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USA/1257: Skandal um Spionage gegen Bürgerinitiativen in Pennsylvania (SB)


Skandal um Spionage gegen Bürgerinitiativen in Pennsylvania

Schwule, Lesben, Tierrechtler usw. im Blick der Terroristenjäger


Mehr als eineinhalb Jahre nach dem Einzug des Demokraten Barack Obama als 44. Präsident der USA ins Weiße Haus klingen dessen Versprechen aus dem Wahlkampf 2008, den unter dem Republikaner George W. Bush unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung ausufernden Polizeistaat zurückzudrängen und für die strikte Einhaltung von Gesetz und Verfassung durch Polizei, Geheimdienst und Militär zu sorgen, wie der reine Hohn. Bereits vor dem Wahlsieg hat Obama als Senator bei einer entsprechenden Abstimmung im Kongreß die illegale, von Bush jun. nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 initiierte Überwachung sämtlicher Telefon- und Internet-Nutzung in den USA durch die National Security Agency (NSA) nachträglich legitimiert. Aus seiner Ankündigung, das Internierungslager für mutmaßliche "Terroristen" in Guantánamo Bay innerhalb von zwölf Monaten zu räumen, ist nichts geworden. Statt dessen maßt er sich ganz nach dem von Bush vertretenen Konzept der präsidialen Allmacht - "unitary executive" - die gezielte Hinrichtung von unter Terrorverdacht stehenden US-Bürgern an und hat vor Gericht erfolgreich eine Klage einer Gruppe von CIA-Folteropfern gegen das an ihrer Entführung beteiligten Boeing-Subunternehmen namens Jeppesen Dataplan mit dem Totschlagargument der "nationalen Sicherheit" als nicht öffentlich behandelbar zurückweisen lassen.

Auf den enormen Zuwachs des Geheimdienstapparats in den USA seit 9/11, den linke Autoren wie Jeremy Scahill und Tim Shorrock seit längerem dokumentieren und beklagen, hat vor zwei Monaten die Washington Post in einer dreiteiligen, aufsehenerregenden Artikelserie mit Namen "Top Secret America" aufmerksam gemacht. Beim sogenannten nationalen Sicherheitsstaat, der über einen Jahresetat von rund 75 Milliarden Dollar verfügt, sind nach Schätzungen der Post-Journalisten Dana Priest und William Arkin mehr als 750.000 Personen beschäftigt. Die Mehrheit von ihnen sind Mitarbeiter privater Sicherheitsunternehmen wie SAIC, Booz Allen Hamilton, L-3 Communications und General Dynamics und nur eine Minderheit Vertreter der 16 offiziellen Geheimdienste wie CIA, DIA, NSA oder NRO. Priest und Arkin zählten 1931 solcher Privatfirmen auf, die an 10.000 Schauplätzen in den USA mit "geheimen" Aufträgen beschäftigt waren, die sie von 1271 Behörden der Bundesregierung oder der einzelnen Bundesstaaten ausgeschrieben bekommen hatten. In Pennsylvania ist vor wenigen Tagen ein solcher Auftrag bekanntgeworden und hat für einen ziemlichen Skandal gesorgt.

Seit den Flugzeuganschlägen wird in den USA der Schutz der "kritischen Infrastruktur" wie Telefon-, Straßen- und Schienennetz, Strom- und Wassersysteme vor möglichen Anschlägen ganz groß geschrieben. Im Rahmen dieser Bemühungen hatte vor kurzem das Ministerium für Heimatschutz des Bundesstaats Pennsylvania einen entsprechenden Auftrag in Höhe von 125.000 Dollar dem in Philadelphia ansässigen Institute of Terrorism Research and Response (ITRR) erteilt und bekommt von diesem seitdem dreimal die Woche Mitteilungen über die aktuelle Bedrohungslage. Aus der auf den 30. August datierten, zwölfseitigen ITRR-Mitteilung hat am 14. September die in Harrisburg erscheinende Tageszeitung Patriot-News zitiert und damit gleich für Furore gesorgt. Aufgelistet als potentielle Gefahren wurden eine bevorstehende Tierrechtsprotestaktion vor einem Rodeo, eine öffentliche Anhörung über eine geplante Gasbohrung, eine Konferenz der Forstwirtschaft, ein Schwulen- und Lesben-Fest, ein Anti-Kriegsmarsch, eine Demonstration gegen die Sprengung von Bergkuppen zwecks Kohleabbau und vieles mehr, unter anderem weil sich "Anarchisten und radikale Black-Power-Leute" unter die Aktivisten mischen könnten. Es wurden zudem das Ende von der muslimischen Fastenzeit Ramadan, das jüdische Neujahrsfest Rosh Hashana und "Burn the Confederate Flag Day" als potentielle Risikoquellen aufgelistet.

Nach Bekanntwerden des ITRR-Bedrohungsanalyse sah sich Pennsylvanias demokratischer Gouverneur Edward Rendell gezwungen, eine öffentliche Stellungnahme abzugeben. Bei einer Pressekonferenz am 15. September gab sich Obamas Parteikollege laut der Nachrichtenagentur Associated Press "zutiefst beschämt" und entschuldigte sich bei den diversen Gruppen, deren Inanspruchnahme ihres "in der Verfassung verbrieften Rechts auf friedlichen Protest" zu einer Terrorbedrohung aufgebauscht worden war. Das Sammeln dererlei Informationen über die Aktivitäten friedlicher Bürger sei "lachhaft", und die Tatsache, daß die Steuerzahler Pennsylvanias dafür auch noch bezahlten, "niederschmetternd", so Rendell. Er gelobte Besserung und kündigte an, die Polizei darum zu bitten, sinnvollere Wege zum Schutz der "kritischen Infrastruktur" zu erkunden. Bezeichnenderweise jedoch hat Rendell den Leiter des Heimatschutzes in Pennsylvania, James Powers, nicht gefeuert und statt dessen lediglich den Auftrag an das ITRR gekündigt.

16. September 2010