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USA/1229: Guantánamo-Gefängnispersonal unter Mordverdacht (SB)


Guantánamo-Gefängnispersonal unter Mordverdacht

Medien und Regierung ignorieren beunruhigende Enthüllung Scott Nortons


Am 21. Januar 2009, dem ersten Arbeitstag des Demokraten Barack Obamas als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, bestand praktisch seine allererste Amtshandlung darin, die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers auf dem Gelände des US-Marinestütztpunkts Guantánamo Bay auf Kuba, wo seit Beginn des sogenannten "globalen Antiterrorkrieges" Hunderte von mutmaßlichen Radikalislamisten, Taliban-Kämpfern und Al-Kaida-Mitgliedern in den allermeisten Fällen als rechtlose Wesen interniert werden, zu verfügen. Ungeachtet des Ultimatums des angeblich mächtigsten Mannes der Erde läuft zwölf Monate später der Betrieb im Sonderinternierungslager Guantánamo weiter. Der innenpolitische Widerstand seitens der Republikaner und einiger reaktionärer Politiker aus Obamas demokratischer Partei hat eine Schließung der Anlage verhindert.

Die Enttäuschung zahlreicher Bürgerrechtler, Friedensaktivisten und Kriegsgegner, die sich von der Wahl Obamas einen "Wandel, an dem man glauben" könne, versprochen haben, ist erwartungsgemäß sehr groß. Doch dies hängt nicht allein mit dem verfehlten Datum für die geplante Schließung von Guantánamo, den das Weiße Haus inzwischen für irgendwann im Jahr 2011 anvisiert hat, zusammen, sondern mit der Tatsache, daß die Obama-Regierung nur eine kosmetische Veränderung aus PR-Gründen vornehmen will und nichts unternimmt, um sich grundsätzlich vom "Antiterrorkrieg" der republikanischen Vorgängeradministration George W. Bushs und den jenem Feldzug zugrundeliegenden Annahmen zu distanzieren. Für dieses Versäumnis ist die Nicht-Schließung von Guantánamo nur eines von mehreren Beispielen aus den letzten Tagen.

Am 21. Januar wurde offiziell bekanntgegeben, daß eine Sonderarbeitsgruppe des US-Justizministeriums, die sich mit der Frage des Schicksals der 196 in Guantánamo verbliebenen Häftlinge befaßt, dem Präsidenten empfehlen wird, rund 110, denen nichts vorzuwerfen oder nachzuweisen ist, zu entlassen, 35 wegen irgendwelcher "terroristischer Aktivitäten" anzuklagen und vor Gericht zu bringen und 47 weitere einfach auf Lebenszeit einzusperren, entweder weil sie als zu gefährlich gelten oder weil die sie belastenden Aussagen durch Folter erzwungen wurden und sie deshalb nicht nur entlassen, sondern auch noch entschädigt werden müßten. Was es zu bedeuten hätte, sollte Obama die Empfehlung jenes Sondergremiums annehmen - womit stark zu rechnen ist -, ist klar: die Zementierung der von der Bush-Regierung begangenen Aushebelung der US-Verfassung, deren heiligstes Prinzip der Schutz vor staatlicher Willkür darstellt.

Wie wenig Verlaß inzwischen auf die US-Verfassung ist, zeigt ein spektakulärer Bericht, den Scott Horton am 18. Januar auf der Website der Zeitschrift Harper's veröffentlichte (der Artikel erscheint in der Print-Ausgabe vom März 2010). Horton, der selbst Anwalt ist und sich publizistisch mit der Guantánamo-Problematik seit einigen Jahren befaßt, legte eine ganze Reihe von Indizien, darunter die Aussagen mehrerer ehemaliger Wärter, vor, die den Schluß nahelegen, daß der Selbstmord dreier Gefangener am 9. Juni 2006, den damals Pentagon und Weißes Haus als einen Akt "asymetrischer Kriegsführung" haßerfüllter Fanatiker ausgaben, keiner war, sondern daß die Männer, die damals an einem Hungerstreik gegen die unwürdigen Bedingung ihrer Inhaftierung teilnahmen, in einer geheimen, bisher unbekannten CIA-Anlage zu Tode gefoltert, das heißt ermordet wurden, und daß die Bush-Regierung dies wußte und vertuscht hat. Die mediale Reaktion in den USA auf den Artikel Hortons, der sehr gut recherchiert ist, fiel mehr als bescheiden aus. Die großen Zeitungen wie die New York Times, das Wall Street Journal und die Washington Post sowie die Nachrichtenredaktionen der großen Fernsehsender ABC, CBS, NBC, CNN und Fox News wollten nichts davon wissen. Auch eine Stellungnahme der Obama-Regierung blieb aus.

Die feige Haltung des Weißen Hauses und der wichtigsten Informationsquellen der USA hängt mit der gesellschaftlichen Atmosphäre auf der anderen Seite des Atlantiks zusammen, die unter anderem dank des sonderbaren Falls des am 25. Dezember 2009 auf dem Flughafen Detroit festgenommenen Unterhosenbombers Abu Farouk Abdulmutallab weiterhin von den Verfechtern des Antiterrorkrieges in allen seinen innenpolitischen und außenpolitischen Facetten beherrscht wird. Dies zeigt der Sieg des republikanischen Underdogs Scott Brown bei der Nachwahl um den Senatssitz des Ende letzten Jahres verstorbenen, früheren demokratischen Anführers Edward Kennedy in Massachusetts. Demoskopen und Politbeobachter führen Browns Sieg nicht zuletzt auf seine Position in der Terrordebatte zurück. Der republikanische Shooting Star lehnt strafrechtliche Prozesse für mutmaßliche Al-Kaida-Mitglieder wie Khalid Sheikh Mohammed und die Verlegung von Guantánamo-Häftlingen in die USA strikt ab.

Die Bedeutung des Verlusts des früheren Sitzes von Ted Kennedy für die Demokraten beschrieb Ben Feller am 21. Januar in einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press wie folgt: "Der Terrorismus drängt sich allmählich wieder in den Vordergrund des amerikanischen Bewußtseins, liefert den wiederermutigten Republikanern im Wahljahr [für Repräsentantenhaus und Senat] ein Thema und zwingt Präsident Obama dazu, sich nach einer unsicheren Periode bezüglich des Heimatschutzes wieder zu behaupten." Etwas drastischer beurteilte dagegen die jüngsten Entwicklungen der ehemalige Stellvertretende US-Finanzminister und ehemalige stellvertretende Chefredakteur des Wall Street Journals, Paul Craig Roberts, der seinen am 19. Januar bei Information Clearinghouse erschienen Gastkommentar mit der deprimierenden Überschrift "Der Rechtsstaat ist untergegangen" versah.

23. Januar 2010