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BERICHT/083: Petersberg II - Bundesstadt Bonn im Ausnahmezustand (SB)


Proteste gegen Petersberg II am 5. Dezember 2011 in Bonn

Afghane präsentiert Friedensfahne in Landessprache - Foto: © 2011 by Schattenblick

Frieden für ein mit Krieg überzogenes Land
Foto: © 2011 by Schattenblick

"Krieg beginnt hier" [1] - die auf der Demo gegen den Afghanistankrieg und die Internationale Afghanistankonferenz in Bonn am 3. Dezember präsentierte Parole erinnert daran, daß räumliche Distanzen in einer von der kapitalistischen Globalisierung durchdrungenen und mit einem "erweiterten Sicherheitsbegriff" unter Kontrolle gehaltenen Welt zumindest dann nichts zählen, wenn die Totalität der Herrschaftsicherung erstes Gebot der Durchsetzung herrschender Interessen ist. Das strategische Dispositiv des Globalen Krieges gegen den Terrorismus postuliert die Allgegenwart einer Bedrohung, deren Gründe und Ursachen zu hinterfragen bereits im Dunstkreis entsprechender Gesinnungsdelikte siedelt. Die Irrationalität der Behauptung, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, wird mit der Ratio imperialistischer Interessen jedem verdaulich gemacht, dem die Versorgungssicherheit in der Bundesrepublik wichtiger ist als die solidarische Streitbarkeit aller unterdrückten Menschen, und schlägt mit der inneren Repression vollends in die machiavellistische Logik gewaltsamer sozialer Unterdrückung um.

So wurde das scherzhafte Wortspiel, die Sicherheit der Bundesrepublik werde nicht nur in Hindelang, sondern auch am Hindukusch verteidigt, im Bundestag mit der Absicht auf den Kopf gestellt, den Einsatz der Bundeswehr im Innern im Rahmen eines von den Unionsparteien propagierten Heimatschutzkonzeptes zu verankern. Auch wenn bewaffnete Soldaten bislang eher im Ausnahmefall - so etwa bei den Protesten gegen das G8-Treffen in Heiligendamm - operativ im Landesinnern eingesetzt werden, so wurde der Begriff der Inneren Sicherheit längst durch die Auflösung verfassungsrechtlicher Zuständigkeiten und Trennungsgebote wie der polizeilichen, intergouvernementalen und militärischen Zusammenarbeit auf zwischen- wie suprastaatlicher Ebene durch die regierungsoffiziell propagierte Doktrin überholt, daß innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen wären. Der damit etablierte Ausnahmezustand braucht nicht eigens so genannt zu werden, um die Aussetzung bürgerrechtlicher Garantien zu dokumentieren, die im Extrem durch die US-amerikanische Praxis administrativer Verschleppungen in Folterhaft und extralegaler Hinrichtungen überall auf der Welt de facto gegenstandslos geworden sind.

Der Krieg beginnt nicht nur hier, er ist längst im Gange - in Form eines Klassenantagonismus, der in der Konsequenz seiner absehbaren Verschärfung ein hohes Potential an gewalttätiger Eskalation aufweist, wie in Form einer imperialistischen Aggression, die als Klassenkrieg zu bezeichnen dem Herrschaftsdispositiv des nicht mehr auf innen oder außen zu begrenzenden, mithin totalen Krieges entspricht. Sich in Anbetracht der meisthin gelingenden Befriedung hierzulande etwas darüber vorzumachen, daß der massenhafte Hunger-, Elends- und Gewalttod woanders mit dem Erhalt eigener Privilegien verknüpft ist, hieße selbst die nüchternen Analysen westlicher Strategieschmieden zu ignorieren, die von nichts anderem als einem in Gefahr und Intensität zunehmenden globalen Verteilungskampf ausgehen.

Kreuzung Friedrich-Ebert-Straße/Heussallee - Foto: © 2011 by Schattenblick

Absperrungsmaßnahmen im Bundesviertel
Foto: © 2011 by Schattenblick

So brauchte man auch am 5. Dezember den Blick nicht nach Zentralasien schweifen zu lassen, um mutmaßen zu können, daß Afghanistan eben nicht in Bonn verteidigt wird. Allein die Sicherheitsmaßnahmen, mit denen die Internationale Afghanistankonferenz vor wem auch immer geschützt wurde, machten die im Bundestag weniger gern gehörte Kritik, daß der in die Welt hinausgetragene Terrorkrieg erst produziert, was mit ihm bekämpft werden soll, auf unmittelbare Weise erlebbar. Über 4000 Polizisten waren für fünf Einsatztage aus der ganzen Bundesrepublik in der ehemaligen Bundeshauptstadt zusammengezogen worden, um mehr als 1000 Delegierte in Fahrzeugkolonnen durch die Stadt zu leiten und diese mit einem regelrechten Verschlußzustand zu überziehen, der phasenweise jede unbefugte Bewegung im Einzugsbereich des Petersbergs, wo am Vorabend der Konferenz ein Galadinner gegeben wurde, und am eigentlichen Konferenzort im ehemaligen Regierungsviertel, dem World Conference Center Bonn (WCCB), unmöglich machte.

Auch mit den Sicherheitsmaßnahmen zur Zeit der alten BRD vertraute Bonner konnten sich kaum an einen vergleichbaren Aufwand anläßlich hochrangiger Staatsbesuche erinnern. Dabei gab es nur eine angemeldete Demonstration und Protestveranstaltung, die so hermetisch abgeschottet wurde, als sei die ansonsten so hochgerühmte Zivilgesellschaft an diesem Tag nicht nur nicht erwünscht, sondern ein Gefahrenherd erster Güte.

BUBL: Mahnwache am Kunstmuseum Bonn - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mahnwache am Kunstmuseum Bonn
Foto: © 2011 by Schattenblick

Zwei Redakteure des Schattenblick, die einheimischem Rat vertrauend früh aus den Federn gesprungen waren, um aus ihrem Quartier in einem Bonner Vorort auf der östlichen Rheinseite nicht etwa mit dem Auto, sondern der Stadtbahn ins Zentrum zu fahren, hatten mehr Glück, als sie zu diesem Zeitpunkt ahnen konnten. Noch verkehrte die Bahn, und so erreichten sie schließlich bei steifem Wind und gefühltem Morgenfrost den Schauplatz der ersten Protestaktion des Tages am Kunstmuseum. Das Szenario war skurril: Die vierspurige Friedrich-Ebert-Allee lag in ihrer ganzen Pracht verwaist, so weit das Auge reichte. Auf der anderen Seite der Kreuzung das Hauptkontingent der Demonstranten mit seinen Bannern, Transparenten und Fahnen. Diesseits ein kleiner Trupp, der ebenfalls die Stellung hielt, scharf beobachtet von den allgegenwärtigen Polizisten, die wie während der gesamten Protestkundgebungen dieses Vormittags in der Überzahl zu sein schienen. Setzte man auch nur einen Fuß auf die gähnend leere Straße, um ein Foto von dem Transparent zu machen, erfolgte in barschem Ton augenblicklich die letzte Warnung, daß sofort geräumt werde, sollte man sich weiter den Anordnungen widersetzen. Die Fahrbahn war für Zivilisten absolut tabu, abgesehen von einer Handvoll fast beneidenswerter Fotografen privilegierter Mainstreammedien, die vom Mittelstreifen aus in aller Ruhe ihre Bilder schießen durften. Das Überquerungsverbot galt selbst für wichtig heranschreitende Nadelstreifenträger, denen Verwirrung und Empörung ins Gesicht geschrieben standen, als ihnen, die lederne Polizistenbrust vor Augen, die Überquerung verwehrt wurde.

Plötzlich kam Bewegung in Demonstranten und Polizeiketten, näherte sich doch mit forschem Tempo aus der Ferne ein kleiner Konvoi schwarzer Limousinen, hinter deren getönten Scheiben wichtige Köpfe schaukeln mußten. Ob sie auf ihrer rasanten Fahrt zum Kriegsrat - nicht durch das besetzte Kabul, sondern das für diesen Tag okkupierte Bonn - mitbekamen, was ihnen vom Straßenrand in Sprechchören zugerufen wurde? Schon war der Spuk vorbei, der sich in wechselnden, doch durchweg recht großen Abständen wiederholen sollte: Straße frei für die sehr wichtigen Personen samt ihren Leibwächtern in bulligen Vans, die sich durch nichts und niemand aufhalten lassen.

Auf dem Weg zum Rhein  - Foto: © 2011 by Schattenblick Auf dem Weg zum Rhein  - Foto: © 2011 by Schattenblick
Auf dem Weg zum Rhein  - Foto: © 2011 by Schattenblick

Im Polizeispalier durchs alte Regierungsviertel
Foto: © 2011 by Schattenblick

Da es an dieser Kreuzung eine Unterquerung gab, gelangte man zumindest auf diesem Weg ungehindert auf die andere Straßenseite, um zu sehen, wer sich am dritten Tag der Proteste gegen "Petersberg II" eingefunden hatte. Die Stimmung war gut, ließ man sich von der polizeilichen Übermacht doch nicht ins Bockshorn jagen. Afghanische, pakistanische und buntschillernde Friedensfahnen flatterten im Wind, Transparente wurden strammgehalten, Parolen aus voller Kehle angestimmt, während die Polizei ihrem Auftrag entsprechend neutrale Miene machte, als seien ihr politische Anliegen tatsächlich gleichgültig, sofern nur die Ordnung gewahrt bleibe. Verließ aber ein kleiner Trupp Demonstranten die allein legitime Bürgersteigecke in Richtung Fahrbahn, schloß sich sofort die ledergerüstete Kette und ein böser Cop stellte die Standardfrage, ob man nicht in der Lage sei, die einfachsten Anweisungen zu verstehen und zu befolgen. Natürlich ging das nicht ohne herzhafte Diskussionen ab, vor denen die Ordnungshüter womöglich argumentativ kapituliert hätten, stünde ihnen nicht der Rückzug ins Schema ihrer dienstlichen Handlungsroutinen und betont leeren Gesichter offen.

Nachdem auch die letzten Schwarzlimousinen vorbeigerauscht waren, formierte sich wie geplant der Demonstrationszug - vornweg das größte Transparent - für seinen Weg hinunter zum Rheinufer. Da die Demonstranten aus freien Stücken und im Eintreten für dieselben gekommen waren, legten sie weder besondere Eile noch beflissene Disziplin an den Tag, womöglich auch noch im Gleichschritt loszumarschieren. Es ging gemächlich voran und immer wieder blieben kleine Gruppen einige Schritte zurück, was den Polizeikordon in Aufregung versetzte. Der Auftrag war klar: Kein einziger Provokateur durfte im ehemaligen Regierungsviertel irgendwo falsch abbiegen, sich davonstehlen und am Ende womöglich für einen Eklat sorgen oder auch nur an verbotenem Ort den Weg in die Bilder der Tagespresse finden. Demzufolge schnitt eine rasch aufgestellte Postenkette jeden Seitenweg ab, was bereits in der Unterführung zu fast schon situationskomischen Manövern führte. So stand auf der Rolltreppe neben jedem Friedensaktivisten ein Polizist auf derselben Stufe, was das seltene Bild einer vollständig eingebetteten Rolltreppenfahrt nach oben abgab.

Demonstrationszug am Rheinufer - Foto: © 2011 by Schattenblick

Rheinspaziergang im Wanderkessel
Foto: © 2011 by Schattenblick

Vorne Polizei lenkend, hinten Polizei drängelnd, seitlich Polizei in Trupps oder Ketten, bisweilen stramm im Gänsemarsch marschierend, dann wieder locker und fast beiläufig mitzockelnd, jeden argwöhnisch musternd, der den halbwegs geschlossenen Zug verließ, um ein Foto aufzunehmen. Dabei machte niemand auch nur die geringsten Anstalten, plötzlich auszubrechen und verwaltungsgerichtlich verbotene Pfade einzuschlagen. Die Ausflugstimmung auf seiten der Demonstranten hätte nicht besser sein können, zumal das klare Wetter eine auch in dieser Hinsicht erfreuliche Schiffsfahrt versprach. Anders in den Reihen der anwesenden Staatsgewalt, trug man doch die Last dienstlicher Verantwortung für das Unwägbare, das nicht eintrat. So wurde einer der SB-Redakteure zufällig Zeuge eines Polizistendisputs am Rheinufer, als sich die Beamten kurzzeitig uneins waren, in welcher Richtung der sich nähernde Demonstrationszug eigentlich weitergeleitet werden sollte. Augenscheinlich gab es in diesem Augenblick keine Dienstgradunterschiede, auf die das Dilemma abzuwälzen gewesen wäre, und so wuchs die Nervosität angesichts des fundamentalen Richtungsstreits zwischen scharf links und scharf rechts. Glücklicherweise für alle Beteiligten setzte sich die naheliegende Vernunft durch, den Weg zum Schiff, das bereits in Sichtweite lag, freizugeben und die andere Richtung zu sperren, die sicherlich ins nicht auszumalende Chaos geführt hätte. So endete der unablässig abgeschirmte Demonstrationszug schließlich am ringsum von Uniformierten abgeriegelten Anleger, wo kurze Begrüßungsreden gehalten, kleine Interviews gegeben und natürlich noch einmal viele Fotos von Transparenten und Bannern geschossen wurden, ehe man sich für die folgenden Stunden den Decks der MS Beethoven anvertraute.

Polizeisperre an Bonner Südbrücke - Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Polizei regelt den Verkehr ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Wohl etwas zu spät brachen eine Besucherin der Schiffsdemo und ein SB-Redakteur ebenfalls auf der östlichen Rheinseite auf, denn nun ging nichts mehr. Das den Bürgern Bonns anempfohlene Ausweichen auf öffentliche Verkehrsmittel funktionierte nicht, da die Stadtbahn - sehr zum Ärger der an der Station wartenden Fahrgäste - schlicht nicht fuhr und die Linienbusse weiträumig um das Bundesviertel herumgeleitet wurden. Eine Bonnerin, die zufällig auf der anderen Straßenseite wohnte, gab das Warten entnervt auf, nicht ohne der SB-Delegation eine Mitfahrgelegenheit in ihrem Wagen anzubieten. Doch auch diese Fahrt in Richtung Beuel, wo die nicht gesperrte Kennedybrücke den Rhein quert, scheiterte schon bald in der nur noch schrittweise vorankommenden Blechkarawane. Unter großem Dank, dennoch bis in die Nähe der Bonner Südbrücke vorgedrungen zu sein, wurde die Gelegenheit beim Schopf gepackt und das gastliche Fahrzeug auf Höhe des Kameha Grand Hotels verlassen.

In dieser Fünf-Sterne-Herberge war Frau Clinton mit der üblichen, mindestens in Regimentstärke auftretenden Entourage aus Mitarbeitern und Sicherheitsbeamten abgestiegen. Daß sie ihren Mann Bill von dort aus anrief und vom einzigartigen Charakter dieser Luxusabsteige vorschwärmte, wie die Bonner Lokalpresse vermeldete, gehört wohl eher ins Reich PR-affiner Legenden. Ganz und gar real allerdings waren die Bewegungseinschränkungen, die der Bevölkerung auferlegt wurden, weil sich die US-Außenministerin gerade aufmachte, mit ihrer Wagenkolonne den Konferenzort auf der anderen Rheinseite zu erreichen.

Passant auf Brückenzubringer - Foto: © 2011 by Schattenblick

Brücke für Zivilisten gesperrt ... einsamer Rückweg
Foto: © 2011 by Schattenblick

Nachdem Fragen an längs der Straße postierten Polizisten zur Möglichkeit, von hier aus zu Fuß auf die andere Rheinseite zu gelangen, mit der Antwort quittiert wurden, daß man sich hier nicht auskenne, weil man nicht aus Bonn komme, erwies sich der in einem Park gelegene Aufgang zur Südbrücke als gesperrt. Eine Polizistin und ein Polizist vertrösteten die Passanten, unter denen sich nicht wenige Bonner befanden, die in Anbetracht der Situation vom Auto aufs Rad gewechselt waren, um ihr Ziel zu erreichen, auf zehn Uhr, dann sollte der Fußgänger und Radfahrerbereich der Brücke wieder freigegeben werden. Wie einige der Wartenden bestätigten, war ihnen am Bürgertelefon der Polizei am Vorabend bestätigt worden, daß sie die Brücke ohne Wagen durchaus überqueren könnten, doch offensichtlich war man höheren Ortes zu einem anderen Schluß gelangt.

Wartende Passanten - Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Passanten warten auf Freigabe der Brücke
Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Vorbei die Zeiten und tatsächlich in einem anderen Jahrtausend gelegen, als die Bonner Bevölkerung noch die Straßenränder säumen konnte, um Monarchen und Präsidenten aus aller Welt, ob sie es nun verdient hatten oder nicht, zuzujubeln. Wenn die ehemalige First Lady und heutige Außenministerin der USA in fremden Ländern den Fuß vor die Tür setzt, dann versteckt man sie lieber vor der örtlichen Bevölkerung respektive diese vor der hochrangigen Politikerin. Es könnte ja jemand auf den Gedanken kommen, ein Protestbanner aus der Tasche zu ziehen, einen Schuh zu werfen oder schlicht Buh zu rufen. So waren von ihrer Fahrzeugkavalkade lediglich die Blaulichter auf dem Dach der Polizeiwagen und die Dächer der vermutlich mit FBI- und Secret Service- Agenten besetzten SUVs zu sehen.

Zu Fuß oder per Rad über die Bonner Südbrücke  - Foto: © 2011 by Susanne Fasbender
Zu Fuß oder per Rad über die Bonner Südbrücke  - Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Freie Fahrt nur für die Polizei
Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Brücke wieder für den Fußgänger- und Radfahrerverkehr freigegeben wurde. Nun also auf zur MS Beethoven, die wie das berüchtigte gallische Dorf als kleines Zeichen unbeugsamen Aufbegehrens gegen das Imperium am Rheinufer ankerte. Was ein schöner Spaziergang vor dem herrlichen Panorama des Siebengebirges und durch die Parkanlage der Rheinaue hätte werden können, wirkte dann doch eher wie ein Gang durch ein postapokalyptisches, von einer geheimnisvollen Seuche der meisten Menschen entledigtes Szenario. Während sich im Umfeld die Blechlawinen durch verstopfte Straßen mühten, wurde die Rheinbrücke lediglich von Polizeifahrzeugen gekreuzt, und im Uferpark konnte man von weitem einen einsamen Polizisten sehen, der seinen Hund dort nicht etwa ausführte, sondern nach Sprengstoff suchen ließ. Vorbei an einem beeindruckenden Fuhrpark aus Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei und Diplomatenlimousinen, zwischen denen einige am kompakten Quadratformat ihrer Zunft zu erkennende Bodyguards standen, gelangte man an das mit bunten Friedensfarben geschmückte Schiff.

Staatsgewalt zeigt Präsenz - Foto: © 2011 by Schattenblick Staatsgewalt zeigt Präsenz - Foto: © 2011 by Schattenblick
Staatsgewalt zeigt Präsenz - Foto: © 2011 by Schattenblick

Logistisches Umfeld des Anlegers der MS Beethoven
Foto: © 2011 by Schattenblick

Auf der an der Anlegestelle "Alter Bundestag" vertäuten MS Beethoven fanden nicht nur eine öffentliche Sitzung der Linksfraktion NRW und weitere Veranstaltungen des Protestbündnisses gegen Petersberg II statt. Das Schiff selbst setzte mit seinen in mehreren Sprachen friedenssignierten Flaggen und per Megaphon verstärkten Protestadressen ein deutliches Zeichen des Widerstands gegen das, was zur gleichen Zeit im WCCB verhandelt wurde. Dort gelang es zwei Parlamentarierinnen der Linken, ein Transparent zu entrollen, auf dem die Gegenwart der NATO in Afghanistan vom Kopf auf die Füße gestellt wurde. Die Präsenz zahlreicher Aktivistinnen und Aktivisten der internationalen Friedensbewegung als auch der Repräsentanten diverser Gruppen der afghanischen Opposition machten die Schiffsdemo zudem zu einem Ort der Begegnung und des Austausches, so daß die äußere Sichtbarkeit des Protestes durch die inhaltliche Positionierung gegen Krieg und Besatzung untermauert wurde.

Transparent 'NATO = Terror' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Konferenzteilnehmerinnen der anderen Art ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Dennoch lag eine Aura des Unwirklichen über dem Ereignis, fand es doch inmitten des fast idyllisch zu nennenden Szenarios einer Rheinfahrt statt und konnte daher kaum weiter entfernt sein von der widrigen Realität dessen, wogegen zu protestieren Sinn und Zweck der Aktion war. Ermöglicht nicht zuletzt durch die parlamentarischen Privilegien der Linksfraktion NRW drängte sich der Eindruck eines fast institutionalisierten - und damit schlimmstenfalls als symbolpolitische Legitimation des demokratischen Anspruchs der NATO-Kriegspolitik von der Gegenseite zu verwertenden - Protestes auf. So erinnerte die an Land von der Polizei hermetisch abgeriegelte und auf dem Fluß in unüberbrückbare Distanz gehaltene Gegenveranstaltung vom 5. Dezember an die Einrichtung umzäunter "Free Speech Zones" auf dem Campus US-amerikanischer Universitäten oder während des Nationalkonvents der US-Demokraten in Boston 2004. Die weltweit festzustellende Tendenz, demokratischen Protest in eigens dafür vorgesehene, von staatlichen Gewaltorganen mit Hilfe ausgeklügelter Strategien der Zugangskontrolle und Bewegungseinschränkung eingehegte Reservate zu lenken, ist Ausdruck der dem Aufkommen vitaler sozialer Bewegungen präventiv entgegetretenden Unterdrückung ziviler Protestformen und generellen Entdemokratisierung des angebliche Sachzwänge als alternativlose Handlungsdiktate oktroyierenden kapitalistischen Weltsystems.

Wo der notwendige Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Kapitalismus und Krieg ritualisiert und die Gesellschaft gegen ihre streitbare Mobilisierung immunisiert zu werden droht, brechen sich weniger leicht zu neutralisierende und kontrollierende Protestformen Bahn. Ein Anzeichen dafür, wie die Wirksamkeit derartiger Aktionen von den damit gemeinten Interessen eingeschätzt wird, ist das geringe Ausmaß an Berichterstattung in den bürgerlichen Medien etwa über zerstörerische Angriffe auf Gerätschaften der Bundeswehr. Eine sich daran entzündende gesellschaftliche Debatte um die systematisch vollzogene Verdrängung der Lektionen, die die deutsche Bevölkerung aus der Katastrophe zweier Weltkriege ziehen sollte, wird ganz offensichtlich gefürchtet, ist der dadurch dem Vergessen zu entreißende Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichem Friedensauftrag und regierungspolitischer Kriegswirklichkeit doch nach wie vor so virulent, daß er zumindest dem militärischen Teil des kapitalistischen Krisenmanagements im Weg stehen könnte.

Fußnoten:

[1] http://www.info.libertad.de/blogs/7/574

Rheinpanorama - Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Aus der Ferne wirkt alles ganz friedlich ...
Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

30. Dezember 2011