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BERICHT/013: Gipfelbruch - Strasbourg 4. April 2009 (SB)


So einfach, wie es die bürgerlichen Medien glauben machen wollen, ist es nicht. Die simple Rechnung, in Strasbourg hätten gewalttätige Aktivisten das Anliegen der Demonstranten, ein machtvolles Zeichen gegen Krieg und NATO zu setzen, zunichte gemacht, ist so vordergründig wie die Behauptung des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck, die Bundeswehr sei die größte Friedensbewegung der Bundesrepublik. Während Spiegel und Konsorten die rhetorische Klaviatur der "Chaoten"- und "Randale"-Demagogie bedienen, gerät die umfassende Sabotierung jener Grundrechte, auf deren Basis die Menschen in Frankreich wie Deutschland ihre Stimme erheben, aus dem Blick.

Sie erfolgte lange im Vorwege der für den 4. April 2009 geplanten internationalen Hauptdemonstration in Strasbourg, für die unter dem Motto "No to War! No to NATO!" zum Protest gegen die Politik und Existenz dieser zur globalen militärischen Interventionsmacht aufgerüsteten Hinterlassenschaft des Kalten Krieges aufgerufen wurde. Die Grundlinie im Umgang mit den Menschen, die das Treffen der Staats- und Regierungschefs mit ihrer bunten Präsenz konterkarieren wollten, bestand darin, niemanden so sehr in die Nähe der Repräsentanten der Nordatlantischen Vertragsorganisation zu lassen, daß der krasse Dissens zwischen dem Kriegsbündnis und den von ihm in Mitleidenschaft gezogenen Menschen auf bildhafte Weise greifbar geworden wäre.

Follow the leader! - © 2009 by Schattenblick

Follow the leader!
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So verlegten sich die französischen wie deutschen Behörden darauf, die Organisation der Demonstration und des dazu errichteten Widerstandscamps zu einer mühsamen und aufreibenden Angelegenheit für die Veranstalter des Internationalen Organisationskomitees (ICC) zu machen. Über alle Kleinigkeiten wie die Wahl der Orte und Routen, die Möglichkeiten der Anreise und die Modalitäten der Demonstration mußte mühsam gerungen werden, wobei sich die Behörden auf die Strategie verlegten, die Veranstalter bis zuletzt im Unklaren über die konkrete Marschroute zu belassen und alle Aktivitäten unter den Vorbehalt ihrer polizeilichen Auflösung zu stellen.

© 2009 by Schattenblick
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Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit steht wortwörtlich wie im übertragenen Sinne unter Beschuß, verwandeln die Auflagen, unter denen noch demonstriert werden darf, vorgeblich freie Bürger doch in Probanden einer Laborsituation, in der sie den Manipulationen der Experimentatoren fast wehrlos ausgeliefert sind. Zur Aufhebung des Schengener Abkommens und der dadurch ermöglichten Sperrung der Grenzübergänge respektive Abweisung nach Frankreich anreisender Demonstranten, zur Blockade des öffentlichen Raums, die die Polizeikräfte unter Inanspruchnahme exekutiver Sondervollmachten nach Belieben errichten und durchsetzen, zu dem Ausreiseverbot, das die deutschen Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer sogenannten Präventivstrategie über unbescholtene Bürger verhängten, gesellten sich auf deutscher Seite Verhaltensauflagen wie das Vermummungsverbot, das auch auf die Schminke der Clown's Army erweitert wurde, das Verbot bestimmter, vermeintlich als Waffen einsetzbarer Gegenstände, das in diesem Fall sogar Staubwedel und Klobürsten betraf, oder etwa das Verbot, schnell zu laufen. Das über Strasbourg verhängte Verbot, die Friedensfahne aus dem eigenen Fenster oder vom Balkon hängen zu lassen, wurde allerdings durch zahlreiche beherzte Bürger ignoriert. Unterbunden werden sollten nicht nur Militanz, sondern auch alle gewaltfreien Protestformen, die die Autonomie der Demonstranten zumindest symbolisch unterstrichen hätten.

Auf der Bühne des Sicherheitsstaats ... - © 2009 by Schattenblick


Auf der Bühne des Sicherheitsstaats ...
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Schon weit im Vorfeld des NATO-Gipfels hatte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech über angeblich "schwer bewaffnete" Demonstranten schwadroniert, die er für die fragliche Zeit "wegsperren" und dabei "nicht zimperlich" vorgehen wollte. Während er Menschen, die ihren demokratischen Protest gegen ein tatsächlich schwerbewaffnetes und diese Waffen auch gegen Zivilisten einsetzendes Militärbündnis artikulieren wollten, mit der Staatsgewalt drohte, warf sich in seinem Bundesland ein Jugendlicher aus gutbürgerlichem Haus in einen schwarzen Kampfanzug der Bundeswehr-Sondereinheit Kommando Spezialkräfte, zog eine schußsichere Weste über, steckte eine ausschließlich für das Töten von Menschen konzipierte Handfeuerwaffe ein und begab sich auf Killertour. Als entsetzte Bürger daraufhin verlangten, Jugendlichen den Schußwaffengebrauch auch in Schützenvereinen generell zu untersagen, wies der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl, dies mit dem Argument von sich, man könne den Umgang mit Sportwaffen nicht erst mit 21 Jahren beginnen.

Gut gerüstet in die Schlacht ... - © 2009 by Schattenblick

Gut gerüstet in die Schlacht ...
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Der sich hier auftuende Widerspruch zwischen einem Sicherheitsbegriff, der die Militanz politischer Aktivisten schon dann als gefährlich einstuft, wenn sie sich ausschließlich gegen Gegenstände richtet, und der erwünschten Erziehung zur Nutzung von Schußwaffen zwecks Verwendung dieser Fähigkeit in Polizei und Streitkräften läßt ahnen, daß sich die Gewaltfrage nicht einfach mit einer zivilen Friedfertigkeit beantworten läßt, die selbst dann aufrechtzuerhalten wäre, wenn ihre gesellschaftliche Wirkung gegenstandslos werden soll. Wie in den früheren Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer, in denen die Antragsteller mit Fangfragen traktiert wurden, bei denen persönliche Selbstverteidigung und militärische Gewaltanwendung in einen Topf geworfen wurden, um ein moralisches Dilemma zu konstruieren, so ist es allzu bequem, den demokratischen Widerstand gegen imperialistische Gewaltanwendung und die damit einhergehende Aufhebung bewährter Grundrechte ausschließlich an der Ratio des Erlaubten und Verbotenen zu bemessen.

Die Versammlungsfreiheit verliert als bloß symbolisches Grundrecht, das in denjenigen Fällen, in denen es gerade darauf ankommt, die Stimme zu erheben, außer Kraft gesetzt wird, jeden Wert für die beanspruchte Möglichkeit außerparlamentarischer Repräsentanz und Intervention. Hier müßten die Kontrahenten weit mehr und auf grundsätzliche Weise miteinander sprechen, ansonsten ist die Eskalation vorprogrammiert. Daß dabei sinistren Absichten und lustbetonter Aggressivität ebenso Raum gegeben wird wie strategisch kalkulierter Militanz, ist durchaus im Sinne des Erfinders, läßt sich jegliche Schadensbegrenzung doch in Hinsicht auf die politische Bilanzierung so durchbrechen, daß das konstitutive Gewaltverhältnis am Ende auf den Kopf gestellt ist.


Fluchtartiger Abzug vom Kundgebungsplatz, ... - © 2009 by Schattenblick


Fluchtartiger Abzug vom Kundgebungsplatz, ...
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... um vom Regen in die Traufe zu geraten - © 2009 by Schattenblick


... um vom Regen in die Traufe zu geraten
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So blieb es der Mehrheit friedlicher Demonstranten in Strasbourg nicht erspart, Opfer einer Strategie zu werden, die nicht nur politisch motivierte Militanz, sondern blanke Wut auf vielerlei Weise provozierte. Der bei der Anfahrt im Autoradio vernehmbare Vorschlag eines Wissenschaftlers, die Polizei solle im Vorfeld der geplanten Demonstrationen zu gezielten Blockaden des Verkehrs greifen, um den Massenaufmarsch zu kontrollieren, und daraus Erkenntnisse für vergleichbare Ereignisse schöpfen, konnte in der konkreten Anwendung alsbald überprüft werden. Die Einstellung praktisch aller öffentlichen Verkehrsmittel in Strasbourg, die Sperrung der Grenzübergänge und Autobahnen sowie Blockaden der Polizei an unerwarteten Orten gelangten als wirksames Mittel zur Demobilisierung der Demonstranten zum Einsatz. Während die farblich markierten Sicherheitszonen in der Strasbourger Innenstadt hermetisch abgeriegelt, Scharfschützen und Flugabwehrbatterien in Position gebracht und alle Passanten gründlicher Personenkontrollen unterzogen wurden, um den NATO-Gipfel in einer Sicherheitsblase stattfinden zu lassen, die der damit ausgegrenzten Bevölkerung einen realen Eindruck vom Leben unter fremder Besatzung vermittelte, sollte die Kundgebung der NATO-Gegner weit entfernt vom Gipfeltreffen auf einer Insel stattfinden, die vom Rhein und einem Nebenarm separiert nur über leicht zu sperrende Brücken zu erreichen ist.

Europäische Einigung erfolgreich verhindert - © 2009 by Schattenblick


Europäische Einigung erfolgreich verhindert
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Die größte räumliche Nähe, zu der es zwischen den Regierenden und den Protestlern hätte kommen können, wurde durch die zeitliche Terminierung der Ereignisse in eine entsprechend große Distanz gerückt. Um das Gruppenfoto auf der Passerelle des deux Rives, auf der der Wiedereintritt Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO symbolisch begangen werden sollte, am Samstagvormittag anfertigen zu können, wurden die benachbarte Europabrücke sowie das umliegende Gelände abgeriegelt. Erst nachdem die Staats- und Regierungschefs zum Tagungsort in Strasbourg aufgebrochen waren, wurde der Zugang zur Rheininsel auf französischer Seite freigegeben, so daß die von dort kommenden Demonstranten zum Kundgebungsgelände gelangen konnten.

Wer sich allerdings nach Kehl auf der deutschen Seite des Rheins begeben hatte, um an dem dort beginnenden Ostermarsch teilzunehmen, der zu der für 13.00 Uhr anberaumten Hauptdemonstration stoßen sollte, dem wurde der Zugang zum Kundgebungsgelände gänzlich vorenthalten. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy die endgültige Überwindung der deutsch-französischen Erbfeindschaft per Handschlag über dem Rhein besiegelten, verhinderten ihre Polizeikräfte mit einem massiven Aufmarsch und dementsprechenden Gewaltmitteln, daß die einfachen Bürger es ihren Regierungen gleichtaten. Keineswegs sollte die auf gemeinsame militärische Stärke der westlichen Wertegemeinschaft abonnierte Gipfelsymbolik ihre antagonistische Entsprechung in dem geschlossenen und wohlartikulierten Auftreten nicht nur deutscher und französischer Kriegsgegner, sondern einer internationalen Protestbewegung finden.

Virtuelle Demo im panoptischen Raum - © 2009 by Schattenblick


Virtuelle Demo im panoptischen Raum
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Wo die NATO als supranationale Militärorganisation die Grenzen des Bündnisgebiets weit überschreitende Einsatz- und Handlungsfähigkeit beansprucht, werden der Bewegungsfreiheit des Volkssouveräns, der sie dazu angeblich ermächtigt, immer engere Grenzen gezogen. Die sogenannte Schengen-Freiheit verkörpert nicht umsonst ein durch transnationale Kooperation im Informationsaustausch qualifiziertes Sicherheitsregime, das die früher obligatorischen Personenkontrollen an den Landesgrenzen durch ein allgegenwärtiges Kontrollnetz ersetzt hat. Dieses bedient sich eines umfassenden Arsenals an audiovisueller Observation, datenelektronischer Evaluation und grenzüberschreitender Verfolgung, um Menschen weit im Vorfeld irgendwelcher Straftaten als potentielle Rechtsbrecher und Gewalttäter zu stigmatisieren.

Die Ausreiseverbote wurden von der Bundespolizeidirektion Stuttgart mit der Behauptung begründet: "Die von Ihnen geplanten gewalttätigen Handlungen in Frankreich sind geeignet, dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft erheblich zu schaden." Kleinigkeiten wie eine Vorstrafe wegen Diebstahls eines Fahrrades im Alter von 14 Jahren oder das Mitführen eines schwarzen Kapuzenpullovers reichen den Behörden als Begründung dafür aus, die Betroffenen in ihren Datenbanken als "linke Militante" zu führen und bei entsprechenden Anlässen in ihrer Freiheit einzuschränken. Da derartige Maßnahmen immer wieder eingesetzt werden, um politischen Widerstand zu kriminalisieren, kann die letztlich in diesem Fall erfolgte gerichtliche Aufhebung der Ausreiseverbote nicht darüber hinwegtäuschen, daß Menschen mit abweichender Gesinnung in der EU Freiwild eines hochentwickelten Repressionsapparats sind, der ausgerechnet dann, wenn EU oder NATO ihre Verankerung in demokratischen und humanistischen Grundwerten feiern, die Aufhebung derselben praktiziert.

Macht ein von Bedürftigkeit diktiertes Verhältnis jemals Sinn? - © 2009 by Schattenblick


Macht ein von Bedürftigkeit diktiertes Verhältnis jemals Sinn?
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In Baden-Baden, Kehl und Strasbourg wurde der Antagonismus zwischen ideologischem Anspruch und herrschaftsichernder Praxis mit aller exekutiven Konsequenz auf den Punkt einer Ermächtigungslogik gebracht, die Rechtsstaatlichkeit an ihrer einseitigen Durchsetzbarkeit bemißt. Wenn Medienvertreter angesichts der Zerstörungen und Brände auf der Rheininsel einen "rechtsfreien Raum" ausmachen, unterliegen sie der Verkennung, daß der Ausnahmezustand die entwickeltere Form staatlicher Rechtshoheit setzt, da der reale Souverän über die Macht verfügt, geltendes Recht nach Belieben zu erwirken und aufzuheben. Auf den Demonstrationen anläßlich des NATO-Gipfels konnte man anhand durchaus unterschiedlicher Polizeistrategien - auf deutscher Seite wurde mit einem massiveren Polizeiaufgebot und schärferen administrativen Auflagen Friedhofsruhe erzeugt, während in Frankreich unter aggressivem Einsatz von Distanzwaffen und mit einer flexiblen Blockadetaktik räumliche Kontrolle über die Kampfzonen ausgeübt wurde - studieren, daß der Ausnahmezustand des Krieges überall dort als zentrales Regulativ gesellschaftlicher Widersprüche fungiert, wo das freie Spiel der Kräfte ansonsten Ergebnisse von grundstürzendem Potential zeitigte. Die systemkonforme Funktionalität des neoliberalen Kapitalismus besteht, ganz im Gegensatz zu seinem libertären Credo, demgegenüber auf einer Klassenherrschaft, die desto rigider greift, als der verordnete Freiheitsbegriff in seiner marktwirtschaftlichen und etatistischen Konstitution in Frage gestellt wird.

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Erlebnisbericht eines Schattenblick-Mitarbeiters

Um 9.00 Uhr haben sich mehrere Tausend Menschen mit vielen Transparenten und Fahnen an der Kreuzung Rue de Rhin / Avenue Aristide Briant versammelt. Die Demonstranten können sich nicht zum Kundgebungsplatz im Hafengebiet auf einer Insel im Rhein begeben, weil die Polizei mit zwei Spezialfahrzeugen und rund 60 bis 200 Mann am Beginn der Pont Vauban hinter der Kreuzung Rue de Rhin / Rue du Havre eine Totalsperre errichtet hat.

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Mit dieser Maßnahme will man dazu beitragen, daß das auf 10.30 Uhr terminierte Treffen der Staats- und Regierungschefs der NATO auf der den Rhein überquerenden Fußgängerbrücke nicht gestört wird. Auch die Europabrücke ist für den üblichen Verkehr gesperrt, so daß die Mitarbeiterstäbe der Very Important Persons samt Begleitfahrzeugen von Kehl nach Strasbourg wechseln und zum Gipfeltreffen gelangen können.

Eine Gruppe von rund 20 Demonstranten, viele von ihnen schwarz gekleidet und vermummt, produzieren sich kurz vor der Brücke auf der Kreuzung Rue de Rhin / Rue de Havre vor den Augen der Polizei, lassen sich zwischenzeitlich hinter einer Friedensfahne nieder und skandieren, obwohl, wie man gut hören kann, Englisch nicht ihre Muttersprache ist, Sätze wie: "We are peaceful. What are you?"

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Nach einer Weile tatenlosen Zusehens schießen mehrere Polizisten, die hinter den beiden Fahrzeugen stehen, Tränengaskanister in die Luft, die mitten unter den Demonstranten auf der Kreuzung und weiter die Straße herunter aufschlagen.

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Die Schwarzgekleideten an der Kreuzung fangen an, die Polizisten mit Steinen zu bewerfen, und machen sich über die in Reih und Glied wartenden Beamten lustig. Die Polizisten sehen sich das teils gelangweilt, teils angespannt an, während der kommandierende Offizier am laufenden Band über Funk neue Anweisungen und Informationen erhält.

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Gegen 10.00 Uhr rückt die uniformierte Polizei, die auch die Unterstützung von zivilgekleideten, polizeibehelmten Beamten erhält, geschlossen vor und beendet das Treiben auf der Kreuzung, besetzt diese und drängt die Demonstranten weiter die Straße herunter.

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Ein Schwarzvermummter, der nicht schnell genug vor der vorrückenden Polizeireihe zurückweicht, wird von einigen Beamten eingekesselt, zu Boden geworfen und festgenommen. Man legt ihm Handschellen an und führt ihn ab.

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Im Anschluß an diese Aktion kommt es verstärkt zu Steinwürfen durch die Demonstranten, was die Polizei mit dem Abfeuern von Tränengaskanistern erwidert. Während sie vorrücken, lassen die Beamten keine Journalisten oder Fotografen durch die Absperrung, sondern drängen sie ebenfalls von der Brücke weg. Nichtsdestotrotz sieht man, wie einem mehrere Mann starken Kamerateam des deutschen Regionalsenders SW3 nach dem Vorzeigen irgendwelcher Sonderpässe der Zugang zur Brücke und zum Hafengelände gewährt wird.

Nach der Besetzung der Kreuzung Rue de Rhin / Rue de Havre durch die Polizei sind die Ordnungshüter dermaßen in Auseinandersetzungen mit den Demonstranten verstrickt, daß es zwei SB-Mitarbeitern, die auf den Metallzaun an der Kreuzung geklettert sind, um besser fotografieren zu können, kurz vor 11.00 Uhr gelingt, die Polizeisperre vorüberziehen zu lassen und sich auf den Weg Richtung Versammlungspunkt, ein brachliegendes Areal namens Square des Fusilles du 15 Juillet 1943, zu begeben. Dabei stoßen sie auf kleinere Gruppen von Demonstranten, die es von der Innenstadt über die Rue de Petit Rhin ebenfalls auf die Insel geschafft haben.

Am Kundgebungsplatz ist alles friedlich. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre. Vor einer großen Bühne findet die Mahnwache der Women in Black, der internationalen Frauenbewegung gegen Krieg, statt.

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Linke Aktivisten aus aller Herren Länder sind versammelt. Auf der Bühne werden einige Reden gehalten, zwei Musikgruppen sorgen für Stimmung. Doch weil der größte Teil der Demonstranten an der Pont Vauban oder an der Europabrücke steckengeblieben ist, wirkt der Platz trotz der Anwesenheit mehrerer tausend Menschen unterbesetzt.

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Wegen dieses Umstands macht sich gegen 11.30 Uhr eine Gruppe von einigen hundert Demonstranten zur Pont Vauban auf, um den dort wartenden Genossen zum Durchbruch zu verhelfen. Noch während diese Gruppe aufbricht, gibt Rainer Braun vom Internationalen Organisationskomitee bekannt, daß die Polizei die Pont Vauban freigegeben hat und die Demonstranten von dort schon auf dem Weg sind. Nach einigen Minuten treffen sie ein. Das Gelände füllt sich sichtbar.

Ein Teil der Demonstranten von der Pont Vauban bleibt jedoch nicht auf dem Platz, sondern marschiert zum Ende des Areals, läßt die Bühne rechts liegen, umrundet das Gemäuer einer alten Industrienanlage, welche das Gelände seitlich einschließt, und begibt sich zu der dahinterliegenden Europabrücke. Dort stehen deutsche Polizeibeamte in Stärke einer Hundertschaft mit mehreren Wasserwerfern und verweigern - trotz der Verhandlungsbemühungen führender Mitglieder der Friedenswegegung wie des Grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele - den Tausenden von Ostermarschierern aus Kehl den Übertritt auf die französische Seite. Zu Wasser zeigt die Polizei mit einer ganzen Flottille an Motorbooten Präsenz.

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Angesichts dieser Schikane errichtet ein Teil der Demonstranten auf der französischen Seite der Europabrücke gegen 12.00 Uhr eine kleine Barrikade aus alten Reifen und Müllcontainern und setzt sie in Brand.

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Anschließend machen sich die Schwarzvermummten an einem vor der Brücke stehenden Zollhäuschen, das seit längerem leer steht und demnächst abgerissen werden soll, zu schaffen. Alle Fenster werden eingeworfen, ein kleines Feuer wird gelegt und der Erfolg des Zerstörungswerks gröhlend gefeiert.

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Einige Mitglieder des Schwarzen Blocks übernehmen sich in ihrem Zerstörungseifer, indem sie ein Verkehrsschild aus dem Boden reißen und es wegen des Gewichts des noch daran hängenden Betonsockels nach wenigen Metern liegen lassen müssen.

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Nach rund einer Viertelstunde hat sich der kleine Brand, der in dem demolierten Zollhäuschen gelegt wurde, zu einem Inferno entwickelt. Eine riesige Rauchsäule steigt auf, die kilometerweit zu sehen ist.

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Die Tatsache, daß weder die französischen noch die deutschen Polizeikräfte - die mit ihren Wasserwerfern den Brand im Nu hätten löschen können - tätig werden, läßt den Gedanken aufkommen, daß die Regisseure des ganzen Spektakels, die Apostel der "vernetzten Sicherheit" bei der NATO mit ihren über der elsässischen Metropole kreisenden Hubschraubern und den Himmel kreuzenden AWACS-Aufklärungsmaschinen, dem Plebs etwas geben wollten, an dem er sich austoben kann und mit dem im Handumdrehen das Ziel einer friedlichen Demonstration für alle Welt sichtbar in sein Gegenteil verkehrt wird.

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Dabei könnte man den Eindruck erhalten, daß die Behörden die Zerstörungskraft der Vermummten überschätzen. Unterhalb der Europabrücke auf dem weiträumigen parkähnlichen Areal an der Avenue de Pont de l'Europe haben Mitglieder des Schwarzen Blocks ein Tau um eine Laterne gelegt, auf der eine Überwachungskamera befestigt ist, und versuchen vergeblich, sie zu Boden zu ziehen. Wegen mangelnder Koordination untereinander und fehlender Übung im Tauziehen scheitern sie kläglich daran. Hätten sie nur ein paar stämmigere Kameraden hinzugezogen und insgesamt besser zusammengearbeitet, wäre das Problem schnell behoben gewesen.

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Währenddessen setzen gegen 12.30 Uhr andere Schwarzvermummte eine Tankstelle in Brand und demolieren ein einstöckiges Gebäude, das auf einer Verkehrsinsel steht und in dem sich ein Touristikzentrum und eine Apotheke befinden, bevor auch das in Flammen aufgeht.

Interessanterweise versuchen zwei Schwarzvermummte vergeblich, einen Feuerlöscher, den sie in dem Touristikzentrum gefunden haben, in Gang zu setzen, um den Brand zu löschen. Möglicherweise war der Apparat nicht mehr funktionsfähig. Fluchend - auf Französisch - werfen die beiden Herren den Feuerlöscher nach einigen Minuten zu Boden und geben sichtbar entnervt ihre Bemühungen auf, wiewohl der eine von ihnen in das Gebäude geht und beginnt, die über dem Brandherd aufgehäuften Stühle und Tische auseinanderzuziehen.

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Sind das hier Undercover-Polizisten, die deeskalierend wirken wollen, oder Mitglieder des Schwarzen Blocks, die das Ausmaß der Sachbeschädigung in Grenzen halten wollen? Man wird es wohl kaum erfahren. Wenige Minuten später wird das Gebäude lichterloh brennen, und eine weitere dicke, schwarze Rauchsäule gen Himmel steigen.

Auf der anderen Straßenseite greifen einige Schwarzvermummte mit Tritten und Stockhieben die Holztür einer kleinen, alten Kirche an und beschädigen diese schwer. Als es aussieht, als würden sie sich auch hier Zutritt verschaffen und vielleicht sogar einen Brand legen, gehen andere Demonstranten dazwischen, stellen sich schützend vor das Gotteshaus und reden auf die Angreifer ein, von ihrem unheiligen Tun abzulassen.

Unterdessen wird das siebenstöckige Hotel Ibis attackiert. Vermummte werfen alle Fenster des Erdgeschosses ein und schlagen gegen die Eingangstür. Plötzlich greift eine Hundertschaft der Polizei, die sich die ganze Zeit unter der Bahnüberführung am Ende der Rue Coulaux in Bereitschaft gehalten hat, ein.



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Die Polizisten stürmen die Rue Coulaux hinauf, verschießen Unmengen an Tränengaskanistern und Schockgranaten, nehmen einzelne Demonstranten, die sich nicht schnell genug aus dem Staub machen, fest, räumen den Platz rund um das brennende Touristikzentrum und sichern das Hotel Ibis vor weiteren Übergriffen. Wie es dazu kommt, daß das Gebäude etwa eine Viertelstunde, nachdem die Polizei vor ihm Aufstellung genommen hat, in Flammen steht, ist den SB-Mitarbeitern, die die Gegend wegen der Räumung verlassen und sich zurück zum Kundgebungsplatz begeben, ein Rätsel.

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Eine Meldung der Onlineausgabe der Badischen Zeitung vom selben Abend, wonach das ohnehin seit einiger Zeit nicht mehr betriebene Hotel in den Tagen vor dem NATO-Gipfel als Unterkunft für die Polizei dient, lädt zur Spekulationen geradezu ein. Fest steht, daß sich die Bilder des brennenden, mehrstöckigen Ibis-Hotels durch ihre Ähnlichkeit mit den Aufnahmen der Zwillingstürme des New York World Trade Center am 11. September 2001 bestens dazu eignen, den Eindruck einer ideologischen Nähe der Anti-NATO-Demonstranten zum "Terrornetzwerk" Al Kaida aufkommen zu lassen.

Während die Polizisten rund um den Platz vor dem Hotel Ibis mit Tränengaskanistern schießen, wird dies mit vereinzelten Leuchtraketen und vielen Steinen beantwortet. Hunderte gewaltbereiter, martialisch aussehender junger Männer, die einen mit Helmen, die anderen mit Kapuzen, stehen sich rund um das brennende Touristikzentrum drohend gegenüber. Die Szene gleicht den längst Geschichte gewordenen Bürgerkriegsituationen in Belfast und Derry.

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Diese Konfrontation im Rücken macht einer der SB-Mitarbeiter auf den Weg zurück zum Kundgebungsplatz eine interessante Beobachtung. Oben auf der Mauer der Industrieanlage, die den Kundgebungsplatz von der Zufahrt zur Europabrücke trennt, sieht er einen Polizisten, der an Uniform und Helm zu erkennen ist. Dieser steht quasi im Rücken der Vermummten vor dem Touristikzentrum und kann von dort aus vermutlich den Kundgebungsplatz wie auch die Gegend bis hin zum Hotel Ibis überblicken. In dem Moment, als der SB-Redakteur seinen Kollegen bittet, ein Foto von dem Beamten zu machen, wird er von einem Schwarzvermummten angerempelt und schwer bedroht. Mit französischem Akzent wird ihm auf Englisch bedeutet, er solle die Gegend sofort verlassen, sonst würde er "fertiggemacht". Entweder will diese Person nicht, daß die SB-Mitarbeiter überhaupt Fotos machen, oder es handelt sich um einen vermummten Staatsschutzagenten, der gezielt eingreift, um zu verhindern, daß der Polizist beim Ausspähen der Demonstranten fotografiert wird.

In der Zwischenzeit hat sich der Demonstrationszug auf dem Kundgebungsplatz formiert und macht sich gegen 13.45 Uhr langsam auf den Weg. Eigentlich ist geplant, daß der Zug nach Verlassen des Platzes nach rechts abbiegen und in Richtung Europabrücke verlaufen soll, um sich mit den Demonstranten vom deutschen Rheinufer zu vereinigen. Doch weil dort oben das Hotel Ibis brennt und Chaos herrscht, biegt man nach links in Richtung Pont Vauban ab. Inzwischen ist der Kundgebungsplatz von dicken Rauchschwaden umgeben.

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Hinzu kommt, daß die Polizisten, die oben auf der Avenue de Pont de l'Europe stehen, ohne erkennbaren Anlaß - vermutlich auf Befehl des Vorgesetzten - den Kundgebungsplatz just in dem Moment, als sich die Marschkolonne in Bewegung setzt, mit Tränengaskanistern beschießen.

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Zwar bricht keine Panik aus, aber der Traum von einer friedlichen und ausgelassenen Demonstration ist vorbei. Alle bemühen sich, so schnell wie möglich den Platz zu verlassen.

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Doch da gibt es ein Problem. Links vom Eingang zum Kundgebungsplatz hinter einem Bahndamm stehen auf der linken Spur der Straße mehrere Mannschaftswagen der Polizei. Alles staut sich, da Tausende Menschen in dem Tunnel, der unterhalb der Gleise verläuft, auf der rechten Spur der Straße zusammengedrängt werden oder auf den Bürgersteig ausweichen müssen, um an den Fahrzeugen vorbeizukommen.

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Nach rund fünf Minuten fahren die dort in den Mannschaftswagen postierten Polizisten im Schrittempo den Demonstranten entgegen. Unter den Bahngleisen wird es recht eng. Plötzlich beginnen mehrere Schwarzvermummte, ohne Rücksicht auf die Menschen in dem Tunnel zu nehmen, die Polizeiwagen von hinten mit schweren Steinen zu bewerfen.

Nun bricht tatsächlich Panik aus, und angsterfülltes Geschrei erhebt sich. Die Menschen unter der Überführung werfen sich zu Boden, drängen sich an die Mauer und heben die Arme schützend über sich. Einige von ihnen werden von den Steinen leicht verletzt, aber glücklicherweise wird niemand am Kopf getroffen. Andere Demonstranten, die über die Bahngleise klettern und diese traurige Episode miterleben, legen sich mit den Vermummten an, um ihnen Einhalt zu gebieten. Nach vielleicht 30 Sekunden ist der Spuk vorbei. Kaum hat der Steinhagel aufgehört, kaum haben sich die Menschen wieder erhoben, wird der Platz unmittelbar vor der Unterführung mit Tränengaskanistern eingedeckt.

Beim Verlassen der Unterführung eilt ein sehr freundlicher Schwarzvermummter, der mit englischem Akzent spricht, dem SB-Redakteur und einer etwas älteren Friedensdemonstrantin aus Irland, die unter Kreislaufproblemen leidet, zu Hilfe. Er nimmt zwei kleine Phiolen aus der Tasche und träufelt beiden die darin befindliche Flüssigkeit in die Augen. Dies lindert die Wirkung des Tränengases. Man kann wieder etwas sehen, auch wenn Haut und Lungen brennen.

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Inzwischen ist der Zug nach rechts abgebogen. Man marschiert die Route de Petit Rhin hinauf, am Bassin Vauban, einem Seitenarm des Rheins, entlang auf die Pont d'Anvers zu.

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Von dort hätte man in die Innenstadt von Strasbourg gelangen können, wäre nicht auch diese Brücke von der Polizei vollständig gesperrt worden. Hier kommt es gegen 14.30 Uhr erneut zu Auseinandersetzungen. Vermummte Demonstranten werfen Steine und den einen oder andern selbstgefertigen Brandsatz. Die Polizei setzt ihrerseits Wasserwerfer, Tränengas und Schockgranaten ein.

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Dadurch wird der Demonstrationszug geteilt. Die eine Hälfte drängt in Richtung Hotel Ibis und Mitte der Hafeninsel, die andere Hälfte strömt die Route de Petit Rhin zurück. An der Pont Vauban ist wieder alles gesperrt.

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Weil die irische Friedensaktivistin, die der SB-Mitarbeiter seit dem Zwischenfall im Bahntunnel begleitet, zu kollabieren droht und dringend Medikamente einnehmen muß, die sie im Hotel zurückgelassen hat, läßt die Polizei die beiden und eine weitere irische NATO-Gegnerin die Absperrung an der Pont Vauban passieren.

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Offene Fragen zu in den Medien aufgestellten Behauptungen über Schußwaffenfunde bei Demonstranten und Angriffe auf die Einsatzkräfte der Feuerwehr harren der genaueren Untersuchung, sind bis dato doch widersprüchliche Angaben über diese Entwicklungen verfügbar. Bei den von den Sachbeschädigungen unmittelbar betroffenen französischen Bürgern handelte es sich meist um einfache, arme Menschen, die den Protesten grundsätzlich positiv gegenüberstanden. Die sich dabei aufdrängende Klassenfrage sollte auch von denjenigen beantwortet werden, die mit ihrer Zerstörungsgewalt unterschiedslos Anwohner, Demonstranten und Polizisten gefährdeten.

Wer es ernst meint mit demokratischen Rechten, müßte deren Bestand nun durch die intensive Untersuchung der Ereignisse nicht nur hinsichtlich möglicher Rechtsverstöße durch Demonstranten oder Dritte, sondern auch der an den Auseinandersetzungen beteiligten Polizeibeamten sichern. Allein der nach der Abschlußkundgebung in der Nähe des abgebrannten Hotels Ibis von der Polizei gebildete Kessel, in den immer wieder Tränengaskartuschen und Schockgranaten gefeuert wurden, um daraus flüchtende Demonstranten verhaften zu können, bietet mehr als genug Anlaß für ein umfassendes politisches Nachspiel. Schockgranaten zerlegen sich zwar nicht in tödlich wirkendes Schrapnell, erzeugen aber bei Explosion in unmittelbarer Nähe offene Wunden und können zum Verlust von Gliedmaßen oder sogar zum Tode führen. Diese vor allem bei der Erstürmung von Gebäuden bei Geiselnahmen eingesetzte Waffe inmitten von Menschenmengen zu feuern, kommt einer militärischen Kampfhandlung gleich, das gleiche gilt für Tränengas, das zu schwerwiegenden Atembehinderungen führen kann.

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So drängt sich anhand der systematischen Unterbindung der Proteste gegen ein Militärbündnis, das in Afghanistan im Krieg steht und Tausenden von Jugoslawen das Leben nahm, die naheliegende Schlußfolgerung auf, daß die Aggressivität der NATO nicht nur nach außen gerichtet ist. Die Beteiligung französischer Soldaten an den Sicherheitsmaßnahmen, die Überwachung des Luftraums über Strasbourg durch AWACS-Flugzeuge der NATO Airborne Early Warning and Control Force und vor allem die von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble immer wieder bekräftigte Ununterscheidbarkeit von innerer und äußerer Sicherheit dokumentieren, daß die bürgerkriegsartigen Verhältnisse im Umfeld des NATO-Gipfels nicht so weit entfernt sind von den operativen Kampfeinsätzen der NATO-Truppen, wie man es als Bürger gerne hätte. Die sogenannte Heimatfront wurde schon lange vor dem 11. September 2001, seitdem allerdings auf beschleunigte Weise, in ein Antidot zu jeglicher demokratischen Kultur, die diesen Namen verdient, verwandelt.

Nachdem die Bevölkerung weit im Vorfeld des NATO-Gipfels durch den Aufmarsch der staatlichen Gewaltorgane und alarmistische Unterstellungen einzelner Journalisten und Politiker über die Aktivitäten der NATO-Gegner eingeschüchtert, die Demonstranten über die Wahrnehmung ihres Versammlungsrechts bis fast in die letzte Stunde hinein im Unklaren gelassen, systematisch Spreu vom Weizen getrennt und sogleich wieder vermischt wurde, um mit Hilfe einer explosiv destruktiven Mischung aus Not, Orientierungsverlust und Selbstverteidigung die Paralyse und Widerlegung der ursprünglich erklärten Absichten zu bewirken, fällt selbst bei flüchtiger Beobachung auf, daß es hier vieles zu hinterfragen gibt. Bei allem Bemühen der Organisatoren, überlegt zu handeln und Perspektiven für die Behörden zu entwerfen, die den zivilen und demokratischen Charakter der Demonstration unterstrichen, wurden diese gerade aufgrund ihres klaren politischen Selbstverständnisses auf den oppositionellen Charakter ihrer Position zurückgeworfen und in ihrer politischen Manifestation als Gegner der NATO eingeschränkt.

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In die Bilanzierung des Geschehens sollte durchaus die Überlegung einbezogen werden, inwiefern der mehrheitlich linke Charakter des Antikriegsbündnisses und der Aufmarsch zahlreicher linksradikaler Parteiorganisationen zur unflexiblen und unversöhnlichen Grundhaltung einer Staatsmacht beigetragen hat, die, wie man anhand der Freiheitslyrik ihrer Repräsentanten mutmaßen könnte, sich ansonsten nicht entgehen ließe, sich eine gelungene Demonstration als Glanzstück zivilgesellschaftlicher Kultur und Beweis demokratischer Glaubwürdigkeit ans Revers zu heften. Wenn dadurch allerdings die Erfolgsaussichten eines mehrheitlich linken Bündnisses anwüchsen, das sich anschickt, die grassierende soziale Not und ihre zivile wie militärische Regulation zu einer Frage von systemverändernder Wucht zu verschmelzen, dann erscheint die Option eines gezielt herbeigeführten und systematisch orchestrierten Feuerwerks zweckdienlicher zu sein.

Wie die Ergebnisse des NATO-Gipfels gezeigt haben, stehen die Zeichen auf die territoriale wie gouvernementale Ausweitung der Befugnisse und Aktivitäten der westlichen Militärallianz. Anhand der Neuformulierung des zuletzt 1999 zur Begleitmusik der Bombardierung Jugoslawiens festgelegten Strategischen Konzepts wird zu ermessen sein, daß Weltwirtschaftskrise, Ressourcenverknappung und Klimawandel nicht durch grundlegende gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen zum Nutzen aller bewältigt, sondern durch die Fortschreibung der herrschenden Produktions- und Verfügungsverhältnisse zu Lasten der Mehrheit der Menschen organisiert werden sollen. "Vernetzte Sicherheit" dechiffriert sich unter den Vorzeichen "asymmetrischer Kriegführung" und "terroristischer Bedrohung" als Militarisierung weiter ziviler und gesellschaftlicher Bereiche, so daß die immer schärfer gestellte Forderung nach sozialer Gerechtigkeit mit dem Zwangsregime der Mangelregulation beantwortet werden kann.

Wenn überhaupt, dann hätte der Protest gegen die NATO in einer postindustriellen Einöde artikuliert werden dürfen, wo nur Menschen, die ihrerseits keine Stimme haben, davon Kenntnis genommen hätten. Es ging in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg darum zu verhindern, daß vom Widerstand gegen die NATO das Signal ausgegangen wäre, hier artikulierten Menschen ihr legitimes emanzipatorisches Anliegen, nicht nur aus der Militärallianz auszutreten, sondern sie abzuwickeln und mit ihr die Militarisierung der EU umzukehren.

Das Internationale Organisationsbündnis, das großartige Arbeit geleistet hat, die Aktivisten, deren gewaltfreie Blockaden Aufmerksamkeit für das Anliegen der NATO-Gegner erzwangen, und die Zehntausende, deren Auftreten gegen die äußere wie innere Kriegführung neue Keime internationaler Solidarität legten, stehen im Konflikt mit einem supranational agierenden Regime, das, losgelöst vom angeblichen Volkssouverän, die Interessen einfacher Menschen in aller Welt negiert und das epochale Krisenszenario zu ihren Lasten verwaltet. Dieser Konflikt wurde in Strasbourg verschärft, und zwar auf Betreiben jener Kräfte, die kein Interesse daran haben, daß Menschen auf eine andere Weise zueinander finden, als sich in gegenseitiger Verwertungsabsicht über die Maßgaben Dritter zu definieren und zu verbrauchen.

Die Abfälle imperialistischer Produktivität ihrem destruktiven Zweck zu entfremden ... - © 2009 by Schattenblick
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Die Abfälle imperialistischer Produktivität ihrem destruktiven Zweck zu entfremden ...
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... und mit ihnen eine neue Welt zu bauen ... - © 2009 by Schattenblick
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... ist verboten! - © 2009 by Schattenblick


... ist verboten!
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7. April 2009