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NAHOST/1583: Syrien - verfälschte Kriegsmotive ... (SB)


Syrien - verfälschte Kriegsmotive ...


In Syrien spitzt sich die Lage dramatisch zu. Während die Syrische Arabische Armee (SAA) mit Hilfe Rußlands im Zuge einer großangelegten Offensive dabei ist, Ostghouta, die letzte Rebellenhochburg nahe der Hauptstadt Damaskus, zurückzuerobern, werden im Norden des Landes die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die mit den amerikanischen Streitkräften zusammenarbeiten, von der türkischen Armee angegriffen. Auch hier mischen SAA und russische Streitkräfte mit, wodurch die Gefahr einer direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen den Truppen Moskaus und Washingtons besteht. Die offizielle Begründung für die US-Militärpräsenz in Syrien, die Bekämpfung der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), verliert zusehends an Glaubwürdigkeit - sofern sie jemals welche hatte ...

Hauptursache der Eskalation im syrischen Grenzgebiet zur Türkei war die Entscheidung Ankaras, am 20. Januar den Kanton Afrin anzugreifen, um die Kurden daraus zu vertreiben. Im Rahmen der türkischen Invasion mit dem zynischen Namen "Operation Olivenzweig" sollen alle Kämpfer der SDF auf das Ostufer des Euphrat zurückgedrängt werden. In den beiden letzten Jahren hatten die SDF mit Hilfe der Amerikaner im Nordosten Syriens den IS weitgehend vertrieben. Im Oktober 2017 wurde nach monatelangen Bombardements der US-Luftwaffe die ehemalige IS- Hochburg Rakka - oder zumindest was davon übriggeblieben ist - erobert. Die Türkei hat die militärischen Erfolge der SDF und die Ausrufung eines kurdischen Autonomiegebiets mit Argwohn verfolgt. Ankara hält die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), welche die meisten Kämpferinnen und Kämpfer der SDF stellen, für einen Ableger der in der Türkei als "Terrororganisation" verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK).

Ungeachtet der Proteste der türkischen Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogans haben die SDF nicht nur ganz Nordostsyrien, sondern auch Landstriche am westlichen Ufer des Euphrat besetzt. Einzelne SDF-Kommandeure ließen sich sogar zu der Aussage hinreißen, eine Landverbindung zum Mittelmeer mit Waffengewalt schaffen zu wollen. Als die USA Mitte Januar erklärten, ihre illegale militärische Präsenz in Syrien dauerhaft installieren und die SDF zu einer 30.000 Mann starken "Grenztruppe" ausbauen zu wollen, hielt die türkische Führung ihre Zeit für gekommen. Nur wenige Tage später rückten türkische Panzer mit Infanteriebegleitung vor, seitdem wird um die Stadt Afrin heftig gekämpft. Nach deren Einnahme wollen die türkischen Streitkräfte auch die Stadt Manbidsch erobern und den gesamten Landstrich nördlich von Aleppo sowie in östlicher Richtung bis zum Euphrat von den SDF säubern.

Das wollen die Syrischen Demokratischen Kräfte natürlich mit aller Macht verhindern. Deswegen werden derzeit Tausende SDF-Kämpfer im Osten Syriens abgezogen und nach Afrin und Manbidsch geschickt. In Manbidsch sollen bereits US-Spezialstreitkräfte stationiert sein. Um die türkischen Invasoren zurückschlagen zu können, haben sich die SDF zu einer gewissen Zusammenarbeit mit der SAA bereiterklärt. Inwieweit dies mit den Amerikanern abgesprochen ist, bleibt unklar. Während Ankara Washington dazu drängt, daß das Rechteck nördlich von Aleppo und westlich des Euphrats zur türkischen Pufferzone werden soll, scheinen die SDF das Gebiet im Zweifelsfall lieber den Truppen Baschar Al Assads überlassen zu wollen. Schließlich haben die SDF und die SAA seit Jahren einen Nicht-Angriffspakt, den beide Seiten bisher weitgehend eingehalten haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Meldung des Pentagonsprechers, Oberst Robert Manning, vom 5. März. Demnach haben die US-Streitkräfte im Osten Syriens bei der Bekämpfung des IS eine "operative Pause" eingelegt, damit sich die Kameraden von den SDF um die Front bei Afrin kümmern können - im Kampf gegen den NATO-Verbündeten Türkei. Die Äußerung Mannings ist nur die letzte in einer Reihe widersprüchlicher Erklärungen seitens der Regierung Donald Trumps, was Sinn und Zweck der US-Militärpräsenz in Syrien betrifft. Während der Präsident erklärt hat, die Bekämpfung des IS sei das ausschließliche Ziel und mit dessen Erfüllung würden die US-Truppen sofort "nach Hause" zurückkehren, sagte vor kurzem Außenminister Rex Tillerson, eine amerikanische Streitmacht in Syrien sei notwendig, um den Einfluß des Irans zurückzudrängen. Tillerson hat sich sogar zu der Aussage hinreißen lassen, die US-Truppen würden solange in Syrien bleiben, bis das "Regime" Assad in Damaskus nicht mehr an der Macht sei - was im Grunde eine Übernahme der früheren Linie Hillary Clintons ist.

Bekannt ist, daß die Amerikaner seit über einem Jahr im Nordosten Syriens rund 20 Stützpunkte errichtet haben, von denen einige Start- und Landebahnen für Militärflugzeuge aufweisen. Der vielleicht wichtigste Stützpunkt liegt bei der Stadt Deir ez-Zor unweit der größten syrischen Ölfelder. Als sich am 7. Februar ein Konvoi, bestehend aus SAA-Soldaten, iranischen Freiwilligen und russischen Söldnern von Westen kommend einer SDF-Position nahe Deir ez-Zor näherte, wurde er über Stunden von Kampfjets, Kampfhubschraubern und fliegenden Festungen der US-Luftwaffe angegriffen. Bis zu 200 Mitarbeiter des russischen Militärdienstleistungsunternehmens Wagner sollen bei dem Massaker ums Leben gekommen sein. Das sind die höchsten Tagesverluste, die Rußland seit dem Afghanistankrieg in den achtziger Jahren erlitten hat. Über die Anzahl der toten Syrer und Iraner ist nichts bekannt.

In den letzten Tagen hat Donald Trump wegen des angeblichen Einsatzes von Giftgas bei Ostghouta und der dort herrschenden humanitären Krise über mögliche militärische Vergeltungsmaßnahmen der USA nicht nur gegen die SAA, sondern auch gegen russische Streitkräfte öffentlich gesprochen. Über entsprechende Diskussionen im Trump-Kabinett hat die Washington Post am 6. März berichtet. Als Verfechter einer noch stärkeren Einmischung der USA in den Syrienkrieg wird der Nationale Sicherheitsberater, Ex-General Herbert McMaster, genannt. Gegen die Idee stemmt sich bislang Verteidigungsminister James Mattis, der sich bekanntlich im Irakkrieg einen Namen als rücksichtsloser Feldkommandeur gemacht hat. Das alles bedeutet nichts Gutes für die Zukunft.

10. März 2018


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