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NAHOST/1589: Libyen - Wirbel über den Köpfen ... (SB)


Libyen - Wirbel über den Köpfen ...


In Libyen geraten die Pläne des UN-Sondergesandten und ehemaligen libanesischen Kulturministers Ghassan Salamé, bis Ende des Jahres Lokal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abzuhalten, zusehends zur Makulatur. In dem nordafrikanischen Land herrscht nach wie vor politisches Chaos. Zu einer Zusammenarbeit zeigen sich die zwei wichtigsten Machtblöcke, die international anerkannte, in der westlichen Hauptstadt Tripolis sitzende Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch und dem im östlichen Tobruk angesiedelten Parlament (House of Representatives - HoR) um "Feldmarschall" Khalifah Hifter unfähig. Hifter, von dem viele ausländische Staaten, allen voran Ägypten, gehofft hatten, er könnte der neue "starke Mann" Libyens werden und dort für Ordnung sorgen, befindet sich nach einem Hirnschlag in einem Pariser Krankenhaus. Viel mehr wird er in der libyschen Politik künftig nicht zu bestimmen haben. Die von Hifter geschmiedete Allianz der wichtigsten Kräfte im libyschen Osten könnte auseinanderbrechen, was die Bemühungen um nationale Versöhnung um Jahre zurückwerfen dürfte.

Der heute 75jährige Hifter war 1987 bei einer militärischen Intervention der Armee Muammar Gaddhafis im Nachbarland Tschad in Gefangenschaft geraten. Nach der Freilassung drei Jahre später siedelte er mit Hilfe der CIA in die USA über. 2011 kehrte Hifter mit dem Segen Barack Obamas und Hillary Clintons nach Libyen zurück und beteiligte sich am Aufstand, der im Herbst desselben Jahres in dem Sturz und der Ermordung Gaddhafis enden sollte. Später hat sich Hifter dem HoR angeschlossen, in dessen Auftrag er die Überreste der staatlichen Streitkräfte, die sich heute Libysche Nationalarmee (LNA) nennen, befehligt. Seit 2014 führt die LNA im Osten eine Offensive gegen islamistische Dschihadistengruppen wie Ansar Al Scharia und Islamischer Staat (IS) durch.

2016 gelang es der LNA, die wichtigsten Raffinerien und Ölverladehäfen Libyens von dort herrschenden Banditen zurückzuerobern und Produktion sowie Ausfuhr des flüssigen Goldes wieder hochfahren zu lassen. 2017 erklärte die LNA nach dreijährigem Häuserkampf die Vertreibung der letzten militanten Islamisten aus Benghazi für beendet. Daraufhin gab Hifter im Dezember seine Absicht bekannt, 2018 für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen. Es folgte prompt die Reaktion seiner Gegner. Im Januar explodierten in der Nähe einer Moschee in Benghazi zwei Autobomben, rissen 41 Menschen in den Tod und verletzten rund 100. Zu der Tat hat sich keine Gruppe bekannt. Als mögliche Auftraggeber gelten IS und Ansar Al Scharia. Wenige Stunden nach dem verheerenden Anschlag hat der LNA-Kommandeur Mahmud Al Werfalli zehn islamistische Gefangene auf offene Straße gezerrt und vor laufenden Videokameras per Kopfschuß exekutiert. Die Bilder der Vergeltungsaktion sorgten für Empörung. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verlangte die Auslieferung Al Werfallis wegen Kriegsverbrechen. Hifter ließ den Beschuldigten verhaften, mußte ihn wegen dessen Popularität unter den eigenen Leuten jedoch wenig später wieder freilassen.

Seitdem kommt es immer wieder zu vereinzelten Bombenanschlägen in Benghazi. Weder dort noch im restlichen Land will Ruhe einkehren. Vergeblich hatte Hifter in den letzten Monaten im Konflikt zwischen den Stämmen Tebu und Awlad Suleiman, deren Anhänger sich in der südlibyschen Stadt Sabha und der umliegenden Region blutig bekämpfen, zu schlichten versucht. Mitte März flog die Luftwaffe der LNA Angriffe gegen bewaffnete Gruppen aus Tschad, die im Süden Libyens am Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel beteiligt sind. Eine Woche später führten die USA in derselben Region ihren ersten Drohnenangriff gegen Al Kaida in Libyen durch. Bei der Operation sollen zwei ranghohe Kommandeure des einst von Osama Bin Laden gegründeten "Terrornetzwerks" ums Leben gekommen sein. Ob das unbemannte Flugzeug vom neuen Drohnenstützpunkt von Pentagon und CIA im benachbarten Niger kam, ist unklar. Der Vorfall läßt jedoch darauf schließen, daß das US-Afrikakommando (AFRICOM) den "Antiterrorkampf" gegen mißliebige Gruppen in Libyen, Tschad, Niger, Mali und der Zentralafrikanischen Republik zu forcieren gedenkt, was verheerende Folgen für die innere Stabilität dieser Länder haben dürfte.

Am 11. April meldeten die Nachrichtenagentur Reuters und der arabische Nachrichtensender Al Jazeera den Hirnschlag Hifters. Demnach wurde der angeblich im Koma befindliche Ex-General zur medizinischen Behandlung zunächst nach Jordanien, später nach Frankreich geflogen. Seitdem reißen die Gerüchte nicht ab. Am 13. April meldete die in Tripolis erscheinende Zeitung Libyen Observer unter Verweis auf "diplomatische Quellen" den Tod Hifters in Paris. Später am selben Tag ließ die UN-Mission für Libyen per Twitter die Nachricht verbreiten, ihre Vertreter hätten mit Hifter im Krankenhaus telefoniert und mit ihm über die politische Situation in Libyen diskutiert.

Auch wenn Hifter den Hirnschlag überlebt, geht er angeschlagen aus dieser Situation hervor. In Libyen wird niemand auf ihn als langfristigen Verbündeten oder als potentielles Staatsoberhaupt setzen. Das plötzliche oder allmähliche Ausscheiden Hifters aus der Politik wird mit großer Wahrscheinlichkeit neue Machtkämpfe im Osten unter den Anhängern des HoR nach sich ziehen. Die gesundheitlichen Probleme Hifters böten Saif Al Islam, dem Sohn und einst designierten Nachfolger Muammar Gaddhafis, die Gelegenheit, endlich wieder die politische Bühne Libyens zu betreten.

Von 2011 bis 2017 befand sich Saif Al Islam in der Gefangenschaft der Milizionäre der Stadt Zintan. Während dieser Zeit wurde er wegen Beteiligung an der versuchten Niederschlagung der Massenproteste 2011 des Kriegsverbrechens von einem Gericht in Tripolis schuldig gesprochen und vom Internationalen Strafgerichtshof unter Anklage gestellt. Die rechtlichen Schwierigkeiten des Gaddhafi-Sprosses sind also beträchtlich. Dennoch ließ Saif Al Islam, der seit der Freilassung durch die Zintaner im vergangenen Jahr in Libyen herumreist und Gespräche mit den wichtigsten Klanchefs des Landes führt, am 20. März von Tunis aus seine Kandidatur für die Präsidentschaft als Vertreter der Libyschen Volksfront verlautbaren. So schlimm wie die Verhältnisse in Libyen sind, könnten sehr wohl viele Libyer ihr Heil bei Gaddhafi junior suchen. Gleichwohl dürfte es auch nicht wenige Bürger Libyens geben, die nicht bereit wären, eine Restauration der alten Verhältnisse zu akzeptieren.

15. April 2018


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