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BERICHT/059: Eurokrake Sicherheit - Vom Himmel hoch ... (SB)


Überwachung von oben: Satelliten und Drohnen als Instrumente europäischer "Sicherheitspolitik"

Workshop auf dem entsichern-Kongreß in Berlin am 29. Januar 2011

Atomium in Brüssel - © 2011 by Schattenblick

Technophiles Wahrzeichen militärindustrieller Innovation
© 2011 by Schattenblick



Im Kontext kapitalistischer Verwertung korrespondieren Kriege nach außen mit Kriegen nach innen. Euphemistisch als Krisenmanagement verschleiert, entfaltet die neue Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union ihre bellizistische wie zivil-repressive Wucht, um alle Widerstände gegen die forcierte Ausplünderung und Ausbeutung aus dem Feld zu schlagen, seien sie de facto präsent oder präventiv konterkariert. Um in erbitterter Konkurrenz um schwindende Ressourcen, gefährdete Transportwege und Vernutzung menschlicher Arbeitskraft oder Entsorgung derselben Vorteile zu erwirtschaften, beteiligt sich die EU an den Schlachten, die heute zur Vorbereitung jener von morgen geschlagen werden. In Gestalt geostrategischer Positionierung verschafft sie sich günstige Ausgangslagen hinsichtlich künftiger und womöglich finaler Szenarien, während sie zugleich die Gemengelage im Inneren zu verengen und in unlösbare administrative Fesseln zu legen trachtet.

In technologischer Hinsicht bedient sich die europäische Sicherheitspolitik eines wachsenden Arsenals hochkomplexer Instrumente, deren Einsatzgebiete sich über ein breites Spektrum von der Kriegsführung an fernen Fronten bis hin zur Überwachung der Bürger in ihrer nur noch dem Anspruch nach existenten Privatsphäre erstrecken. Zu den zentralen Komponenten dieses nationalstaatlich wurzelnden und supranational entufernden Arsenals gehören Erdbeobachtungssatelliten und Drohnen, die den Traum der Herrschaftssicherung, unangefochten und allumfassend überwachen, kontrollieren und sanktionieren zu können, in einen nicht länger futuristischen Alptraum der Opfer dieser Omnipräsenz überführen.

Im Workshop referierten Malte Lühmann und Volker Eick zur Geschichte, aktuellen Verwendung und künftigen Perfektionierung von Satelliten und Drohnen, wobei sie die Militarisierung der Weltraumpolitik mit der als zivil ausgewiesenen europäischen Sicherheitsforschung verknüpften. Wie sich anhand dieses Themenkomplexes exemplarisch aufzeigen läßt, verschwimmen die Grenzen zwischen Auslandseinsatz und Heimatfront, militärisch und zivil, Armee und Polizei, staatlichen Projekten und privaten Dienstleistern bis zur Unkenntlichkeit. Varianten derselben Technologie lassen sich zu den unterschiedlichsten Zwecken verwenden, so daß als gemeinsamer Nenner die Befeuerung durch aggressive Intentionen der darüber verfügenden Akteure zu Lasten der mittels dieser Instrumente drangsalierten Mehrheiten Gestalt annimmt.

Malte Lühmann studiert Global Political Economy an der Universität Kassel und ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.

Volker Eick ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören urbane Sicherheitsregime, lokale Governance-Konzepte und lokale Beschäftigungspolitik.

Ausweitung der panoptischen Zone in den erdnahen Weltraum

Aus der deutschen Kriegführung im Zweiten Weltkrieg geboren, blieb die Raketentechnologie, die Verklärung des proklamierten Aufbruchs ins All zum universalen Anliegen der ganzen Menschheit in die blutrote Farbe notorischer Kolonisatoren tauchend, im Kern eine Speerspitze modernsten Kriegshandwerks. USA und Sowjetunion lieferten einander ein Wettrennen bei der Entwicklung von Interkontinentalraketen und frühen Überwachungssatelliten zur Erkundung und Überwachung der Abschußstandorte. Daß der Weltraum mangels national abgegrenzter Hoheitsgebiete auch ein Feld internationaler Kooperation sein könnte, deutete sich in einzelnen Fällen konkreter Zusammenarbeit an. Der UN-Weltraumvertrag von 1967 oder das Anfang der 1990er Jahre realisierte Shuttle-Mir-Programm blieben jedoch Ausnahmefälle, die einem um so bellizistischeren Streben nach absoluter Vormacht wichen. Das Gleichgewicht des Schreckens in Gestalt der atomaren Pattsituation mündete keineswegs in einen Prozeß sukzessiver Abrüstung, sondern galt insbesondere westlichen Strategen lediglich als eine auf Dauer unannehmbare Zwischenetappe gebremster Durchsetzungsfähigkeit, die es zu überwinden galt.

Zwar erwies sich das Star-Wars-Programm der Reagan-Ära als überambitioniert, da die im Zuge der NASA-Missionen zum Mond genährten technologischen Omnipotenzphantasien die realen Möglichkeiten zugunsten einer Fiktion ignorierten. Doch brach sich in dieser Doktrin nicht nur der ungebrochene Vormachtanspruch Bahn, sie fügte sich auch nahtlos ein in die aggressive Strategie, die Sowjetunion durch ein neues Wettrüsten ökonomisch in die Knie zu zwingen. Vergleichbar den deutschen "Wunderwaffen" im Zweiten Weltkrieg, die als Werkzeug der Propaganda im eigenen Land die Hoffnung auf den Endsieg munitionierten und im Lager des Feindes weit über ihre tatsächliche militärische Potenz hinaus Vernichtungsängste schürten, verankerte die Drohkulisse der 1980er Jahre westlicherseits eine Beschwörung eigener Stärke, die allen Ansätzen friedlicher Koexistenz das Wasser abgrub.

Die auch unter Kriegsgegnern verbreitete Neigung, sich am vermeintlichen Scheitern größenwahnsinniger Militärplaner zu ergötzen, unterliegt einer verhängnisvollen Fehleinschätzung. War das deutsche Raketenprogramm seiner Zeit voraus, so schuf es doch die Voraussetzungen für die spätere Weiterentwicklung durch die NATO und den Warschauer Pakt. Blieb Reagans Krieg der Sterne seinerzeit ein noch nicht realisierbarer Wunschtraum der Militärs, so entwarf er doch ein Szenario künftiger Schlachtfelder im Weltraum, das zwei Jahrzehnte später wieder aufgegriffen und neu konfiguriert wurde.

US-Präsident George W. Bush unterzeichnete 2006 ein Dokument, das den Dominanzanspruch der USA im Weltraum und ihre Weigerung, sich internationalen Regulierungen zu beugen, zur offiziellen Doktrin erhob. Als Schauplatz künftiger Kriegführung verortete man im Weltraum die Sphäre potentieller Dominanz. Um ihre Interessen gegen die Übermacht der USA durchzusetzen, entwickelten andere Staaten wie Indien oder die VR China ihrerseits Technologien auf diesem Gebiet. Im Januar 2007 sorgte der erfolgreiche Test einer chinesischen Antisatellitenrakete, bei dem ein ausgedienter Wettersatellit abgeschossen wurde, für einen Paukenschlag. Erneut zeichnete sich die Gefahr eines Wettrüstens im All ab, zumal bekanntlich die USA und wohl auch Rußland entsprechende Entwicklungen vorantreiben. [1]

Wie Malte Lühmann ausführte, integriert die moderne westliche Doktrin höchstentwickelter Kriegsführung unter dem Stichwort "Revolution in Military Affairs" (RMA) Weltraumtechnologie in ihre Entwürfe und konkreten Projekte. Der Wunsch nach weltweiter Interventionsfähigkeit ist untrennbar verbunden mit dem Streben nach Vorherrschaft im Weltraum, von wo aus man feindliche Raketentechnologie, Kommunikation und Infrastruktur zu kontrollieren und gegebenenfalls auszuschalten hofft. In der Europäischen Union begann demnach die Arbeit an der Raumfahrtstrategie um das Jahr 1999 in der EU und damit nahezu zeitgleich mit den verstärkten Bemühungen um eine gemeinsame Sicherheitspolitik im Nachklang des Jugoslawien-Kriegs. Die europäische Weltraumorganisation hatte sich bis dahin vor allem mit der Erforschung des Weltalls befaßt und vertraglich auf die Forschung zu friedlichen Zwecken festgelegt. Die Aufweichung dieser zivilen Ausrichtung illustriert Lühmann mit einem Zitat Gerhard Bauer, der in leitender Funktion bei der ESA tätig war. Dieser stellte klar, daß in der Interpretation der eigenen vertraglichen Grundlage "friedlich" keineswegs "nicht militärisch" bedeutet, sondern "nicht aggressiv".

Auf nationaler Ebene waren militärische Strategien unter Einbeziehung der Raumfahrt insbesondere in Frankreich und Britannien längst weiter fortgeschritten, nun folgte die EU nach. Im Rahmen dieser Politik sind drei zentrale Elemente zu nennen: Galileo, das europäische Pendant zum amerikanischen GPS, mit dem unter anderem Lenkraketen gesteuert werden können. Das Europäische Satelliten Zentrum EUSC auf einer spanischen Luftwaffenbasis. Und schließlich das Projekt Global Monitoring for Environment and Security (GMES). Da Galileo geläufig sein dürfte, ging Lühmann vor allem auf die beiden letztgenannten ein.

Das seit 1991 bestehende Europäische Satelliten Zentrum (EUSC) ist heute die Lerninstitution der zivilmilitärischen Weltraumüberwachung der EU. Dort sind inzwischen 84 Mitarbeitende damit beschäftigt, Satellitenbilder auszuwerten sowie Geo-Informationen und Kartenmaterial zu liefern, womit sie an allen bislang durchgeführten Interventionen der EU beteiligt waren. Zudem bilden sie Personal aus den Nationalstaaten im Umgang mit diesem Material aus und arbeiten mit Organisationen wie der Grenzschutzagentur Frontex eng zusammen. Fordert beispielsweise die EU-Mission "Atalanta" eine aktuelle Karte der von Somalia an, sammelt EUSC entsprechende Daten von den Satelliteneignern, die teils in öffentlicher Hand, zumeist jedoch von Privatfirmen betrieben werden. Diese Daten werden von EUSC zu einer nutzbaren Karte weiterverarbeitet, wobei der gesamte Vorgang von der Anfrage bis zur Lieferung im Normalfall 24 bis 36 Stunden in Anspruch nimmt.

Beim Projekt GMES werden Satellitenprogramme der Nationalstaaten zusammengefaßt und für die EU-Politik dienstbar gemacht. Zusätzlich dazu baut die ESA fünf eigene Satelliten für GMES. Das Projekt führt alles zusammen, was im Bereich der EU irgend etwas mit Satelliten zur Erdbeobachtung zu tun hat. Es bedient ein breites Spektrum von Landwirtschaft, Meeresforschung und Atmosphäre bis hin zum Sicherheitsbereich, so daß zivile Aufgaben wie etwa die Beobachtung der Gletscherschmelze fließend in die Grenzsicherung, die Überwachung ausländischer Atomanlagen oder die Unterstützung von Militärinterventionen übergeht.

In inhaltlich unterschiedenen und zeitlich aufeinanderfolgenden Teilprojekten trieb man die Entwicklung der Sicherheitsforschung auf diesem Gebiet voran, präzisierte die Fragestellung und konkretisierte die Anwendung. Diese Projekte sind keineswegs rein militärisch, da sie neben militärischen Einrichtungen auch EU-Behörden, nationale Raumfahrtagenturen, Forschungsinstitute, Universitäten und nicht zuletzt die Privatwirtschaft einbinden. Irreführend als "double use" beschrieben, geht es bei diesen Vorhaben letzten Endes darum, die finanziellen Mittel und Innovationen ziviler Projekte auch militärisch zu nutzen.

Anhand einiger Beispiele machte Malte Lühmann deutlich, wo satellitengestützte Überwachung zum Einsatz kommt. Bei der Seeüberwachung grenznaher Räume insbesondere im Mittelmeer dient das System AIS zur Schiffsidentifikation. Durch die Verknüpfung von Satellitenbildern und AIS-Daten kann man feststellen, ob es sich um Schiffe mit legitimer Kennung oder nicht identifizierte Fahrzeuge handelt, die man als potentielle Gefahr einstuft. AIS wird voraussichtlich mittelfristig für alle legal in EU-Gewässern verkehrenden Schiffe Pflicht, so daß man dieses Instrumentarium künftig noch wesentlich einfacher und präziser benutzen kann.

Die Überwachung von Migrationen fängt jedoch weit vor den Grenzen Europas an. So werden beispielsweise Flüchtlingslager im Tschad oder im Sudan anhand von Satellitenbildern analysiert, um abzuschätzen, wieviele Menschen dort leben und ob die Lager wachsen oder schrumpfen. Auf diese Weise will man Wanderungsbewegungen frühzeitig erkennen und Migrationen in den Griff bekommen. Eindeutig in den militärischen Bereich fallen Bilder, die im Zusammenhang mit der EU-Mission "Atalanta" vor Somalia aufgenommen werden. Dort werden Schiffe lokalisiert und Küstenregionen erkundet, um die Infrastruktur der Piraten auszuforschen.

Auch in Deutschland wird eine breite Palette von Aufgaben mit Hilfe von Satelliten bewältigt, die von zivilen Bereichen wie dem Katastrophenschutz bis zu polizeilichen Einsätzen gegen Gipfel- oder Atomkraftgegner reichen. Wie der Referent anhand entsprechender Aufnahmen illustrierte, ist die Auflösung schon bei frei zugänglichem Bildmaterial so hoch, daß man Einzelheiten am Boden identifizieren kann. Wesentlich ist an der satellitengestützten Überwachung, daß sie weniger Echtzeitbeobachtung, als vielmehr eine Langzeitkontrolle zum Ziel hat, aus der Taktiken und Planungen abgeleitet werden können. Ihr Nutzen ist mithin in der Regel strategischer Natur, wohingegen für die unmittelbare Verknüpfung von Beobachtung und Intervention andere Instrumente entwickelt und eingesetzt werden.

Ferngesteuert morden ... Kriegführung per Drohne für die Gamer-Generation

Volker Eick veranschaulichte gewissermaßen auf räumlich tieferer Ebene anhand von Drohnen, wie Militär, Geheimdienste und Polizei sich mit Industrie und Wissenschaft zu einem Gefüge verschränken, das die Unterscheidung innen- und außenpolitischer oder ziviler und militärischer Bereiche obsolet macht. Er verwies auf den sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff, wie ihn die Bundesakademie für Sicherheitspolitik 2001 in Buchform publiziert hat. Darin werden alle erdenklichen Phänomene wie Armut, Aids, Fundamentalismus oder Demographie als Sicherheitsprobleme definiert, die präventiver Intervention harren.

Urbanität, die gleichermaßen genannt wird, ist für die militärische Planung von besonderer Bedeutung. Die atomare Vernichtung der Städte Hiroshima und Nagasaki, die Flächenbombardements von Rotterdam und Dresden oder die weitgehende Zerstörung Stalingrads sind Extrembeispiele militärischen Kalküls, doch keineswegs letztgültige Ziele beim Angriff auf urbane Zentren. Da inzwischen mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten lebt, gewinnt eine urbane Kriegführung zunehmend an Bedeutung, die nicht zwangsläufig mit der gezielten Zerstörung der gesamten Infrastruktur einhergeht. Städte sind jedoch so unübersichtlich, daß militärische Auseinandersetzungen in ihnen zu hohen Verlusten führen können. Daraus erwächst ein enormer Bedarf an möglichst zeitnaher Beschaffung von Informationen, die in Teilen durch Überwachung aus der Luft zur Verfügung gestellt werden.

Von Ballons, in denen Beobachter mit Fernrohren saßen, über Flugzeuge und den ersten Militärsatelliten 1960 verlief diese technologische Entwicklung zu Raketen mit eingebauten Kameraelementen im Vietnamkrieg und zuletzt zu den modernen Drohnen. Man arbeitete auf das Ziel hin, Informationen und Kontrolle in Echtzeit zu erlangen, ohne daß der Gegner dies mitbekommt und Gegenmaßnahmen einleiten kann. In sogenannten asymmetrischen Auseinandersetzungen erlangt die gezielte Angriffsführung wachsende Bedeutung, zumal Kampfhandlungen und Wiederaufbau, Zerschlagung und Staatenbildung oftmals gleichzeitig stattfinden.

Der ausgeprägte Wunsch, sich im Zuge dieser komplexen Kriegsführung technischer Hilfsmittel zu bedienen, welche die überlegenen Ortskenntnisse des Gegners in einem Guerillakrieg aufwiegen, hat eine Flut immer neuer robotischer Kampfmaschinen hervorgebracht, die zu Lande, unter Wasser und in der Luft operieren können. Der Referent zeigte Abbildungen bizarr und futuristisch anmutender Geräte, die durch Straßen rollen, Treppen steigen, Marschgepäck tragen und sogar in spezifischen Situationen alternative Entscheidungen treffen können. Als seien sie der Feder eines Science-Fiction-Autors entsprungen, künden sie vom gespenstischen Einzug robotischer Systeme in Überwachung und Sanktionierung. Wie Volker Eick anmerkte, ist die Drohnentechnologie bislang alles andere als stabil. So stürzten rund 30 Prozent der im Irak oder in Pakistan eingesetzten Maschinen ab. Die Forschung, Entwicklung und Erprobung im Einsatz schreite jedoch rasant voran und halte neben den bekannten Systemen längst weitere Generationen bereit.

Bekannt und berüchtigt wurde der Einsatz von Drohnen unter anderem bei der Operation Phantom Fury 2004 gegen den irakischen Widerstand in Fallujah, dessen umfassende Zerstörung unter Einsatz modernster Waffen der US-Streitkräfte erfolgte. Laut Angaben der zuvor zum Verlassen Fallujahs aufgeforderten Einwohner wurden von den 50.000 Gebäuden der Stadt 36.000 zerstört, darunter zahlreiche Schulen, Krankenhäuser und Moscheen. Mehrere tausend Iraker kamen bei der Eroberung Fallujahs ums Leben, und weitere werden folgen. Letztes Jahr hat das International Journal of Environmental Research and Public Health eine in Fallujah durchgeführte epidemiologische Studie vorgestellt. Die Mediziner gelangten zu dem Schluß, daß die irakische Stadt in den Jahren 2005 bis 2009 höhere Raten an Krebserkrankungen und Leukämie aufweist als Hiroshima und Nagasaki nach der atomaren Bombardierung im Jahr 1945, was vermutlich eine Folge des Einsatzes von weißem Phosphor und mit abgereichertem Uran verstärkter Munition ist.

Derzeit ist das pakistanische Grenzgebiet zu Afghanistan eines der Haupteinsatzgebiete US-amerikanischer Drohnen, die ferngesteuert aus Leitzentralen in den USA auf der Jagd nach angeblichen Zielpersonen zahlreiche Menschenleben vernichten. Wie bereits am Beispiel Fallujah deutlich wurde, wird die sich um den Einsatz der militärischen Drohnentechnologie rankende Propaganda, es handle sich um eine präzise Handhabung, die unbeabsichtigte Schäden weitestmöglich ausschließt, auf gegenteilige Weise wahr. Die von den Tätern an der Konsole als entscheidender Vorteil verbuchte Distanz zu ihren Opfern führt zu irrtümlich oder gleichgültig verübten Massakern an hilflos ausgelieferten Menschen, die nachträglich als feindliche Kämpfer deklariert werden.

Das inzwischen nicht mehr geheime Drohnenprogramm der CIA auf dem Territorium Pakistans stellt eine Form nicht offiziell erklärter, geschweige denn von pakistanischer Seite gutgeheißener Kriegsführung dar, die im vergangenen Jahr mit 4,2 Milliarden Dollar bemittelt wurde. Da die unbemannten Fluggeräte Überwachungsfunktionen in Echtzeit mit schwerer Bewaffnung vereinen, kostengünstiger als Flugzeuge sind und eigene Verluste ausschließen, avancieren sie zu einer zentralen Komponente moderner Kriegsführung. Noch im Experimentierstadium befinden sich Eick zufolge Ansätze, Staffeln von mehreren Drohnen untereinander kommunizieren und bestimmte situative Entscheidungen treffen zu lassen, wie etwa Gebäudekomplexe systematisch abzusuchen.

Auch in der zivilen Anwendung arbeitet man intensiv an Verfahren, Entscheidungsprozesse auf computergestützte Überwachungssysteme zu übertragen. Bekanntestes Beispiel dürften Bewegungsmuster der Passanten auf öffentlichen Plätzen, Verhaltensweisen von Reisenden mit Bahnen und Bussen oder die Kontrolle in Parkhäusern sein, wo man mit einem Minimum an Personal ununterbrochen wachen will. Wenngleich man alles permanent unter Beobachtung halten möchte, soll das nicht zu einer entufernden und damit kontraproduktiven Datenflut führen, der insbesondere der Charakter der Echtzeit fehlt. Wenngleich diesbezügliche Verfahren noch mit einer hohen Fehlerquote behaftet sind, heißt das nicht, daß es sich um eine technologische Sackgasse handelt. Mit zunehmender Reife der Technik steigt die Wahrscheinlichkeit ihres Einsatz, der wiederum der Verbesserung dient und zugleich die Produktionskosten senkt.

Bei den deutschen Landespolizeien stellt man die Frage, wie der Rückzug aus der Fläche vor allem in östlichen Bundesländern kompensiert werden könnte. Ein Modell zur Überwachung des Raums ist die Internetwache als virtuelle Polizeistation, die jeder von seinem Rechner aus erreichen kann. Die Alternative wäre ein Einsatz von Drohnen, der gegenwärtig noch zu teuer und wegen der begrenzten Flugzeit kleinerer Geräte unattraktiv ist. Andererseits ist gerade die geringe Größe und Unauffälligkeit der einfachen Modelle ein Vorteil, auf den die Polizei keinesfalls verzichten möchte. Als der Landtag in Sachsen 2007 den Einsatz von Drohnen zur Überwachung gewaltbereiter Fußballfans debattierte, wurden sofort Erwägungen laut, man könne damit auch bei Entführungen und Geiselnahmen tätig werden. Die praktische Handhabung erwies sich jedoch zunächst als so schwierig, daß ein zuverlässiger Einsatz bislang nicht möglich zu sein scheint.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Einsatz solcher Fluggeräte in relativ geringen Höhen des deutschen Luftraums bislang nicht gesetzlich geregelt ist. Im Prinzip kann jeder einfache Drohnen kaufen oder mieten, ohne daß diese Praxis reguliert wäre. Modellversuche laufen allenthalben, wie etwa in Amsterdam, dessen Stadtverwaltung sie bei der Räumung von Häusern einsetzt. In Frankreich werden leistungsfähigere Modelle mit längerer Flugzeit und größerer Maximalhöhe verwendet. Es zeichnet sich also eine vorerst noch wildwüchsige und in Teilen widersprüchliche Entwicklung ab, die wie jeder relativ junge Technologie fehlerbehaftet ist, aber gerade darüber Potentiale für entscheidende Schübe vorhält. Wo es zu Rückschlägen kommt, ziehen andere daraus Gewinn, wie wachsende Beteiligung diverser deutscher Unternehmen am Drohnengeschäft unterstreicht, das längst keine Nischentechnologie mehr ist.

Auch hinsichtlich des Einsatzes von Drohnen stößt man auf eine Militarisierung der Polizei wie umgekehrt auch eine Verpolizeilichung des Militärs zu beobachten ist. Unter dem Dach des erweiterten Sicherheitsbegriffs arbeitet man vielfach in gemeinsamen Kommandozentralen zusammen, operiert unter einheitlicher Führung und verwendet in zunehmendem Maße dieselben technischen Mittel. Im Gefolge des Zweiten Weltkriegs drängten die Siegermächte auf eine klare Trennung militärischer und polizeilicher Aufgaben und Strukturen wie etwa den Ausschluß von Militäreinsätzen im Inland. Verfassung und Befindlichkeit bremsen vorerst eine Überschneidung, wie sie in manchen anderen europäischen Ländern gängige und kaum in Frage gestellte Praxis ist. Nach deutscher Rechtslage dürfen zwar Bundesländer die Bundespolizei um Unterstützung bitten, doch darf diese nicht eigenständig tätig werden. Wie etwa der Bericht der Wertebach-Kommission zur Zusammenlegung der verschiedenen Bundespolizeien zeigt, ist der Prozeß hin zu einer eigenständigen Bundespolizei mit eigenständigen Befugnissen in allen Bundesländern längst im Gange. Da die Bundespolizei eine deutlich militärischere Ausbildung als die Landespolizei hat, muß man diese Tendenz als Militarisierung der Innenpolitik bewerten. Auch gibt es eine Entwicklung zur Einbindung des Zolls, der ebenfalls militärischer als die Landespolizei bewaffnet und beim Finanzministerium angesiedelt ist. Er wird nicht nur an Grenze, sondern auch gegen Schwarzarbeit eingesetzt, wovon unter anderem Migranten in mehrfacher Hinsicht ein Lied singen können.

Drohnen werden, führte Volker Eick weiter aus, in diversen von der EU finanzierten Forschungsprojekten auf ihre Einsatzmöglichkeiten etwa bei Berufsfeuerwehren oder der Verminderung der Waldbrandgefahr getestet. Wohin diese durch mehrheitsfähige zivile Türöffner beflügelte Entwicklung gehen könnte, zeigt ein Blick nach Los Angeles, das zu den Städten gehört, die insbesondere nachts mit Hubschraubern überwacht werden. Dieses kostspielige und extrem auffällige Verfahren wird zunehmend durch Drohnen von beträchtlicher Reichweite ersetzt, mit deren Hilfe die Überwachung weitgehend unbemerkt erfolgen kann. In England hat man das Verfahren erprobt, Hunde für bestimmte Aufgaben zu dressieren, denen eine von den Tieren aus ferngesteuerte Drohne folgt. Da dort unter Anwendung des Social Behaviour Act sogenanntes antisoziales Verhalten im öffentlichen Raum sanktioniert wird, kommt der Überwachung durch Drohnen auch in dieser Hinsicht eine außerordentlich restriktive Bedeutung zu. Einige britische Kommunen haben sich bereits unbemannte Fluggeräte angeschafft, um insbesondere die sozial schwächeren Schichten, gegen die sich diese Kontrolle in erster Linie richtet, in Schach zu halten. In deutschen Städten wie beispielsweise Bremen werden sogenannte Betretungsverbote für Migranten unter dem Vorwand verhängt, diese Stadtteile seien Orte, an denen Drogen verkauft werden. Auch wer in Verdacht steht, Drogen verkauft zu haben oder sie kaufen zu wollen, kann unter dieses Verbot fallen, das seine Bewegungsmöglichkeiten und Wohnverhältnisse drastisch beschneidet.

Mit dem Einsatz von Drohnen spitzt sich eine repressive Praxis zu, die bislang geltende Rechtsnormen mit Hilfe technologischer Innovation unterläuft und zu Fall bringt. Wenn Drohnen der CIA in Pakistan verdächtige Personen oder Gruppen töten, kommt dies einer Hinrichtung ohne Verhandlung und Schuldspruch gleich. Überdies werden für jeden Verdächtigten gegenwärtig im Schnitt sechs Unbeteiligte getötet, so daß man mit Fug und Recht von einem mörderischen Treiben sprechen kann. Dennoch stand nach den Worten des Referenten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unlängst ein Aufsatz eines Datenbeauftragten der NATO zu lesen, der diese Praxis in völligem Einklang mit dem Völkerrecht sah. Damit widersprach er schriftlich fixierten Aussagen der NATO, des humanitären Völkerrechts und des internationalen Roten Kreuzes.

Wenngleich es sich um eine laufende und kontroverse Diskussion handelt, die gegenwärtig um dieses Thema geführt wird, ist ihr Ausgang keineswegs offen, sofern dieser Entwicklung nicht mit allen Kräften Einhalt geboten wird. Wie die Verschmelzung ziviler und militärischer Ansätze und Praktiken unterstreicht, gewinnt ein repressiver Prozeß an Fahrt, der Rechtsgrundlagen und Denkweisen auf breiter Front umpflügt. Menschen, die mit Satelliten und Drohnen überwacht, bestraft und unter Umständen getötet werden, unterliegen der entufernden Brutalisierung ein und desselben Zwangsregimes, das sich in Kriegen nach außen und Repression nach innen Bahn bricht, um einer historisch beispiellosen Verwertungsordnung den Weg zu bereiten.

Anmerkungen:

[1] http://europaskriege.wordpress.com/2008/02/27/malte-luhmann-aus- dem-all-in-alle-welt-weltraumpolitik-für-die-militärmacht-europa/

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© 2011 by Schattenblick



16. Februar 2011