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USA/1210: Folterskandal - Hauptbelastungzeuge Al Libi ermordet? (SB)


Folterskandal - Hauptbelastungzeuge Al Libi ermordet?

Gaddhafis Handlanger erledigen die Drecksarbeit für Bush und Cheney


Seit Wochen liefern sich in den USA Demokraten und Republikaner einen heftigen Streit um die Folter gefangengenommener, mutmaßlicher "Terroristen". Während die Demokraten, welche die Mehrheit im Repräsentantenhaus und Senat innehaben, überlegen, die bei der Vorgängerregierung George W. Bushs für die Anwendung "verschärfter Vernehmungsmethoden" Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, werfen der Ex-Vizepräsident Dick Cheney und republikanische Hardliner wie Senator Lindsey Graham aus South Carolina Präsident Barack Obama bezichtigen, durch die Schließung der "black sites" der CIA, die anvisierte Räumung des Internierungslagers Guantánamo Bay auf Kuba und das Verbot von Folter die nationale Sicherheit Amerikas aufs Spiel gesetzt zu haben. In der medialen Debatte in den USA wird jedoch kaum wahrgenommen - bis auf eine Kurzmeldung am 13. Mai in der New York Times -, daß der vielleicht wichtigste Zeuge in dieser ganzen traurigen und beschämenden Affäre vor kurzem plötzlich und unter merkwürdigen Umständen aus dem Leben geschieden ist und dadurch niemals wird zu Ungunsten Bushs, Cheneys, des Ex-Pentagonchefs Donald Rumsfeld und ihre Handlanger aussagen können.

Die Rede ist von Ibn Al Scheich Al Libi, dessen unter Folter erzwungene Aussagen bezüglich der vermeintlichen Verbindungen zwischen dem Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens und der Baath-Regierung Saddam Husseins eine entscheidende Rolle bei der Begründung des angloamerikanischen Einmarsches im März 2003 in den Irak spielten. Erst vor kurzem haben Mitarbeiter von der New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) entdeckt, daß sich diese Schlüsselfigur bei der propagandistischen Verwandlung der Jagd auf die Hintermänner der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in einen "globalen Antiterrorkrieg", der mit Afghanistan seinen Anlauf nahm, sich auf den Irak erstreckte, niemals enden und zu weiteren "Regimewechseln" in sogenannten "Schurkenstaaten" führen sollte, seit Anfang 2006 in einem libyschen Gefängnis befand.

Bei einem Besuch am 27. April im Abu-Salim-Gefängnis in der libyschen Hauptstadt Tripolis zwecks Überprüfung der Verhältnisse dort waren die HRW-Mitarbeiter nach eigenen Angaben "fassungslos", als die Wärter sie beim Rundgang auf Al Libi aufmerksam machten. Als die HRW-Leute versuchten mit dem ehemaligen Al-Kaida-Mitglied zu sprechen, wollte dieser nichts davon wissen. In einem Bericht der schottischen Zeitung Sunday Herald vom 17. Mai schilderte die HRW-Vertreterin Stacy Sullivan, die persönlich dabei war, die überraschende Begegnung. Demnach hat sich Al Libi geweigert, sich von den Menschenrechtsaktivisten befragen zu lassen, und sich von ihnen mit den Worten abgewandt: "Wo seid Ihr gewesen, als ich in amerikanischen Gefängnissen gefoltert wurde?" Laut Sullivan ist Al Libi "sehr wütend" geworden und "einfach weggegangen". Nur wenige Tage nach diesem Vorfall wurde der 45jährige Libyer erhängt in seiner Zelle aufgefunden.

Zwar kann man nicht ausschließen, daß er sich selbst umgebracht hat, wahrscheinlich ist jedoch, daß durch die Liquidierung Al Libis die Regierung Muammar Gaddhafis den neuen Freunden in Washington einen Dienst erweisen wollte. Nach der Feststellung seines Aufenthaltsortes hätten sich internationale Anwälte wie Philippe Sands oder Clive Stafford Smith, die sich in den letzten Jahren durch ihren unermüdlichen Einsatz für gefangengenommene "feindliche Kombattanten" in Guantánamo, im afghanischen Bagram und anderswo hervorgetan haben, mit Sicherheit mit dem Fall Al Libis befaßt und ihn einem weiteren Publikum bekanntgemacht, damit ihm endliche eine gewisse Gerechtigkeit widerfährt.

Derzeit kocht das Thema rechtlicher Schitte gegen Bush, Cheney und Co. wegen Folter international sehr hoch. Doch Al Libi wäre nicht allein unter diesem Gesichtspunkt ein wichtiger Belastungszeuge gewesen. Weil die von Al Libi gewonnenen "Erkenntnisse" über eine Zusammenarbeit zwischen Al Kaida und der früheren irakischen Regierung auf dem Gebiet der Massenvernichtungswaffen bei der Herbeiführung eines Vorwands für den großen Anti-Saddam-Feldzug bedeutsam waren, hätten Al Libis Ausführungen mit Sicherheit ihren Eingang in eine Anklage wegen der Vorbereitung eines illegalen Angriffskriegs - seit den Tagen der Nürnberger Prozesse bekanntlich das schlimmste Verbrechen, das es gibt - gefunden.

In einem höchst lesenswerten Artikel, der am 18. Mai bei Consortiumnews.com erschienen ist, hat der langjährige, ranghohe CIA-Analytiker Ray McGovern die damalige Bedeutung der Aussagen Al Libis in aller Ausführlichkeit erläutert. Al Libi soll von 1995 bis 2000 das Ausbildungslager der Al Kaida im ostafghanischen Khaldan geleitet haben. Einen Monat nach Beginn des Afghanistankrieges im Oktober 2001 wurde Al Libi in Pakistan verhaftet. Zuerst wurde er in ein US-Kriegsgefangenenlager im afghanischen Kandahar verlegt, danach auf das US-Kriegsschiff Bataan im Arabischen Meer transferiert. Im Rahmen des "Extraordinary rendition"-Programms der CIA wurde er Anfang 2002 nach Ägypten geflogen und dort schwer gefoltert.

Die ägyptischen Folterschergen, die offenbar ihre Anweisungen vom Amt des damaligen US-Vizepräsidenten Cheney hatten, wollen Informationen über eine Verbindung zwischen Al Kaida und dem Irak bekommen - Informationen, die ihnen zu geben, Al Libi größte Probleme bereitete, weil sie nicht existierten. Weil selbst das Waterboarding nicht die gewünschte Wirkung zeigte, haben die Ägypter Al Libi in einen engen Sarg gesteckt und ihn dort 17 Stunden lang schmoren lassen. Danach holten sie ihn heraus und boten ihm eine "letzte Gelegenheit", mit der Wahrheit auszurücken. Nach einer weiteren fünfzehnminütigen Traktiererei am Boden mit Händen und Füßen wurde Al Libi "geständig". Er sagte aus, die Iraker hätten zwei Mitglieder der Al Kaida an biologischen und chemischen Waffen ausgebildet. CIA-Dokumenten zufolge, die 2004 freigegeben wurden, hat Al Libi später sein Geständnis zurückgenommen. In einem Bericht des Geheimdienstauschusses des US-Senats von 2006 räumte man ein, er habe sich die damalige Geschichte nur ausgedacht, um weiteren Folterungen zu entgehen.

McGovern führte Lawrence Wilkerson, seinerseits Stabschef Colin Powells, als Zeuge an, demzufolge es vor allem die Angaben Al Libis waren, die den damaligen US-Außenminister trotz großer Zweifel bewogen haben, am 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York aufzutreten und die "Beweise" der Bush-Administration für einen "finsteren Nexus" zwischen den Freiwilligen Bin Ladens und dem Sicherheitsapparat Saddam Husseins zu präsentieren. Laut Wilkerson stand Powell lange Zeit den "Erkenntnissen" der CIA und des Pentagons über die vom Irak ausgehende "Bedrohung" skeptisch gegenüber, ließ sich jedoch weniger als eine Woche vorher zu seinem berühmt-berüchtigten Auftritt von dem damaligen CIA-Chef George Tenet überreden.

Zum Schlüsselmoment soll es am 1. Februar 2003 gekommen sein, als Powell und Wilkerson im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, waren, wo sie sich mit den gesammelten Informationen der US-Geheimdienste bezüglich des Iraks auseinandersetzten und davon nicht besonders beeindruckt gewesen sein sollen. Doch dann ließ Tenet, so Wilkerson, "die Bombe platzen", als er mit dem angeblich "brandfrischen" Geständnis Al Libis hinsichtlich einer "substantiellen Verbindung zwischen AK und Bagdad, einschließlich der Ausbildung von AK-Agenten in der Verwendung chemischer und biologischer Waffen durch die Iraker" aufwartete. Angesicht der Tragweite solcher Mauscheleien - nicht zuletzt Abertausende infolge der US-Invasion gewaltsam ums Leben gekommene Iraker - fällt es wirklich schwer, an einen Selbstmord Al Libis zu glauben.

19. Mai 2009