr oder weniger fest. Damit haben sich die Hoffnungen, die Rückeroberung Mossuls könnte bis zum Ende der zweiten Amtszeit von US-Präsident Barack Obama am 20. Januar abgeschlossen sein, als Illusion erwiesen. Mit dem militärischen Problem Mossul wird sich auch Obamas Nachfolger Donald Trump eingehend befassen müssen.

In den ersten beiden Wochen haben die an der Offensive beteiligten Bodenstreitkräfte - irakische Armee, sunnitische Stammeskämpfer, schiitische Milizionäre und kurdische Peshmerga - mit Unterstützung von Kampjets und Kampfhubschraubern der US-Luftwaffe beachtliche Geländegewinne erzielt. Doch das lag hauptsächlich daran, daß der IS die weit zerstreuten Dörfer am Rande Mossuls dem Gegner weitgehend kampflos überließ, um seine Energien auf die Verteidigung des eigentlichen Stadtgebiets zu konzentrieren. Inzwischen kontrollieren die meist schiitischen Volksmobilisierungskräfte die Region westlich von Mossul und wollen dort ein Entkommen der IS-Kämpfer über die nahegelegene Grenze in den Osten Syriens verhindern, während die Peschmerga in Nordosten stationiert sind und sich das Gros der irakischen Streitkräfte samt ihrer US-Militärberater der Stadt vom Süden her nähern.

Die Eskalation der Schlacht um Mossul trat Anfang November ein, als sich Antiterroreinheiten sowie die 9. Panzerdivision der irakischen Armee in die östlichen Bezirke Mossul hineinbegaben. Fast zeitgleich hat der IS-Gründer und selbsternannte Kalif Abu Bakr Al Baghdadi in einer im Internet verbreiteten Audiobotschaft seine Anhänger in Mossul dazu aufgerufen, bis zum letzten Mann zu kämpfen und den Märtyrertod der Flucht vorzuziehen. Seitdem reißen Berichte von Greueltaten seitens des IS nicht ab. Angeblich bringen die sunnitischen Gotteskrieger jeden in Mossul um, den sie für einen potentiellen Überläufer halten. Die Leichen der Hingerichteten werden an öffentlichen Plätzen gekreuzigt oder an Strommasten aufgehängt, um eine abschreckende Wirkung zu erzeugen.

Bislang sollen die irakischen Streitkräfte nach eigenen Angaben rund ein Viertel der Bezirke Ostmossuls "befreit" haben, jedoch nicht alle halten können. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 13. November hieß es: "In einigen Vierteln hat die Kontrolle drei oder vier Mal die Hände gewechselt, da die Aufständischen, die auf ein Netzwerk von Tunnel zurückgreifen und die Anwesenheit von Zivilisten ausnutzen, nächtliche Angriffe starten und die militärischen Gewinne des Vortags rückgängig machen." In derselben Reuters-Meldung wurde der Stadtteil Intisar im Südosten Mossuls erwähnt, den die 9. Panzerdivision trotz zwei Wochen schwerster Kämpfe immer noch nicht hat einnehmen können.

In einem ebenfalls am 13. November bei The Unz Review erschienenen Artikel hat Patrick Cockburn, der renommierte Nahost-Korrespondent des Londoner Independent, von der Front eine pessimistische Einschätzung der Lage am ostlichen Ufer des Tigris abgegeben. Ihm zufolge "stecken inzwischen die irakischen Streitkräfte" in Ostmossul fest. Hier ein Zitat aus Cockburns Bericht:

"An einem einzigen Tag haben wir 37 Männer verloren, während 70 weitere verletzt wurden", erklärte ein ehemaliger ranghoher irakischer Regierungsvertreter. Er fügt hinzu, daß das Ausmaß des von IS angelegten Tunnelsystems, dessen Länge auf 70 Kilometer geschätzt wird, die irakischen Streitkräfte überrascht habe.

(...)

Der IS schickt Wellen von Selbstmordattentätern, entweder als Einzelpersonen, die sich in die Luft jagen, oder in mit Sprengstoff vollgepackten Fahrzeugen, Scharfschützen und Mörserteams, um den Kampf um die ein Dutzend Bezirke, welche die irakische Armee bereits für eingenommen erklärt hatte, neu zu entfachen.

"Am Anfang war ich optimistisch, daß wir Mossul in zwei bis drei Wochen erobern würden, aber inzwischen glaube ich, daß es Monate dauern wird", sagte Khasro Goran, ein führender kurdischer Vertreter, der mit der Situation in Mossul vertraut ist, in einem Exklusivinterview mit dem Independent.

Er sagte, er habe seine Meinung bezüglich der Dauer der Belagerung geändert, nachdem er die Heftigkeit der Kämpfe am Stadtrand von Mossul gesehen habe. Er fügte hinzu, daß "ein Großteil von Mossul zerstört wird, sollte der IS weiterhin so kämpfen".

Die Aussichten für die Hauptstadt der Provinz Ninawa sind düster angesichts der Probleme, auf die die irakische Armee bei der Befreiung des traditionell von Christen und Kurden bewohnten Ostens aktuell stößt. Um wieviel schwieriger dürfte die Rückeroberung des größeren Westteils der Stadt, der viel mehr Menschen beherbergt und deren mehrheitlich arabisch-sunnitische Bevölkerung dem IS eine viele stärke Sympathie entgegenbringt, ausfallen? Beobachter schätzen, daß rund ein Drittel der Menschen im Westen Mossuls den IS aktiv unterstützt. Deswegen ist die amtliche Überprüfung der Identität aller Männer im wehrfähigen Alter aus allen befreiten Gebieten vorgeschrieben, um festzustellen, ob der einzelne einfacher Zivilist oder vielleicht doch ein IS-Schläfer ist. Wegen des generellen Verdachts und der Gefahr von tödlichen Übergriffen sollen kurdische Peschmerga und schiitische Milizionäre sowohl aus Mossul-Stadt herausgehalten werden als auch nicht an solchen Überprüfungen teilnehmen.

Die Herausforderung, Mossul zurückzuerobern, ohne daß die Stadt weitgehend zerstört wird und ohne daß unzählige männliche Zivilisten Massakern zum Opfer fallen, ist so gigantisch, daß Patrick Cockburn spekuliert, ob der künftige US-Präsident Trump nicht umhin kommen wird, sich an die Türkei zu wenden und das Land um die Entsendung von Bodentruppen zu bitten. Schließlich regt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seit Wochen an, daß die mehrheitlich sunnitischen Streitkräfte Ankaras an der Mossul-Operation beteiligt werden, unter anderem damit sie sunnitische und turkmenische Zivilisten schützen können. Bisher lehnt die irakische Zentralregierung in Bagdad eine Teilnahme türkischer Bodentruppen an der Operation ab. Doch je länger die irakischen Streitkräfte im Osten Mossuls in der Sackgasse stecken, um so stärker wird der Druck auf Bagdad, doch noch grünes Licht für eine türkische Militärintervention zu geben.

15. November 2016


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