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NAHOST/1547: Syriens Armee hebt die Belagerung Deir ez-Zors auf (SB)


Syriens Armee hebt die Belagerung Deir ez-Zors auf

IS in Syrien verliert am Boden - gegenüber der SAA und der HTS


Am 5. September hat die Syrische Arabische Armee (SAA) einen ihrer größten Erfolge in dem seit 2011 laufenden Syrienkrieg erzielt. Mit Hilfe von Kampfjets und Militärberatern aus Rußland sowie von Freiwilligen der libanesisch-schiitischen Hisb-Allah-Miliz ist es der SAA gelungen, den Belagerungsring um Deir ez-Zor, Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements im Osten Syriens, zu durchbrechen. Seit 2014 war der größere, am westlichen Ufer des Euphrats liegenden Teil von Deir ez-Zor mit 93.000 Einwohnern und einem Militärstützpunkt samt Flughafen auf dem Landweg von der Außenwelt abgeschnitten. Das restliche Deir ez-Zor sowie das nördlich gelegene Gouvernement Rakka befand sich in den Händen der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS). Drei Jahre lang haben die rund 7000 SAA-Angehörigen der Brigade 137 die Stadt gegen eine IS-Übermacht verteidigt, während die Zentralregierung in Damaskus mittels regelmäßiger Abwürfe aus großer Höhe die Versorgung mit Lebensmitteln und Munition gerade noch aufrechterhalten konnte. Aktuell sind die SAA und ihre Verbündeten dabei, den Transportweg nach Deir ez-Zor hinein zu sichern, den Ostteil der Stadt zu befreien und die letzten IS-Angreifer zu vertreiben.

Die psychologische und strategische Bedeutung des Durchbruchs bei Deir ez-Zor kann nicht hoch genug bewertet werden. Das zumeist aus Wüste bestehende Gouvernment grenzt im Osten an den Irak. Die Hauptstadt Deir ez-Zor bildet das Zentrum der syrischen Ölindustrie. Durch seine Einnahme geraten das nahegelegene Al Kharata sowie die anderen Ölfelder der Region wieder unter die Kontrolle von Damaskus. Die Niederlage des IS bei Deir ez-Zor kommt nur wenige Wochen, nachdem er nach fast drei Jahren Besetzung aus der 420 Kilometer entfernten nordirakischen Metropole Mossul vertrieben wurde. Derzeit kämpfen die von den USA militärisch unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte, die zum größten Teil aus den syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), einer Schwesterorganisation der hauptsächlich in der Türkei aktiven Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), bestehen, um die Einnahme der Stadt Rakka. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dort die letzte IS-Hochburg in Syrien fällt.

Momentan sieht also die Lage für das "Regime" um Präsident Baschar Al Assad so positiv wie seit Jahren nicht mehr aus. Seit die SAA zur Jahreswende die Aufständischen aus Ostaleppo vertreiben konnte, befindet sie sich an allen Fronten auf dem Vormarsch. Medienberichten zufolge sind in den letzten Monaten rund 600.000 syrische Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus der Türkei und Jordanien kommend, in ihre Heimat zurückgekehrt, um sich dort am Wiederaufbau zu beteiligen. Noch im Juli hat die Hisb-Allah-Miliz mit Rückendeckung der libanesischen Armee die Gruppe Jabhat Fatah Al Sham aus ihren Verstecken entlang der syrischen Grenze zum Libanon vertreiben können. Ein Teil der JFS-Kämpfer durfte in Absprache mit Hisb Allah und Damaskus per Buskonvoi nach Idlib reisen, ein anderer nach Deir ez-Zor.

Trotz der Erfolgsserie des Militärbündnisses aus SAA, russischen Streitkräften und Hisb Allah ist es noch zu früh, vom Ende des Syrienkrieges zu reden. Zwar scheint Damaskus mit einer verstärkten Autonomie der syrischen Kurden im Grenzgebiet zur Türkei und zum Irak leben zu können, doch sollten die USA darauf beharren, die mehr als zehn Militärbasen, welche das Pentagon in den letzten Monaten im syrischen Nordosten eingerichtet hat, langfristig zu behalten, ist der Konflikt zwischen Assad und der Administration von Präsident Donald Trump vorprogrammiert. Mit einer Zementierung der militärischen Präsenz der YPG bzw. der PKK an ihrer Südgrenze ist die Türkei alles andere als glücklich. Befürchtet wird deshalb eine Großoffensive der türkischen Streitkräfte in den kommenden Wochen gegen die Kurden in Nordsyrien, die auch den Zweck hätte, als Warnsignal Ankaras gegenüber den irakischen Kurden zu dienen und die Autonomieregierung in Erbil von der geplanten Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums abzubringen.

Tatsächlich befindet sich der IS in Syrien und im Irak in der Auflösung. Die Gruppe hat in den letzten Monaten bei Kämpfen um Deir ez-Zor, Rakka, Mossul und Tal Afar derart viele Kämpfer verloren, daß die Dschihadisten einem Bericht des US-Nachrichtenmagazins Newsweek zufolge inzwischen Frauen und Mädchen für den Dienst an der Waffe rekrutieren - ein Schritt, der beim IS wegen der patriarchalisch-fundamentalistischen Ausrichtung des Kalifats vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Die wichtigste Voraussetzung für ein Ende des sunnitischen Aufstands im Irak wäre eine Verständigung zwischen dem schiitischen Iran und dessen Hauptfeinden USA und Saudi-Arabien. Leider ist ein Modus vivendi zwischen Teheran, Riad und Washington nicht in Sicht. Das Gegenteil ist der Fall. Sollte Trump seine Drohung wahrmachen und demnächst die amerikanische Einhaltung des internationalen Atomabkommens mit dem Iran aufkündigen, dann kann die Situation am Persischen Golf noch sehr brenzlig werden.

Israel ist mit dem offensichtlichen Scheitern des Versuchs, in Damaskus einen "Regimewechsel" herbeizuführen, und dem Erstarken der Allianz zwischen Syrien, dem Iran und der Hisb Allah überhaupt nicht zufrieden. Aus Kreisen der Regierung Benjamin Netanjahus sind eindeutige Kriegsdrohungen zu vernehmen, die unter anderem mit Hinweisen auf die angebliche Existenz iranischer Raketenfabriken auf syrischem Territorium begründet werden. Seit Beginn des Syrienkrieges hat die israelische Luftwaffe nach eigenen Angaben rund 100 Operationen gegen Ziele im Nachbarland durchgeführt. Offiziell dienten diese Angriffe der Unterbindung von Rüstungslieferungen des Irans an die Hisb Allah. In mehreren Fällen griffen jedoch die Israelis eindeutig auf seiten der islamistischen Rebellen gegen die SAA ein. Der heutige Luftangriff der israelischen Luftwaffe auf eine syrische "Chemiewaffenfabrik" dürfte nicht der letzte seiner Art gewesen sein.

Währenddessen profitiert die Hayat Tahrir Al Sham (HTS), die Nachfolgeorganisation der früheren Al-Nusra-Front, vom Schwächeln des IS. Die al-kaida-nahe Gruppe kontrolliert praktisch das gesamte Gouvernement Idlib im syrischen Nordwesten an der Grenze zur Türkei. Dort soll sie inzwischen 30.000 Mann unter Waffen haben. Die Verbände der HTS dürften in den kommenden Wochen durch zahlreiche aus Ostsyrien und Nordwestirak fliehende Ex-IS-Kämpfer weitere Verstärkung erfahren. Ende August hat HTS die zivile Verwaltung der Regionalhauptstadt Idlib - darunter Bäckereien, öffentliches Transportwesen und Wasserversorgung - übernommen und die Staatsbeamten allesamt entlassen. Man darf gespannt sein, ob Rußland und die USA im Falle HTS wie zuletzt gegen IS zusammenarbeiten werden, oder ob sich auf amerikanisch-israelischer Seite diejenigen durchsetzen, die wie Ex-CIA-Chef David Petraeus in Al Kaida/Al Nusra/HTS stets ein geeignetes Mittel zur Zerschlagung des "schiitischen Bogens" von Teheran über Damaskus bis in den Südlibanon gesehen haben.

7. September 2017


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