Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1664: Irak - US-Destabilisierungsinteresse ... (SB)


Irak - US-Destabilisierungsinteresse ...


Im kriegsgeplagten Irak gibt es Herausforderungen und Schwierigkeiten ohne Ende. Das Kalifat des Islamischen Staats (IS) gilt zwar als zerschlagen, doch ist die hochgefährliche "Terrormiliz" im Untergrund nach wie vor rege. Tagtäglich kommt es vor allem in den Provinzen mit hohem sunnitischen Bevölkerungsanteil - das heißt im Norden und im Westen - zu Anschlägen sowie Kämpfen zwischen IS-Dschihadisten und den staatlichen Streitkräften. Die zweitgrößte Stadt Mossul liegt seit der Rückeroberung 2017 durch die Armee und die US-Luftwaffe zu weiten Teilen in Trümmern. Dort kommt der Wiederaufbau - nicht zuletzt wegen der instabilen Sicherheitslage - äußerst schleppend voran. Die Yazidis haben vor wenigen Tagen der Rückkehr aller 2014 vom IS verschleppten und in den meisten Fällen auch vergewaltigten Frauen und Mädchen aus ihrer Religionsgemeinschaft zugestimmt, die Kinder solcher "Ehen" kategorisch ablehnt. Was mit jenen armen Geschöpfen passieren soll, weiß niemand.

Im Südirak stehen die Behörden beim Versuch, die Ölförderung zu steigern und die staatlichen Einnahmen anzukurbeln, vor dem Problem, daß die für die Erzeugung unterirdischen Drucks benötigten Wassermengen nicht vorhanden sind, einerseits aufgrund des weltweiten Klimawandels, andererseits wegen der zahlreichen Dämme und Wasserkraftwerke, welche die Türkei in den letzten Jahren am Oberlauf von Euphrat und Tigris errichtet hat. Die Wasserknappheit im irakischen Süden und deren Auswirkung auf die Landwirtschaft ziehen inzwischen Stammesfehden nach sich, bei denen es laut Medienberichten bereits zum Einsatz von Drohnen gekommen ist - ob nur zu Beobachtungszwecken oder auch zum Sprengstofftransport als Waffe ist unklar.

So oder so geben im Irak die wachsenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran Anlaß zu größter Sorge. Unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung" sind Zehntausende Soldaten, Militärausbilder, Piloten, Techniker und private Militärdienstleister aus den USA auf mehreren größeren Luftwaffenstützpunkten stationiert. Gleichzeitig gilt der Iran als enger Verbündeter des Iraks. Bei der großen Offensive gegen den IS in den Jahren 2014 bis 2017 hat die iranische Revolutionsgarde eine führende Rolle gespielt und unter anderem den damals neu gegründeten Volksmobilisierungskräften, deren Mitglieder mehrheitlich schiitisch waren, auf dem Schlachtfeld beratend zur Seite gestanden. Aus den Parlamentswahlen 2018 gingen zwei Blöcke als Sieger hervor. An erster Stelle landete die "Allianz der Revolutionäre für Reform", auch "Al Sairun" ("Die Marschierer") genannt, ein Bündnis zwischen der Al-Ahrar-Partei des einstigen schiitischen "Radikalpredigers" Muktada Al Sadr und den irakischen Kommunisten. Den zweiten Platz errang die von Ex-Kommandeuren der Volksmobilisierungskräfte gegründete Allianz Al Fatah (Eroberer). Auf eine Koalition aus diesen beiden Gruppierungen stützt sich seitdem die Regierung um Premierminister Adil Abdul Mahdi.

Bekanntlich streben Al Sairun und Al Fatah den schnellstmöglichen Abzug aller US-Streitkräfte aus dem Irak an und haben im Parlament zu Bagdad deshalb eine entsprechende Initiative gestartet. Um dem Vorhaben Nachdruck zu verleihen, hat am 27. April Muktada Al Sadr eine Reihe von Forderungen aufgestellt, wie der Irak aus dem kommenden Konflikt zwischen den USA und dem Iran herausgehalten werden könnte. Er verlangte unter anderem die Heimholung aller irakisch-schiitischen Milizionäre, die in Syrien an der Seite der iranischen Revolutionsgarden sowie mit Unterstützung der russischen Luftwaffe gegen sunnitische Aufständische kämpfen. Er regte zudem Friedensgespräche unter irakischer Vermittlung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien an, um die Spannungen am Persischen Golf beizulegen.

Al Sadr erteilte sowohl einer Teilnahme des Iraks an einem Krieg zwischen den USA und dem Iran als auch einer Nutzung irakischen Territoriums als Aufmarschgebiet amerikanischer Bodenstreitkräfte oder als Flugplatz der US-Luftwaffe eine kategorische Absage. Er machte die USA und Israel als Hauptverantwortliche für die Instabilität in der Region Nahost aus und warf dem amerikanischen Botschafter in Bagdad, Douglas Silliman, ständige Einmischung in die irakische Innenpolitik vor. Silliman hatte vor kurzem seine irakischen Gastgeber vor den Kopf gestoßen, als er anläßlich des Besuchs des iranischen Präsidenten Hassan Rohani diesem Korruption im eigenen Land vorwarf. Laut Al Sadr können sich die Amerikaner auf Angriffe seitens irakischer Milizionäre auf ihre Botschaft in der Grünen Zone Bagdads gefaßt machen, sollte es tatsächlich zum Krieg zwischen den Iran und den USA kommen.

Am heutigen 2. Mai laufen die letzten Ausnahmegenehmigungen, was die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen alle Importeure iranischen Öls und Gases betrifft, aus. Mit dieser Maßnahme will Washington nach eigenen Angaben die iranischen Ölexporte "auf Null" setzen und damit für einen "Regimewechsel" in Teheran sorgen. Unklar ist, ob sich die größten Käufer iranischen Öls wie China, Indien und die Türkei dem Sanktionswillen Washingtons beugen werden. Der Irak, der auf Gasimporte aus dem Iran zur Aufrechterhaltung der staatlichen Stromversorgung dringend angewiesen ist, bildet hierbei eine Ausnahme. Im März hat die Regierung von US-Präsident Donald Trump Bagdad weitere 90 Tage Zeit gegeben, um alternative Arrangements zustande zu bringen. Mitte April haben Bagdad und Riad einen Vertrag über die Stromlieferung aus Saudi-Arabien unterzeichnet, doch dürfte die geplante Errichtung der 280 Kilometer langen oberirdische Stromtrasse mindestens ein Jahr dauern.

2. Mai 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang