Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1645: Palästina - Hoffen auf die BDS-Kampagne ... (SB)


Palästina - Hoffen auf die BDS-Kampagne ...


Desolat, erbärmlich, bedauernswert, unerträglich - das sind einige der Worte, die einem angesichts der aktuellen Lage der Palästinenser in den besetzten Gebieten Westjordanland und Gazastreifen einfallen. Während sich Israel mit den USA Donald Trumps an seiner Seite so stark wie noch nie präsentiert, seine Luftwaffe ungestraft einen Angriff nach dem anderen in Syrien durchführen läßt, dem Iran mit Krieg droht und sich den sunnitischen Petromonarchien als nukleare Schutzmacht vor dem "Mullah-Regime" in Teheran anbietet, müssen sich die Palästinenser praktisch von allen verraten und verkauft fühlen. Der Nahost-"Friedensprozeß" hat sich nach fast 30 Jahren endgültig als Luftnummer und Betrug entpuppt; die illegalen jüdischen Siedlungen auf der Westbank wachsen ständig, während jeder Protest der Palästinenser gegen ihre Rechtlosigkeit in der eigenen Heimat blutig niedergeschlagen wird. Bei den Demonstrationen, die seit März 2018 an jedem Freitag am Grenzzaun zwischen Israel und Gaza stattfinden, haben die israelischen Streitkräfte mehr als 300 Zivilisten erschossen und mehr als 30.000 verletzt, davon einen Gutteil durch den gezielten Einsatz von Splittermunition zu Krüppeln gemacht.

Trump hat seiner von der israelischen Regierung Benjamin Netanjahus im vergangenen Jahr gefeierten Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem weitere Strafmaßnahmen für die Palästinenser folgen lassen. Weil die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) um Präsident Mahmud Abbas den USA ihre vermeintliche "Vermittlerrolle" im Nahost-Konflikt abgesprochen hat und sich seit Anfang 2018 jeder Kommunikation mit Washington verweigert, hat Trumps Außenminister Mike Pompeo im vergangenen Herbst sämtliche Hilfsgelder der USA für die Menschen in den palästinensischen Gebieten gestrichen. Der Wegfall der Finanzierung aus Washington - zuletzt rangierten die USA gleich hinter der EU als größte Unterstützer des palästinensischen Staatshaushalts - hat zu erheblichen Kürzungen im sozialen Netz in den besetzten Gebieten geführt. Die meisten Nicht-Regierungsorganisationen haben Mitarbeiter entlassen, einige sogar den Betrieb ganz einstellen müssen.

Ende Januar hat die Netanjahu-Regierung nach zwanzig Jahren das Mandat für die internationale Beobachtermission in Hebron, deren Anwesenheit die palästinensischen Einwohner vor Übergriffen radikaler jüdischer Siedler schützen sollte, nicht mehr verlängert. Nun sind die 200.000 Palästinenser dort erneut den Attacken der im Zentrum wohnenden, gewalttätigen Siedler ausgesetzt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem weiteren Massaker ähnlich dem, als Baruch Goldstein 1994 mit einem Sturmgewehr und Granaten im Grab der Patriarchen 28 Palästinenser getötet und 150 verletzt hat, kommt. Für die Siedlerbewegung und die israelischen Rechten ist Goldstein, der beim damaligen Blutbad selbst umkam, ein großer Held.

Wie die New York Times am 3. Februar meldete, sind tätliche Angriffe der Siedler auf Palästinenser im vergangenen Jahr um 50 Prozent im Vergleich zu 2017 gestiegen - eine Entwicklung, die ganz klar auf die Tatenlosigkeit der israelischen Behörden und deren Duldung solcher Umtriebe zurückzuführen ist. Das Ganze hat natürlich System. Im Schatten der zum Teil gewaltsamen Einschränkung des palästinensischen Lebens wachsen die jüdischen Siedlungen im Westjordanland immer mehr aus. Den Angaben des israelischen Innenministeriums zufolge ist die Bevölkerung der jüdischen Siedlungen in "Judäa und Samaria" 2018 um 3,3 Prozent - von 435.159 auf 449.508 - gestiegen. Dies meldete die Nachrichtenagentur Associated Press am 5. Februar.

Daß die USA von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah die völlige Unterwerfung Israel gegenüber erwarten, zeigt die am 19. Februar publik gemachte Entscheidung Washingtons zur Zusammenlegung des für die Palästinenser bislang zuständigen amerikanischen Konsulats in Jerusalem mit der neuen Botschaft. Der Beschluß, der vom 4. auf den 5. März vollzogen werden soll, ist nach der Botschaftschaftsverlegung eine weitere Absage an die einstige Vision von Jerusalem als geteilter Hauptstadt im Rahmen einer Zweistaatenlösung. Mit Trump im Rücken verstärken die Israelis ihre Bemühungen, durch die illegale Beschlagnahmung von Grundstücken und Wohnungen die jüdische Präsenz im arabischen Ostteil Jerusalems auf Kosten der angestammten arabischen Bevölkerung auszubauen.

Im Gazastreifen, den Israel mit Hilfe Ägyptens wegen der Herrschaft der islamischen Hamas-Bewegung vollständig von der Außenwelt abgeschnitten hat, stehen die Dinge um einiges schlimmer als im Westjordanland. Die Arbeitslosigkeit in Gaza liegt offiziell bei mehr als 40 Prozent. Grundbedürfnisse des Menschen wie sauberes Trinkwasser, Lebensmittel und Medikamente sind Mangelware. Wegen anhaltenden Streits mit der PA hat Ramallah im vergangenen Herbst die Auszahlung der Gehälter für alle Staatsbediensteten in Gaza ausgesetzt. In die Bresche war damals Katar wegen seiner prinzipiellen Sympathie für die Moslembruderschaft - die Hamas ist quasi die palästinensische Variante jener regionalen Dachorganisation - eingesprungen. Mit der Geldspritze hoffte Doha eine Versöhnung zwischen Hamas und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die im Westjordanland und damit bei der PA das Sagen hat, herbeizuführen. Doch die angestrebte Regierung der nationalen Einheit läßt auf sich warten. Auch die große Palästina-Konferenz in Moskau unter der Schirmherrschaft des Kremls Mitte Februar hat die beiden Streitparteien nicht erkennbar näher gebracht. Also drohen nun die Kataris mit der Streichung weiterer Hilfsgelder für Gaza ab dem 1. Mai.

Einziger Lichtblick am palästinensischen Horizont ist die 2005 gestartete Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), die gerade in den letzten Jahren in Nordamerika und Europa wegen der mangelnden Kompromißbereitschaft Israels immer mehr an Zulauf gewinnt. Die Verfechter der BDS-Kampagne werfen der Netanjahu-Regierung vor, zwischen Mittelmeer und Jordantal ein Apartheid-System ähnlich dem der Buren gegenüber den Farbigen und Schwarzen in Südafrika, also eine auf Religion und Ethnie basierende Zweiklassengesellschaft installiert zu haben. Mittels Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen sollen die Israelis gezwungen werden, den Palästinensern ihre bürgerlichen Rechte in vollem Umfang zu gewähren. Gegen die BDS-Bewegung laufen die israelischen Behörden Sturm. Anfang Februar hat Israels Ministerium für strategische Angelegenheiten seinerseits eine Kampagne gestartet, mittels derer weltweit alle BDS-Aktivisten als "Terroristen im Anzug" gebrandmarkt werden sollen.

Im US-Kongreß versuchen die Freunde Israels aktuell einen Gesetzentwurf durchzubringen, der die juristische Bestrafung von Teilnehmern und Befürwortern der BDS-Kampagne vorsieht. Doch selbst in den USA läßt die Solidarität mit Israel wegen dessen Unnachgiebigkeit und Rücksichtslosigkeit den Palästinensern gegenüber spürbar nach. Bei der Abstimmung am 4. Februar nach der ersten Lesung des von Marc Rubio aus Florida eingebrachten Entwurfs im Senat votierten fast alle Republikaner dafür, jedoch die Hälfte der Demokraten, darunter die Präsidentschaftskandidaten Cory Booker, Kirsten Gillibrand, Kamala Harris, Elizabeth Warren und Bernie Sanders, dagegen. Noch vor zwei Jahren wäre ein solches Ergebnis undenkbar gewesen. Wenn nun auch in den USA die Kritik am Verhalten Israels merklich zunimmt, kann das der Sache der Palästinensern nur zugute kommen.

21. Februar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang