Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1673: Iran - US-Medizin, US-Erreger ... (SB)


Iran - US-Medizin, US-Erreger ...


Was genau in den frühen Morgenstunden des 13. Juni im Golf von Oman geschah, der die Straße von Hormus mit dem Indischen Ozean verbindet, und wer den "mutmaßlichen Angriff" - O-Ton der US-Kriegsmarine - auf die beiden Öltanker Kokuka Courageous und Front Altair durchgeführt hat, wissen keine Außenstehenden, sondern einzig die Täter selbst. Nach nur wenigen Stunden stand für US-Außenminister Mike Pompeo fest, daß die Streitkräfte des Irans für den Vorfall und damit die akute Bedrohung des internationalen Schiffsverkehrs am Persischen Golf verantwortlich seien. Pompeo begründete seine angeblich zwingende Feststellung mit dem Hinweis auf "nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die verwendeten Waffen, die erforderliche Expertise, um eine solche Operation durchzuführen". Die Behauptungen von Donald Trumps Chefdiplomaten sind jedoch mit höchster Vorsicht zu genießen, hatte dieser doch noch im April bei einem Auftritt an der A&M University in Texas damit geprahlt, als CIA-Direktor habe er samt seinen Untergebenen "gestohlen, betrogen und gelogen". In der CIA-Zentrale führe man darüber ganze Ausbildungskurse durch, was einem als US-Bürger "die Herrlichkeit des amerikanischen Experiments" vor Augen führe, so der wiedergeborene Christ.

Am Abend des 13. Juni veröffentlichte dann das Pentagon eine Schwarz-Weiß-Videosequenz, die offenbar von einem Flugzeug oder einer Drohne aus der Luft, aufgenommen worden war, sowie ein Farbfoto der Steuerbordseite der Kokuka Courageous, die aus dieser Perspektive von einem anderen Boot oder Schiff beschossen worden zu sein schien. In dem rund eineinhalbminütigen Videomitschnitt ist ein etwa acht Meter langes, halboffenes Motorboot zu sehen, in dem sich zahlreiche Männer befinden und das neben dem Rumpf der viel größeren Kokuka Courageous in Position gehalten wird. Einzelne Männer machen sich am Rumpf des Tankers zu schaffen. Anschließend entfernt sich das Boot wieder.

Nach Informationen der US-Kriegsmarine handelt es sich dabei um iranische Militärs, die gerade eine Haftmine vom Rumpf der Kokuka Courageous entfernen. Diese Interpretation deckt sich mit der These, die Iraner hätten mittels einer oberhalb der Wasserlinie angebrachten Haftmine oder eines Sprengsatzes ein Loch in den Rumpf der Kokuka Courageous gerissen. Doch auf dem vom Pentagon veröffentlichten Farbfoto, das fast die ganze Steuerbordseite des Öltankers zeigt, ist hinten das gesprengte Loch und weiter vorne und auf gleicher Höhe irgendein fremdartiges Objekt zu sehen. Wurde das Foto geschossen, bevor die Iraner die zweite Haftmine entfernten? Und wenn ja, von wem? Die ganze Geschichte ist dubios und das nicht nur, weil man heutzutage mit der digitalen Bildbearbeitung gefälschte "Beweise" für jegliche Zwecke produzieren kann.

Interessant sind daher die Angaben, welche am Tag danach Yutaka Katada, Chef der in Tokio ansässigen Eigentümerfirma des Schiffs Kokuka Sangyo, bei einer Pressekonferenz gemacht hat. Ihm zufolge ist die Kokuka Courageous in der fraglichen Nacht zweimal innerhalb von drei Stunden beschossen worden. Eines der "fliegenden Objekte" sei fast in die Brücke eingeschlagen. Erst als die philippinische Besatzung das Loch am Rumpf und daneben den zweiten Sprengsatz entdeckte, beschloß sie, das Schiff zu verlassen und in die Rettungsboote zu steigen, so Katada. Die Männer wurden von einem anderen Schiff in den vielbefahrenen Gewässern aufgenommen und nach kurzer Zeit in die Obhut der Zerstörers U. S. S. Bainbridge übergeben. Die Besatzung der Front Altair, die wegen einer offenbar fremdverschuldeten Explosion am Rumpf in Brand geraten war, wurde vom Containerschiff Hyundai Dubai aufgenommen und anschließend an die iranische Küstenwache übergeben. Inzwischen befindet sich wieder eine Notbesatzung auf beiden Schiffen, die mit Hilfe von Schleppern vorsichtig in den nächstgelegenen Hafen manövriert werden, wo sie repariert werden sollen.

Der Vorfall ereignete sich nur einen Monat, nachdem in Fudschaira, dem einzigen Hafen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) am Indischen Ozean, vier Öltanker durch Sprengladungen am Rumpf beschädigt worden waren. Auch damals stellte die Trump-Regierung, allen voran der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, die Iraner als vermeintliche Urheber an den Pranger. Schon damals wies Teheran jede Verwicklung in die Anschläge von sich. Es gibt zwar die Theorie, die Vorfälle könnten das Werk der iranischen Revolutionsgarde sein, die als Reaktion auf die gravierenden Auswirkungen der US-Finanz- und Handelssanktionen auf die Volkswirtschaft der Islamischen Republik die Konfrontation mit den USA in gewissem Ausmaß verschärfen wollten, um mittels der konkreten Bedrohung des internationalen Ölhandels Washington zur Mäßigung zu zwingen.

Diese Theorie hat zwar etwas für sich, erscheint jedoch weniger plausibel als die Vorstellung, rund um die Straße von Hormus seien Kräfte am Werk, die sich dank Trumps "Politik des maximalen Drucks" gegenüber dem Iran der Verwirklichung ihres Traums eines Regimewechsels in Teheran nahe wähnen und darauf nicht verzichten wollen, selbst wenn dafür der Preis eines ganz großen Krieges zu entrichten sei. Vor Wochen hat Bolton die Streitkräfte der USA am Persischen Golf aufgestockt. Seitdem üben B-52-Bomber dort offen Angriffe auf strategische Ziele im Iran. Hinzu kommen Hinweise unter anderem über die New York Times und das Wall Street Journal, daß besagte "Erkenntnisse" über gestiegene Angriffsabsichten der Iraner auf amerikanische Ziele im Nahen Osten aus Israel kommen, dessen Premierminister Benjamin Netanjahu seit Jahren die Welt von der "existentiellen Bedrohung" seines Staates durch das "Mullah-Regime" zu überzeugen versucht.

Bekanntlich haben die israelischen Geheimdienste eine nicht unwichtige Rolle gespielt, als es der Regierung George W. Bushs 2002 und 2003 darum ging, der amerikanischen Öffentlichkeit eine vom Irak Saddam Husseins ausgehende Bedrohung für den Weltfrieden weiszumachen. Seit Monaten existiert beim Nationalen Sicherheitsrat in Washington eine amerikanisch-israelische Arbeitsgruppe, die sich speziell mit der "iranischen Gefahr" und Wegen ihrer Bekämpfung befaßt. Dort werden an den zuständigen amerikanischen Geheimdiensten vorbei nachrichtendienstliche "Erkenntnisse" aus Israel in bezug auf den Iran verarbeitet und dem Präsidenten vorgelegt - ähnlich wie es vor rund fünfzehn Jahren geschah, damals unter der Mitwirkung und heute unter der Leitung Boltons, der sich seit langem als Verfechter eines strammen Kriegskurses gegenüber Teheran positioniert.

Seit Wochen kursieren in Washington Gerüchte, wonach Trump Boltons überdrüssig ist und ihn feuern will. Der Präsident möchte im November 2020 unbedingt wiedergewählt werden, hat jedoch das Problem, daß sein großes Versprechen von 2016, die unsinnigen und kostenintensiven Kriege der USA in Übersee zu beenden, bislang unerfüllt bleibt. An diesem Umstand hat Bolton, der den Friedensgipfel Trumps mit Nordkoreas Kim Jong-un Ende Februar in Hanoi mit überzogenen Forderungen torpediert hat und stets den Einsatz von US-Waffengewalt in Syrien, Irak, Iran und Jemen befürwortet, wesentlichen Anteil. Vor wenigen Tagen hat sich Trump überraschend zu Gesprächen mit Teheran "ohne Bedingungen" bereiterklärt. Gerade an dem Tag, an dem die beiden Öltanker im Golf von Oman angegriffen wurden, traf der japanische Premierminister Shinzo Abe mit dem iranischen Religionsführer Ali Khamenei zusammen. Im Vorfeld gab es Hinweise, Abe solle im Auftrag Trumps mit Khamenei die Möglichkeiten einer Entspannung, wenn nicht gar einer Versöhnung, ausloten. Doch die spektakulären Explosionen auf der Kokuka Courageous und der Front Altair haben diesen Ansatz zunichte gemacht. Großajatollah Khamenei hat Trumps Gesprächsangebot als "unseriös" zurückgewiesen.

Die Idee, hinter den Angriffen steckten nicht iranische, sondern vielleicht westliche oder arabische Streitkräfte, ist nicht so abwegig, wie sie vielleicht klingt. Beide Schiffe hatten gerade den Persischen Golf durch die Straße von Hormus verlassen und fuhren in südöstlicher Richtung, als sie auf der Steuerbordseite - der dem Iran abgewandten Seite - angegriffen wurden. Wären die Iraner die Angreifer gewesen, hätten sie aller Wahrscheinlichkeit nach die ihnen zugewandte Backbordseite angriffen - um mit weniger Aufmerksamkeit ihr Werk zu verrichten und auch schneller davonkommen zu können. Dieselbe Logik läßt in diesem Fall eine Verwicklung von Streitkräften, die aus südwestlicher Richtung, sprich von Oman oder den VAE, gekommen wären, naheliegender erscheinen. Als Täter kämen US-Kampftaucher oder auch Elitesoldaten des britischen Special Boat Service (SBS) in Frage, die wie ihre Kameraden vom weit bekannteren, weil berüchtigten Schwesterdienst Special Air Service (SAS) extra dafür ausgebildet werden, hinter feindlichen Linien zu operieren und Sabotageaktionen durchzuführen, und die laut der in London erscheinenden Zeitung Daily Express seit Anfang Mai in der Region "auf geheimer Mission" sein sollen.

15. Juni 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang