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NAHOST/1528: USA richten illegale Schutzzone im Osten Syriens ein (SB)


USA richten illegale Schutzzone im Osten Syriens ein

Konfrontation zwischen Washington und Teheran spitzt sich wieder zu


Nach der Einnahme der Wirtschaftsmetropole Aleppo zur Jahreswende durch die staatliche Syrische Arabische Armee (SAA) und der zwischen ihr und gemäßigten Rebellengruppen vereinbarten Einrichtung mehrerer Deeskalationszonen im bevölkerungsreichen Westen Syriens ist der Krieg dort ziemlich abgeflaut. Dafür nimmt die militärische Auseinandersetzung im bevölkerungsarmen, zu weiten Teilen aus Wüste bestehenden Osten Syriens gewaltig zu. Mit Hilfe der russischen Luftwaffe, der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz und iranischer Militärberater setzt die SAA ihre Großoffensive nach Osten fort und hat Ende Mai erstmals seit 2015 die irakische Grenze erreicht. Dort gerät sie jedoch mit dem US-Militär, das ebenfalls 2015 einen Stützpunkt am strategisch extrem wichtigen Länderdreieck Syrien-Irak-Jordanien eingerichtet hatte, in direkten Konflikt.

Die USA greifen offiziell seit 2014 in den Krieg in Syrien unter dem Vorwand der Bekämpfung der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) ein. Aktuell sind die USA mit Kampfjets und Bodentruppen an der großangelegten Operation zur Vertreibung von IS aus der Millionenstadt Mossul im irakischen Norden beteiligt. Die Führung bei dieser Aktion, die seit vergangenem Oktober läuft, liegt bei den irakischen Streitkräften, die auch Unterstützung von schiitischen Milizen und Offizieren der iranischen Revolutionsgarden erfahren. Die eingekesselten IS-Kämpfer leisten erbitterten Widerstand, während die amerikanischen und irakischen Luftstreitkräfte wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Mehr als eine halbe Million Zivilisten sind geflohen und harren unter miserablen Zuständen in Flüchtlingslagern aus. Noch rund 200.000 Bürger Mossuls sollen im umzingelten Westteil der Stadt mit den Kalifatsanhängern eingeschlossen sein. Eine genaue Anzahl der getöteten Zivilisten gibt es nicht, es dürften aber bereits Tausende sein.

Vor rund zwei Wochen haben die von den USA ausgerüsteten und militärisch unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte, die zum größten Teil aus Freiwilligen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), eine Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Abdullah Öcalans, bestehen, mit ihrem lange erwarteten Sturmangriff auf Rakka begonnen. Damit die Rückeroberung der Hochburg des IS in Syrien nicht so lange wie die Mossuls dauert, greift die US-Luftwaffe intensiv in das Geschehen ein, nimmt dabei jedoch den Tod von Zivilisten billigend in Kauf. Angefeuert wird sie hierbei von Donald Trumps Verteidigungsminister, General a. D. James "Mad Dog" Mattis, der in den letzten Tagen gegenüber den Medien mehrmals von einer erwünschten "Ausradierung" des IS in Syrien und im Irak gesprochen und Verluste bei der Zivilbevölkerung als "unvermeidlich" abgetan hat. 2004 hatte Mattis als Militärkommandeur im Irak zweimal einen Aufstand sunnitischer Milizionäre in Falludscha mit extremer Härte niedergeschlagen.

Ähnlich brutal wie damals gehen heute die amerikanischen Streitkräfte in Mossul und Rakka vor. An beiden Schauplätzen setzt die US-Marineinfanterie phosphorhaltige Artilleriegeschosse ein, deren Pulver in der Luft verteilt wird, auf das Zielgebiet niederregnet und bei Kontakt die menschliche Haut bis auf die Knochen zerfrißt. Am 14. Juni hat Paulo Pinheiro, der Leiter einer UN-Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen in Syrien, einen "erschütternden Verlust zivilen Menschenlebens" in Rakka beklagt. Indirekt hat der brasilianische Diplomat damit den USA und den mit ihnen verbündeten SDF vorgeworfen, Kriegsverbrechen zu begehen. Die Rücksichtslosigkeit der Amerikaner in Rakka deutet auf deren Bestreben hin, die IS-Kämpfer so schnell wie möglich von dort in die südöstlich gelegene Stadt Deir Es Zor zu vertreiben. Von der Hauptstadt der gleichnamigen Ostprovinz Syriens aus soll der IS es der SAA schwer machen, die Grenze zum Irak unter ihre Kontrolle zu bringen.

Währenddessen bauen die Amerikaner ihre Präsenz bei Al Tanf, die nahe der irakischen Grenze unmittelbar an der wichtigen Verbindungsstraße zwischen Damaskus und Bagdad liegt, kräftig aus. Sie beanspruchen dort eine Sicherheitszone mit einem Radius von 30 Kilometern. Um den Anspruch durchzusetzen, hat die US-Luftwaffe in den letzten Wochen zweimal eine Formation aus SAA-Soldaten und schiitischen Milizionären, die sich Al Tanf angeblich zu sehr näherten, mit Bomben and Raketen angegriffen sowie eine iranische Drohne abgeschossen. Mit Hilfe der Rebellengruppe Maghawir Al Thawra haben US-Spezialstreitkräfte einen zweiten Stützpunkt in der rund 60 Kilometer von Al Tanf gelegenen Ortschaft Zakf eingerichtet. Vor wenigen Tagen hat das US-Militär mehrere Batterien des High Mobility Artillery Rocket System (HIMAR), dessen Geschosse eine Reichweite von 300 Kilometer haben, von Jordanien nach Al Tanf verlegt.

Die Einrichtung der illegalen Schutzzone der Amerikaner bei Al Tanf dient nur am Rande dem Antiterrorkampf gegen IS, sondern vor allem der Eindämmung iranischen Einflusses im Irak und Syrien. Dies geht aus dem aufschlußreichen Artikel hervor, der am 7. Juni unter der Überschrift "Beyond Raqqa, an Even Bigger Battle to Defeat ISIS and Control Syria Looms" bei der New York Times erschienen ist. Zur Zusammenballung der verschiedener Kräfte im Osten Syriens hieß es:

Der Konflikt befinde sich aktuell "am Scheideweg", erklärte Kamel Wazne, der Hisb Allah, die Vereinigten Staaten und den Mittleren Osten studiert und an der American University in Beirut lehrt. Die Amerikaner wollten die Errichtung eines "schiitischen Bogens" des Einflusses vom Iran bis Libanon verhindern und "ein Stück dessen, was aktuell in Syrien geschieht, für sich behalten", sagte Herr Wazne. "Sie werden nicht zulassen, daß die Iraner und diejenigen, welche sie unterstützen, einen Sieg in der ganzen Region auf Kosten der Amerikaner einfahren", fügte er hinzu.

Die Zerschlagung des sogenannten "schiitischen Bogens", dessen Existenz als erster Jordaniens König Abdullah 2004 konstatierte, ist von Anfang an das Ziel derjenigen gewesen, die seit 2011 hinter den Bemühungen um einen "Regimewechsel" in Damaskus stehen. Wie Seymour Hersh Anfang 2007 in der Zeitschrift New Yorker berichtete, haben bereits Ende 2006 der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney und der damalige Chef des saudischen Geheimdiensts Prinz Bandar Bin Sultan in Reaktion auf den "Sieg" der Hisb Allah beim Libanon-Krieg gegen Israel wenige Monate zuvor gemeinsam die Destabilisierung Syriens durch den Einsatz gewaltbereiter Sunni-Fundamentalisten beschlossen. Die Schaffung einer eigenen Schutzzone in Syrien durch das US-Militär, die jüngsten Anschläge auf das Parlament und das Khomeini-Mausoleum in Teheran sowie die wirtschaftliche Blockade Katars durch Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten stehen alle im Zeichen einer Zuspitzung der jahrelangen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran.

17. Juni 2017


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