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NAHOST/1553: Putin um Entspannung zwischen Iran und Israel bemüht (SB)


Putin um Entspannung zwischen Iran und Israel bemüht

Trump und Netanjahu suchen die Konfrontation mit Teheran


In Syrien ist der Traum hauptsächlich der USA, Saudi-Arabiens und Israels vom Sturz des säkularen "Regimes" Baschar Al Assads durch sunnitischer Freischärler geplatzt. Mit Hilfe der russischen Luftwaffe, iranischer Militärberater sowie schiitischer Hisb-Allah-Milizionäre aus dem Libanon, dem Irak, Afghanistan und Pakistan befindet sich die Syrische Arabische Armee (SAA) seit der Befreiung Ostaleppos im letzten Dezember auf dem Vormarsch. In Ostsyrien steht Rakka, die letzte Hochburg der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) vor dem Fall, während die al-kaida-nahe Al-Nusra-Front in der Provinz Idlib praktisch eingekesselt ist. In allen anderen Teilen Syriens herrscht der Frieden nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Waffenstillstände zwischen Damaskus und gemäßigten Rebellengruppen.

Während Hunderttausende syrische Kriegsflüchtlinge nach Hause zurückkehren, um sich dem Wiederaufbau ihres geschundenen Landes zu widmen, hat die Wende zum Besseren in Syrien bei Benjamin Netanjahu scheinbar Panik ausgelöst. Israels Premierminister sieht in der führenden Rolle der Hisb Allah und des Irans bei der Rettung des einheitlichen syrischen Staates die vom "Mullah-Regime" in Teheran angeblich ausgehende "existentielle Bedrohung" seines eigenen Landes um ein Vielfaches potenziert. Netanjahu will die neue Lage nicht akzeptieren und droht statt dessen mit Krieg. Beim Auftritt auf der diesjährigen UN-Vollversammlung in New York am 20. September behauptete der israelische Regierungschef in Anlehnung an Winston Churchill, über den Nahen Osten senke sich ein "iranischer Vorhang", und erklärte die Umtriebe Teherans zur "Wurzel aller Probleme" in der Region.

Die Aufgeregtheit Netanjahus ist im gewissen Sinne nachvollziehbar. Die ganze verbrecherische Initiative, Assad durch den Einsatz Zehntausender gewaltbereiter Dschihadisten zu stürzen, haben 2006 der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney und der damalige Geheimdienstchef Saudi-Arabiens, Prinz Bandar Bin Sultan, ausgeheckt, und zwar als Reaktion auf den damaligen Sieg der Hisb Allah beim sogenannten Libanonkrieg gegen Israel. Hinter dem Bandar-Cheney-Plan steckte die Absicht, jenen "schiitischen Bogen", auch "Bogen der Instabilität" genannt, der nach der gewaltsamen Entmachtung Saddam Husseins 2003 vom Iran, über den Irak und Syrien bis in den schiitischen Südlibanon an der Grenze zu Israel angeblich entstanden war, zu zerschlagen. Mehr als sechs Jahre nach dem Beginn des von Außen initiierten und gesteuerten Aufstands in Syrien mit mehr als einer halben Million Todesopfer stehen der Iran und die Hisb Allah stärker denn je da. Verfügte zum Beispiel die Hisb-Allah-Miliz 2006 lediglich über 13.000 ballistische Raketen, sollen es heute 150.000 sein, die zum größten Teil gen Süden ausgerichtet sind.

Gegen den erklärten Willen Netanjahus und der zionistischen Lobby in Washington haben 2015 nach jahrelangen mühsamen Verhandlungen die USA - damals unter der Regierung Barack Obamas - sowie China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rußland ein umfassendes Atomabkommen mit den Iran geschlossen. Die P5+1 - die fünf ständigen Vetomächte im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland - versprachen dem Iran die Aufhebung bisheriger Wirtschaftssanktionen, wofür im Gegenzug Teheran weitreichende Maßnahmen unternommen und die Einführung strenger internationaler Kontrollen zugelassen hat, um die Gefahr einer Nutzung der iranischen Kernkraftkapazitäten zu militärischen Zwecken auszuschließen. Ungeachtet der Tatsache, daß alle relevanten Experten, von den Inspekteuren der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) bis hin zum Oberkommandierenden der US-Nuklearstreitkräfte, General John Hyten, dem Iran eine lückenlose Einhaltung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) bescheinigen, will der neue US-Präsident Donald Trump, von Netanjahu angefeuert, den Vertrag einseitig aufkündigen.

Beim eigenen denkwürdigen Auftritt vor der UN-Vollversammlung am 19. September drohte Trump nicht nur Nordkorea mit der "völligen Auslöschung", sondern nannte den Iran einen "Schurkenstaat" und warf der Führung in Teheran vor, den Nahen Osten mit "Terrorismus" zu überziehen. Der ehemalige Baumagnat und Kasinobetreiber aus Queens behauptete, durch die fortgesetzte Arbeit am eigenen Raketenarsenal sowie die Einmischung in den Syrienkrieg würde der Iran gegen den "Geist" des JCPOA verstoßen, den er erneut als miserablen Deal, weil angeblich einseitig, bezeichnete. Am 15. Oktober steht das nächste Datum bevor, an dem das Weiße Haus dem Kongreß über die Einhaltung des Atomvertrags mit dem Iran informieren soll. Alles deutet darauf hin, daß Trump bis dahin irgendeinen Vorwand - etwa einen Zusammenstoß der iranischen und amerikanischen Marinestreitkräfte im Persischen Golf - produzieren will, um einen Ausstieg der USA aus dem JCPOA zu rechtfertigen und erneut die Konfrontation mit Teheran zu suchen.

In diesem Zusammenhang leistet Trumps UN-Botschafterin Nikki Haley bemerkenswerte Vorarbeit. Bereits im Juni begab sich die ehemalige republikanische Gouverneurin von South Carolina, die bis Ende Januar über keinerlei außenpolitische Erfahrung verfügte, in Begleitung des israelischen Generals Aviv Kochavi auf die Golanhöhen, wo sie den Oberbefehlshaber der 15.000 Mann UN-Friedenstruppe dort, den irischen General Michael Beary, bezichtigte, nichts gegen eine großangelegte Massierung der Streitkräfte der Hisb Allah nahe der Grenze zu Israel zu unternehmen. Bis dahin hatte niemand von einer solcher Massierung Notiz genommen, weil es sie gar nicht gab. In einem Artikel, der am 14. Juni beim Londoner Independent erschienen ist, machte sich der langjährige Kriegskorrespondent Robert Fisk über die hysterischen Ausführungen Haleys lustig und verwies darauf, daß die Raketen der Hisb-Allah-Miliz bekanntlich so große Reichweiten hätten, daß die Männer Hassan Nasrallahs gar nicht auf die Idee kämen, sie gefährlich nahe der israelischen Grenze zu lagern bzw. zu stationieren. Im Gegensatz zu Trump gilt Haley als Russophobin. Allen aktuellen Bemühungen Rußlands, des Irans und der Türkei um ein Ende des Blutvergießens in Syrien zum Trotz erklärte Haley am 15. September, Washington beharre nach wie vor auf eine Nachkriegsordnung ohne Assad.

Daß Netanjahu es ernst meint mit der Ankündigung, Israel werde den Iran an der "Einrichtung dauerhafter Militärstützpunkt in Syrien für seine Luft-, Marine- und Bodenstreitkräfte" hindern, zeigen einige Vorkommnisse der letzten Tage. Am 5. September hat die israelische Luftwaffe einen Raketenangriff gegen eine syrische Militäranlage durchgeführt, in der angeblich iranische Raketen gefertigt würden. Am 19. September hat die israelische Armee nach eigenen Angaben über den Golanhöhen eine Militärdrohne der Hisb-Allah-Miliz iranischer Bauart abgeschossen. Am heutigen 22. September schlugen zwei israelische Raketen in einem Gebäude nahe dem internationalen Flughafen von Damaskus ein. Bei dem angegriffenen und zum Teil zerstörten Objekt soll es sich um ein Waffendepot der Hisb Allah gehandelt haben.

Langsam aber sicher scheint Israel auf einen großen Krieg mit dem Iran und der Hisb-Allah-Miliz zuzusteuern, den es nur mit Hilfe der USA gewinnen kann. Vor diesem Hintergrund dürfte es kein Zufall sein, daß am 18. September der erste Militärstützpunkt der US-Streitkräfte auf israelischem Boden - eine gemeinsame Raketenbasis - in Betrieb gegangen ist. Der Gefahr einer weiteren Katastrophe im Nahen Osten bewußt, scheint Rußlands Präsident Wladimir Putin gewillt, sie zu verhindern. Daß Netanjahu großen Respekt vor dem Kreml-Chef hat, ist bekannt. Schließlich hat er ihm vor einigen Wochen in seiner Sommerresidenz im Schwarzmeer-Badeort Sotschi einen Blitzbesuch abgestattet, um sich über die iranische Präsenz in Syrien zu beklagen. Putin kann seine Allianz mit dem Iran nicht einfach aufkündigen. Schließlich gründet Rußlands neue starke Stellung im Nahen Osten auf dem Kampfeinsatz, den iranische Bodentruppen und schiitische Freiwillige in Syrien erbracht haben. Nichtsdestotrotz will Putin offenbar in Syrien ein Arrangement finden, mit dem sowohl Israelis als auch Iraner leben können. Hierzu gehört laut einem Bericht der israelischen Zeitung Ha'aretz vom 19. September die Garantie, daß von syrischem Boden keine feindlichen militärischen Aktivitäten gegen Israel unternommen werden. Man kann nur hoffen, daß Putin mit seinem Vorstoß Erfolg hat, denn die Alternative wäre grauenhaft.

22. September 2017


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