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USA/1287: Obamas Libyen-Krieg verstößt gegen geltendes Gesetz (SB)


Obamas Libyen-Krieg verstößt gegen geltendes Gesetz

Der Kongreß fällt vor dem Imperator im Weißen Haus auf die Knie


Bei seiner erfolgreichen Kandidatur um die US-Präsidentschaft 2008 hat der Demokrat Barack Obama das eigenmächtige Handeln der republikanischen Regierung George W. Bushs mit Hinweis auf die laufenden Konflikte im Irak und Afghanistan immer wieder scharf kritisiert und versprochen, der Verfassung und den Gesetzen Amerikas wieder Geltung zu verschaffen. Wie hohl das Versprechen war, zeigt der Krieg in Libyen, der zu Beginn als Notmaßnahme zum Schutz des Lebens von Zivilisten per Luftangriffe verkauft wurde und sich immer mehr als schon länger geplante Militärintervention der NATO mit dem Ziel eines "Regimewechsels" in Tripolis entpuppt. Hinzu kommt, daß der ehemalige Juraprofessor Obama den Feldzug gegen die Truppen Muammar Gaddhafis ohne die Zustimmung des Kongresses, der als einzige Instanz befugt ist, die US-Streitkräfte in einen Krieg zu schicken, führt.

Vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs und der vom Weißen Haus angeordneten, illegalen Luftangriffe auf Ziele in Laos und Kambodscha hatte der Kongreß 1973 das sogenannte War Powers Act gegen das Veto von Präsident Richard Nixon durchgesetzt, um die verfassungsmäßige Hoheit der Legislative in Kriegsfragen zu unterstreichen und enger zu formulieren. Das Gesetz sieht vor, daß der Präsident in seiner Funktion als Oberkommandierender der Streitkräfte zwar im Notfall jederzeit eine Militäroperation anordnen kann, jedoch innerhalb von 48 Stunden den Kongreß über Sinn und Zweck der Maßnahme unterrichten muß. Erteilen Repräsentantenhaus und Senat innerhalb von 60 Tagen für den Einsatz kein ausdrückliches Mandat, ist dieser sofort zu beenden. Die Frist kann um weitere 30 auf 90 Tage verlängert werden, falls der Präsident dem Kongreß schriftlich garantiert, daß man es mit einer "unvermeidlichen militärischen Notwendigkeit" in Bezug auf die Sicherheit der US-Militärangehörigen zu tun habe.

Angefangen haben die Luftangriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf die regulären libyschen Streitkräfte am 19. März. Zwei Tage später erhielt der Kongreß vom Weißen Haus die schriftliche Zusicherung, daß die Militäroperation "in ihrer Art, Dauer und ihrem Ausmaß" begrenzt bliebe und einer "begrenzten und sorgfältig definierten Mission" - nämlich dem Schutz der libyschen Zivilbevölkerung vor Übergriffen der Gaddhafi-Truppen - diente. Nach 60 Tagen, am 20. Mai, teilte Obama dem Kongreß schriftlich mit, daß die "Teilnahme" der US-Streitkräfte am Libyen-Krieg zwar "entscheidend" für den Erfolg des Vorhabens, aber gleichzeitig nur "unterstützend" sei und daß die eigentliche Führung bei der NATO liege. Tatsächlich wäre die NATO ohne die ganze Logistik der US-Streitkräfte im Mittelmeerraum kaum bis gar nicht in der Lage, die derzeitige Operation gegen Libyen durchzuführen. Doch völlig ungeachtet des Ausmaßes verstößt der Militäreinsatz nach 60 Tagen gegen das War Powers Act, wenn die Exekutive nicht vorher die Zustimmung des Kongresses eingeholt hat. Deshalb hat Richard Lugar, der ehemalige Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Senats und dort heute ranghöchster Vertreter der Republikaner, am 23. Mai in einen Brief an das Weiße Haus Obama vorgeworfen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen als Oberbefehlshaber "nicht nachgekommen" zu haben.

In einem Artikel, der bereits am 21. Mai zum Thema der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Überschreitung der 60tägigen Frist erschienen ist, warnte Jack Goldsmith, Juraprofessor der Harvard University, der 2003 und 2004 im Office of Legal Counsel des US-Justizministeriums die Leitung innehatte, vor den Konsequenzen des von der Obama-Administration geschaffenen Präzedenzfalls. Im selben Artikel berichteten die NYT-Reporter Charlie Savage und Thom Shanker, das Weiße Haus beharre auf den Standpunkt, "daß der Präsident von sich aus die Streitkräfte in ein begrenztes Militärgefecht schicken darf, sollte er entscheiden, daß es im nationalen Interesse liegt, und daß die von der NATO-geführte Kampagne in Libyen einen derartigen Konflikt darstellt".

Im Kongreß regt sich, wie der Brief Lugars zeigt, Widerstand gegen diese Auffassung. Vor allem konservative Republikaner, die wegen der Erodierung der Gewaltenteilung besorgt sind, und liberale Demokraten, denen die bush-ähnliche Selbstherrlichkeit Obamas in Militärfragen mißfällt, gehen auf die Barrikaden. Im Repräsentantenhaus mußte am 1. Juni der Sprecher und Anführer der republikanischen Mehrheit, John Boehner, die Abstimmung über eine Resolution, die der linke Demokrat Dennis Kucinich aus Ohio auf die Tagesordnung gesetzt hatte und die eine Beendigung der Teilnahme der US-Streitkräfte am Libyenkrieg innerhalb von 15 Tagen verlangte, verhindern, weil diese eventuell verabschiedet worden wäre. Im Senat, wo Obamas Demokraten die Mehrheit haben, erfüllt deren Fraktionsvorsitzender Harry Reid eine ähnliche Funktion, nämlich dem Präsidenten Rückendeckung für seine Eigenmächtigkeiten zu verschaffen.

Am 2. Juni hat der US-Verteidigungsminister Robert Gates eine bemerkenswerte Erklärung herausgegeben, in der er den Versuch Kucinichs, den eigenen Präsidenten zur Einhaltung von Gesetz und Verfassung der USA zu zwingen, unumwunden als unangebrachte Einmischung in die Realpolitik abtat. Eine "einseitige" Beendigung der amerikanischen Beteiligung am Anti-Gaddhafi-Feldzug hätte "gefährliche, langfristige Konsequenzen" so Gates. Unter Verweis auf die NATO-Beistandsverpflichtungen behauptete der Ex-CIA-Chef, die US-Streitkräfte müßten den Einsatz fortsetzen, und legte den Volksvertretern im Kongreß "eine legitime Politikdebatte, ohne unnötig unsere Militäroperationen zu unterminieren," nahe. Kurz danach hat der Repräsentantenhaussprecher Boehner für den 3. Juni eine Abstimmung über eine eigene Resolution, in der Präsident Obama wegen der Überschreitung der 60-Tage-Frist zwar kritisiert, jedoch lediglich darum gebeten wird, dem Kongreß mehr Informationen über die Lage in Libyen zukommen zu lassen, auf die Tagesordnung gesetzt. Mit diesem Winkelzug dürfte Boehner Kucinich den Wind aus den Segeln nehmen und dafür sorgen, daß dessen weitaus brisantere Resolution keine Mehrheit erringt.

Als einen der schärfsten Kritiker des Libyenkriegs hat sich George Will, der langjährige konservative Kolumnist der Washington Post, der Obama "humanitären Imperialismus" vorwirft, hervorgetan. Bereits Anfang März hatte Will davor gewarnt, daß es in der Libyen-Frage nicht lange nur bei Luftangriffen bleiben würde, sondern daß die Intervention recht schnell ausarten - "mission creep" - und wahrscheinlich den Einsatz von Bodentruppen erfordern würde. Wie richtig Will mit seiner Einschätzung lag, zeigte die Verlängerung des NATO-Mandats um weitere 90 Tage am 1. Juni. Bei dieser Gelegenheit kündigte der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen an, die Militärintervention erst zu beenden, wenn Gaddhafi "weg" sei, und drohte zugleich mit dem Einsatz von Bodentruppen. Presseberichten zufolge sind in Libyen bereits ehemalige Mitglieder der britischen Spezialstreitkräfte in Söldnerfunktion zugange, beraten die Rebellen, bilden diese aus, führen sie bei Einsätzen und koordinieren die Luftangriffe der NATO.

In einem Beitrag, der am 30. Mai in der Washington Post unter der Überschrift "War Powers Act - Is Obama above the law?" erschienen ist, hatte George Will die Frage der Rechtmäßigkeit der Handlungsweise Obamas im Libyen-Konflikt aufgeworfen und sie nach sorgfältiger Abwägung aller gesetzlichen und verfassungsmäßigen Vorgaben mit nein beantwortet. Der Widerstand vereinzelter Politiker wie Kucinich oder Kommentatoren wie Will läßt jedoch die Kriegstreiberfraktion, welche bekanntlich die demokratische und republikanische Partei seit Jahren dominiert, völlig kalt. Nichts verdeutlicht dies besser als eine Äußerung John McCains zum Streit um den Libyen-Einsatz der US-Streitkräfte, die Will im besagten Post-Artikel wiedergegeben hat: "Kein Präsident hat die Verfassungsmäßigkeit des War Powers Act anerkannt, und ich tue es auch nicht. Also fühle ich mich an keine Frist gebunden." So spricht der uneinsichtige "Fliegerheld" des Vietnamkrieges, dessen Vater und Großvater Admirale der US-Marine waren, und der seit Jahren durch seine exponierte Stellung als ranghöchster Republikaner im Militärausschuß des Senats der Außen- und Sicherheitspolitik der USA ihren aggressiven Ton verleiht.

3. Juli 2011