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NAHOST/1581: Bagdad - Einfluß- und Verteilungswünsche (SB)


Bagdad - Einfluß- und Verteilungswünsche


Im Irak stehen im Mai Parlamentswahlen an, die wegweisend für die Zukunft des Landes sein könnten. Sie hätten eigentlich im vergangenen September stattfinden sollen, waren jedoch wegen der Großoffensive der irakischen Streitkräfte gegen die sunnitische "Terrormiliz" Islamischer Staat in Mossul, von wo aus IS-Chef Abu Bakr Al Baghdadi im Sommer 2014 das Kalifat ausgerufen hatte, verschoben worden. Nach der Rückeroberung der zweitgrößten Stadt im Zweistromland und der Verkündung des militärischen Siegs gegen den IS geht Premierminister Haider Al Abadi als Favorit in das Rennen. Ob die Zusammensetzung des Parlaments ihm eine weitere Amtszeit als Regierungschef ermöglicht, muß sich aber zeigen.

Im Sommer 2014 hat Abadi den seit 2006 amtierenden Nuri Al Maliki als Premierminister abgelöst, der ab 2011 mit brutaler Gewalt auf die berechtigten Proteste der sunnitischen Minderheit gegen ihre politische und wirtschaftliche Benachteiligung reagiert und somit viele junge Sunniten in die Arme von Al Kaida im Irak, dem späteren IS, getrieben hatte. Al Maliki stand zudem in dem Ruf, nicht rechtzeitig die von IS ausgehende Gefahr erkannt und dessen Eroberung von Mossul und anderen mehrheitlich von Sunniten bewohnten Städten wie Tigrit und Falludscha tatenlos hingenommen zu haben. Um die damals drohende Einnahme der Hauptstadt Bagdad durch die IS-Sturmtruppen zu verhindern, hat im Sommer 2014 der höchste schiitische Würdenträger im Irak, Ali Al Sistani, die sogenannten Volksmobilisierungskräfte ins Leben gerufen. Zusammen mit den Resten der irakischen Armee haben diese den Vormarsch des IS gestoppt und in sein Gegenteil verkehrt.

Bei den Wahlen in Mai wird es keine einheitliche Schiiten-Liste geben. Mehrere Kommandeure der Volksmobilisierungskräfte sind im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahre Helden geworden. Zusammen kandidieren sie als Vertreter der Koalition Al Fatih (Eroberer), haben jeweils jedoch weiterhin eigene Milizen im Rücken. Abadi steht dem Wahlbündnis Nasr Al Iraq (Irakischer Sieg) vor, während sein früherer politischer Weggefährte Al Maliki weiterhin die Gruppierung Dawlat Al Kanun (Rechtsstaat) vertritt. An der Wahl wird sich auch die Badr-Partei beteiligen, deren Brigadeführung vor kurzem die Pläne der USA, mehrere tausend amerikanischer Militärberater im Irak verbleiben zu lassen, kritisiert und den kompletten Abzug aller ausländischen Streitkräfte gefordert hat.

Die Badr-Partei und Al Malikis Rechtsstaat gelten beide als iran-freundlich. Dies könnte sich bei der Wahl als Nachteil erweisen. Viele Iraker sind zwar dankbar für die militärische Hilfe, welche der Iran im Kampf gegen Al Bagdhadis Kalifat geleistet hat, ärgern sich jedoch über das selbstherrliche Verhalten von Qassem Soleimani, dem Chef der iranischen Revolutionsgarden, der sich bei Fernsehinterviews und durch Plakate mit seinem Konterfei in jeder Stadt als alleiniger IS-Bezwinger aufspielt. 2014 versuchte Soleimani vergeblich Al Maliki als Premierminister zu halten. Mit Blick auf die diesjährige Wahl hat er sich für Abadi als Regierungschef ausgesprochen. Zum eigenen Glück steht Abadi nicht in dem Ruf, besondere Rücksicht auf die Befindlichkeiten Teherans zu nehmen. Seine Popularität erklärt sich aus dem Sieg über den IS sowie aus seinem raschen Handeln, mit dem er im vergangenen Herbst die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im Keim erstickt und damit die staatliche Einheit des Iraks gerettet hat.

Auch die Kurden gehen mit keiner einheitlichen Liste in die Wahlen, sondern es konkurrieren wie eh und je die Kurdische Demokratische Partei (KDP) um den Barsani-Klan und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) um den Talani-Klan miteinander. Die KDP hatte auf die Unabhängigkeitskarte gesetzt und hoch verloren, während die PUK mit der Zentralregierung in Bagdad kooperiert hat. Inwieweit die Turbulenzen vom vergangenen Herbst bei der Wahl im irakischen Kurdistan eine Rolle spielen werden, ist unklar. Beobachter erwarten, daß die Empörung über die grassierende Korruption in der kurdischen Autonomieregion eine wichtige Rolle spielen und dort nicht wenige Wähler veranlassen könnte, ihre Stimmen für die kleineren Oppositionsgruppierungen wie Gorran (Wandel), die zusammen mit zwei weiteren Splitterparteien das Wahlbündnis Nischtiman (Heimat) beschlossen haben, abzugeben.

Im sunnitischen Lager herrscht politisches Durcheinander. Die sunnitischen Parteien hatten für eine weitere Verschiebung der Wahl plädiert, weil es im Irak infolge des Bürgerkrieges während der US-Besatzung und der späteren Offensive gegen IS immer noch 2,6 Millionen Binnenflüchtlinge gibt, deren Beteiligung am Urnengang schwierig zu gewährleisten sein wird. Vor wenigen Wochen hat der Oberste Gerichtshof in Bagdad einen entsprechenden Antrag abgewiesen. Folglich ist es schwer zu sagen, wie stark die sunnitischen Gruppierungen abschneiden werden. Fest steht, daß das Wahlbündnis Al Mutahidoon (Vereint) in den sunnitischen Hochburgen die meisten Stimmen erhalten wird.

Besonders interessant ist das Manöver des einstigen "Radikalpredigers" Muktada Al Sadr, dessen "Mahdi-Armee" sich von 2006 bis 2011 heftige Kämpfe mit den US-Streitkräften geliefert hat. Der 1973 geborene Al Sadr entspringt einer berühmten schiitischen Prediger-Familie und gilt als großes Idol der armen schiitischen Massen in Bagdad. 2011 hat er die Mahdi-Armee demobilisiert. Seitdem üben die Abgeordneten seines Sadr-Blocks im Parlament großen Einfluß aus. Zwar hat sich Al Sadr zum Ajatollah in der iranischen Pilgerstadt Qom ausbilden lassen, dennoch gilt er als ausgesprochener irakischer Nationalist, der jedwede fremdländische Einmischung ablehnt. 2016 führte Al Sadr wochenlange Massenproteste gegen Korruption und Machtmißbrauch im staatlichen Wesen an. Zeitweise hielten seine Anhänger das Regierungsviertel "Grüne Zone" im Herzen Bagdads besetzt und zogen erst ab, nachdem Al Sadr ihnen den Befehl dazu erteilte. 2017 besuchte er den saudischen König Salman und warb für eine größere Beteiligung Riads am Wiederaufbau des Iraks. Vor wenigen Wochen hat Al Sadr ein Wahlbündnis mit der Kommunistischen Partei des Iraks beschlossen. Der Schritt gilt als Versuch Al Sadrs, die irakische Politik aus den konfessionellen Bahnen, in denen sie seit Jahren verharrt, herauszuführen. Die kommenden Wahlen werden zeigen, ob ihm das gelingt.

3. März 2018


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