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NAHOST/1577: Mediale Turbulenzen - Kriegspropaganda (SB)


Mediale Turbulenzen - Kriegspropaganda


Im Syrienkrieg ist eine umfangreiche Operation der Syrischen Arabischen Armee (SAA) angelaufen, mit Hilfe der russischen Luftwaffe, schiitischer Hisb-Allah-Kämpfer und iranischer Militärberater den Stadtteil Ostghouta am Rande von Damaskus den dort seit Jahren verschanzten Rebellengruppen endlich zu entreißen. Die Luftangriffe, die vor wenigen Tagen begannen und den Bodentruppen den Weg ebnen sollen, haben zahlreichen Menschen, darunter viele Zivilisten, das Leben gekostet. Medien und Politik jener westlichen Mächte, die seit 2011 direkt oder indirekt die Aufständischen unterstützen, geben sich über die jüngste Entwicklung empört. Die Krokodilstränen des Westens und die zutiefst heuchlerischen Vorwürfe an die Adresse Baschar Al Assads bedeuten nur eins: In Washington, London, Paris und Berlin hält man verbissen am Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus fest, selbst wenn dies auf einen Großmachtskrieg gegen Rußland und den Iran hinausläuft.

Dieselben Medien und Politiker, die sich nicht sonderlich dafür interessierten, als mit Luftangriffen und Artilleriebeschuß die Streitkräfte Israels 2014 mehr als 2000 Palästinensern im Gazastreifen den Garaus machten, und die stillhielten, als die USA zusammen mit der Anti-IS-Koalition 2017 bei der "Befreiung" der irakischen Millionenstadt Mossul aus den Händen der Dschihadistenarmee Abu Bakr Al Baghdadis Zehntausende Zivilisten töteten, bauschen nun eine ähnliche Vorgehensweise der SAA zum schlimmsten aller Verbrechen im Syrienkrieg auf, obwohl die Offensive bisher "lediglich" rund 300 Einwohnern Ostghoutas das Leben gekostet hat. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am 21. Februar die SAA-Luftangriffe "aufs schärfste verurteilt". Am selben Tag sprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Bundestag von einem "Massaker", beklagte "das Töten von Kindern, die Zerstörung von Krankenhäusern" und warf dem "Regime" in Damaskus vor, "nicht gegen Terroristen, sondern gegen sein eigenes Volk zu kämpfen".

Ebenfalls am 21. Februar hatte Kolumnist Simon Tisdall in der enorm einflußreichen, liberalen britischen Tageszeitung Guardian Ostghouta zum "Srebrenica Syriens" erklärt, die vermeintliche Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft kritisiert und diese damit indirekt zum Handeln aufgefordert - der armen Kinder wegen, versteht sich. In einem Leitartikel erklärte am 22. Februar die New York Times, es müßten längst Anklageschriften wegen Kriegsverbrechen gegen Assad und diejenige russischen und iranischen Politiker, die ihn mit Rat und Tat im Amt hielten, verfaßt werden. Folgte man der Empfehlung der Meinungsmacher bei der Gray Lady, wären nicht nur der syrische Präsident, sondern auch die politische Führung in Moskau und Teheran persona non grata; mit ihnen könnte man über Wege der Deeskalation in Syrien gar nicht erst verhandeln. Vermutlich ist es das, was die New York Times, die stets als Sprachrohr der Kriegstreiberfraktion im Pentagon und bei der CIA agiert, will.

Seit Jahren sind die Rebellen in Ostghouta dem Assad-"Regime" ein Dorn im Auge. Aus der Enklave, in der noch rund 400.000 Menschen ausharren, sind viele der mit Sprengstoff gefüllten Autos gekommen, die durch Anschläge im Stadtzentrum von Damaskus immer wieder Tod und Zerstörung verursachen. Eigentlich galt für Ostghouta seit Monaten ein Waffenstillstand zwischen SAA und den Rebellen, nur scheinen sich letztere nicht daran zu halten. Regelmäßig feuern diese Mörsergranaten auf regierungstreue Viertel wie das christliche Bab Touma in der Altstadt von Damaskus. Beim jüngsten Vorfall am 14. Februar starben zwölf Menschen. Des weiteren brechen hin und wieder unter den drei Rebellengruppen in Ostghouta blutige Fehden aus.

In einem Beitrag, der am 22. Februar beim Londoner Independent erschienen ist, berichtete der langjährige Nahost-Korrespondent Robert Fisk, es wäre in den letzten Monaten wegen des aktuellen Streits am Persischen Golf zwischen Katar und Saudi-Arabien zu Kämpfen zwischen den jeweils von Doha und Riad favorisierten Gruppen, nämlich der Rahman-Legion respektive Dschaisch-Al-Islam gekommen. Laut Fisk herrscht bei den Kämpfern dieser beiden Verbände eine gewisse Bereitschaft vor, sich auf das Angebot der syrischen Regierung nach ungehindertem Abzug aus Ostghouta einzulassen. Die Gotteskrieger der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front dagegen wollen laut Fisk bis zum bitteren Ende kämpfen, um als Märtyrer für Allah zu sterben.

Nach Angaben von Fisk ist das Aufgebot an Menschen und Material, das die SAA rund um Ostghouta hat auffahren lassen, beachtlich. Dazu gehören viele Panzer und schwere Kanonen. Für den bevorstehenden Bodenangriff haben sich die Spezialstreitkräfte von der 14. Division, die unter dem Befehl von Präsidentenbruder Maher Assad stehende 4. Panzerdivision sowie die 7. Armeedivision, dessen Oberbefehlshaber Oberst Soheil Hassan durch seine militärischen Erfolge im Syrienkrieg den Spitznamen "Tiger" bekommen hat, in Position gebracht.

Fällt Ostghouta, womit, solange nichts dazwischen kommt, in den nächsten Wochen zu rechnen ist, dann kann sich die SAA der Rückeroberung von Idlib, dem letzten großen Rückzugsgebiet der Rebellen, zuwenden und vielleicht sogar Maßnahmen ergreifen, um die türkische Armee aus Afrin im Norden und die amerikanischen Invasionstruppen aus dem ölreichen Nordosten zu vertreiben. Daher das ganze Geschrei der "humanitären Interventionisten" in den NATO-Staaten. Fisk und sein Reporterkollege Patrick Cockburn, der ebenfalls für den Independent seit langem die Kriege zwischen Mittelmeer und Persischen Golf kritisch begleitet, gehen aufgrund der seit 2015 anhaltenden Erfolgsserie der SAA und deren russischen und iranischer Verbündeten davon aus, daß der Krieg in Syrien langsam, aber sicher zu Ende geht. Zweifel sind jedoch mehr als angebracht, denn die direkte Einmischung der Türken und Amerikaner mit eigenen Soldaten in Syrien - sowie übrigens der Israelis mit ihren ständigen Luftangriffen und der Rüstungshilfe für die Rebellen im Süden - deutet darauf hin, daß ein noch brutalerer Konflikt, diesmal zwischenstaatlicher Natur, droht.

23. Februar 2018


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