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INTERVIEW/119: Afrikas Erde - Dr. Michael Brüntrup (DIE) zu Biosprit und Landnahme, Teil 1 (SB)


Interview mit Dr. Michael Brüntrup am 23. Mai 2012 in Hamburg, Teil 1



Im Rahmen des vom German Institute of Global and Area Studies (GIGA) organisierten Forums "Landraub oder Agrarinvestitionen: Großflächige Agrarprojekte in Entwicklungsländern" am 23. Mai in Hamburg hielt Dr. Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn einen Fachvortrag über die agrarische Produktion von Pflanzen für Biosprit. [1] Vor der Veranstaltung hatte der Schattenblick Gelegenheit, ein ausführliches Gespräch mit dem Referenten zu führen.

Referent im Gespräch am Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Michael Brüntrup
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce vertritt in seinem neuen Buch "The Land Grabbers: The New Fight over Who Owns the Earth" die Ansicht, daß die Landnahme einen größeren Einfluß auf die ärmeren Menschen hat als der Klimawandel, ohne daß er diesen damit kleinreden will. Schätzen Sie die Auswirkungen der Landnahme auch so ein?

Dr. Michael Brüntrup: Rein gefühlsmäßig würde ich behaupten, im Moment noch nicht. Gegenwärtig sind 60 Millionen Hektar unter Vertrag, die agrarisch genutzte Anbaufläche insgesamt dürfte wahrscheinlich doppelt so hoch werden. Selbst dann würde das immer noch wesentlich weniger Menschen betreffen als der Klimawandel, der prinzipiell jeden betrifft und besonders die 500 Millionen Kleinbauern in der Dritten Welt. Also ich denke, ganz so schlimm ist es nicht. Aber wenn Fred Pearce damit sagen will, daß die Landnahme ein enorm drängendes Problem für die Kleinbauern ist, dann hat er damit sicherlich recht. Die Landinvestoren gehen, wenn ich das richtig sehe, meistens nicht in die dicht besiedelten Gebiete, in denen die Flächen weitgehend aufgeteilt sind, weil es einfach zu teuer wäre und es sich von der Produktivität her, da ihre Anbaumethoden nicht viel besser sind, nicht lohnen würde, die Kleinbauern auszukaufen. Deswegen sind gerade diese dicht bevölkerten Regionen eher vor dem Landgrabbing geschützt.

SB: An Landnahmen sind verschiedene Akteure beteiligt, unter anderem Finanzinvestoren, die auf steigende Preise spekulieren oder schlicht ihr Portfolio diversifizieren wollen. Wie hat sich ein Laie so eine Investition konkret vorzustellen? Ist sie zugleich mit der Vertreibung der angestammten Bevölkerung verbunden und werden die aufgekauften Gebiete dann militärisch oder auf andere Weise gesichert?

MB: Die Fälle, in denen die Landbevölkerung tatsächlich mit Gewalt vertrieben wird, stellen natürlich die eklatantesten Beispiele dar, und es gibt sie sicherlich. Je stärker das Unrechtsregime, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Landnahme mit Gewalt durchgesetzt wird. Ich arbeite meistens in Afrika und muß sagen, daß viele ländliche Gemeinden den Investoren gegenüber gar nicht so abgeneigt sind. Natürlich kommen diese mit großen Versprechungen, und es sieht im Moment nicht danach aus, als würden sie alle gehalten werden. Aber sie bringen Jobs und damit Stabilität in die Region und neue Perspektiven gerade für die jüngeren Leute, die nicht mehr Kleinbauern sein, sondern lieber einen Trecker fahren oder einen sicheren Beruf haben wollen. Deswegen ist die lokale Bevölkerung in vielen Fällen durchaus gewillt, Teile ihrer Flächen abzugeben oder ganz umzusiedeln, wenn sie dafür adäquate Gegenleistungen bekommt.

SB: Was aber nicht immer der Fall ist.

MB: Genau, es wird viel versprochen. Eines der Probleme, das vielleicht etwas in den Hintergrund gerät, ist, daß viele Investitionen überhaupt nicht funktionieren und die Investoren mit der Rentabilität tropischer Landwirtschaft oft falsch liegen und sich kein Bild davon machen, was sie da alles hineinstecken müssen. Entsprechend können sie daher ihre Versprechen nicht halten. Das habe ich des öfteren gesehen. In diesem großen Spektrum bewegt sich das. Ich glaube nicht, daß viele dieser Landnahmen mit den ganz extremen Bildern von Vertreibung verbunden sind, wie man das aus Kambodscha, Äthiopien oder aus Ländern kennt, in denen die Menschenrechtslage prekär ist.

SB: Oft heißt es auch, daß die ausländischen Investoren Land in bevölkerungsärmeren Regionen pachten, das von niemandem genutzt wird. Gibt es dieses ungenutzte Land überhaupt, oder ist es nicht vielmehr so, daß es von Dorfbewohnern zumindest zum Sammeln von Nüssen und Feuerholz oder von Pastoralisten als Weideland für ihr Vieh genutzt wird?

MB: Wirklich ungenutzte Flächen sind wahrscheinlich selten. Gerade die Flächen, auf die es Investoren abgesehen haben, sind schwach genutzt, untergenutzt und weisen eine sehr geringe Produktivität auf. Zum Teil werden sie jahrelang nicht genutzt. So brauchen Pastoralisten ja nicht immer alle Flächen, sondern viele Flächen werden erst dann wichtig, wenn es eine Dürre gibt, so daß sie ausweichen können. Am stärksten gefährdet sind wahrscheinlich jene Flächen, die schwach genutzt sind und sich in kommunalem Eigentum befinden, wo auch die Eigentumsverhältnisse nicht klar sind.

SB: In Tansania war es so, daß die Regierung irgendwann gesagt hat, wir machen gar keine Landvergabe mehr, weil sich die ausländischen Investoren immer an die kommunale Ebene, an die Chiefs oder untergeordnete administrative Stellen gewandt und Verträge, an der Zentralregierung vorbei, abgeschlossen haben. Weil es nicht geregelt war, hat die Zentralregierung es dann in die eigenen Hände genommen.

MB: Beides ist problematisch. Auf der anderen Seite wird die Forderung immer stärker, daß Landrechte kommunal organisiert sein sollen, eben um die ländlichen Bevölkerungsgruppen zu stärken. Was dann passiert, ist natürlich abzusehen. Aber natürlich befinden sich schon jetzt die informellen Landeigentumsrechte häufig auf lokaler Ebene. In den meisten afrikanischen Ländern hat der Zentralstaat keinen großen Einfluß darauf, nur pro forma. Bei sehr großen Projekten kann er das in die Hand nehmen. Die meisten Landtransaktionen finden jedoch auf der mittleren Ebene statt, wo lokale Geschäftsleute oder auch Eliten sich Land aneignen. "Aneignen" klingt immer so, als wenn es rechtswidrig wäre, aber die Flächen werden in Zusammenarbeit mit den lokalen Chiefs und zum Teil auch mit der Bevölkerung übereignet. Zwischen Zentralstaat und lokalen Trägern gibt es vor allem graduelle Unterschiede, aber prinzipiell hat das Landgrabbing mit schlechtem Government zu tun.

SB: Wie kann man sich das praktisch vorstellen, gehen die Investoren direkt in die lokale Ebene hinein, oder müssen sie das vorher auf staatlicher Ebene vorgeklärt haben?

MB: Das kommt auf das Land an. In Tansania zum Beispiel liegt eigentlich ein großer Teil des Landes in kommunaler Verwaltung - pro forma gehört es dem Staat, aber es ist dezentralisiert worden. In Ghana sind es die traditionellen Chiefs. Ich persönlich habe in Namibia gearbeitet, und im Norden des Landes sind es auch die Chiefs, die die Verfügungsgewalt im Namen ihrer Communities innehaben. Sie müssen sich auch größere Landtransaktionen von der Zentralregierung genehmigen lassen - eine Art "balance of power" -, aber wo viele schwache Akteure zusammenarbeiten, muß nicht immer auch Gutes dabei herauskommen. Auf der anderen Seite sollte man nicht pauschal urteilen. Weder die Zentralregierung noch die lokalen Communities sind generell korrupt.

SB: Kann man sich das so vorstellen, daß die Chiefs ihren Stämmen oder Gemeinschaften gegenüber stärker verpflichtet sind und mehr mit den Menschen zu tun haben als beispielsweise eine übergeordnete Administration wie Brüssel zu Deutschland oder die Bundesregierung zu den kommunalen Ebenen? Steht da das persönliche Verhältnis zwischen den Chiefs und ihren Leuten stärker im Vordergrund?

MG: Genau, und deshalb ist die Idee einer Dezentralisierung auch der Land- und Nutzungsrechte im Prinzip gut. Man muß halt versuchen, diese "checks and balances" zu schaffen, um, gerade wenn es um Land und Wasser, also um elementare Ressourcen der Landbevölkerung geht, Fehlentscheidungen oder absichtliche Veruntreuungen zu vermeiden.

SB: Die Beratungsfirma McKinsey schreibt in einem jüngeren Report, daß Afrika über rund 25 Prozent der weltweit nutzbaren landwirtschaftlichen Flächen verfügt, aber nur zehn Prozent davon genutzt werden. McKinsey sieht für Afrika ein riesiges Entwicklungspotential, vermerkt jedoch, daß dazu jährliche Investitionen in Höhe von ungefähr 50 Milliarden Dollar erforderlich wären, um dieses Potential zu nutzen. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß damit die negativen Aspekte der Landnahme gefördert werden und die Investoren darin eine sichere Geldanlage sehen, nicht aber die Entwicklung des Landes im Blick haben?

MB: Natürlich muß in die afrikanische Landwirtschaft investiert werden. So, wie es im Moment läuft, ist es nicht gut. Die meisten afrikanischen Kleinbauern stellen gleichzeitig die hungernde und arme Bevölkerung in den Ländern dar. Und sie sind weltweit eine der zentralen Problemgruppen, die wir haben. Ideal wäre es, wenn die Kleinbauern selber investieren könnten. In diesem Rahmen gibt es durchaus Vorstellungen und Modelle, wie man sie genau dazu befähigt, so daß sie in die Verbesserung ihres Landes, der Betriebsmittel, in Vieh und Maschinen investieren und natürlich die Vermarktungsmöglichkeiten verbessern. Das hat nur leider seine Grenzen. Und damit kommen wir jetzt zum problematischen Punkt. Ohne formales Kapital und wahrscheinlich auch ohne den Einfluß von Investoren der Agroindustrie wird es nicht gehen. Das müssen noch nicht einmal Betriebe sein, die selber Land besitzen. Die meisten Investoren wollen eher die Produkte als das Land selber - bis jetzt war das auf jeden Fall so. Man muß versuchen, das formale Geld und die Kleinbauern so miteinander zu verbandeln, daß die Kleinbauern es aus eigener Kraft schaffen, der Armut zu entkommen. Die Idee der Mikrofinanzierung, ohne verbesserte Technologien und Marktzugang, daß sozusagen die Kleinbauern das alles aus eigener Kraft schaffen, ist wahrscheinlich illusorisch. Das wird zum Teil funktionieren, aber nicht überall. Und die Staaten selber sind dazu nicht in der Lage.

SB: Heben Sie auf die Methode des Vertragsanbaus, des
Contract-Farmings ab?

MB: Ja, das Contract-Farming ist wichtig. Es gibt ja auch Modelle des Nucleus-Outgrower, denen zufolge Investoren einen Teil der Fläche selbst bewirtschaften und den Rest im Contract-Farming oder mit Management-Organisationen bewirtschaften lassen. Diese Kombinationen muß man deutlich stärker fördern. Die Alternative wäre, daß man auf eine rein kleinbäuerliche Entwicklung setzt. Das wäre aber schwierig.

Dr. Brüntrup, am Tisch sitzend - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Man muß versuchen, das formale Geld und die Kleinbauern so miteinander zu verbandeln, daß die Kleinbauern es aus eigener Kraft schaffen, der Armut zu entkommen.' Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Im Weltagrarbericht, der stark von Nichtregierungsorganisationen beeinflußt wurde und in dem die unzureichende Welternährung thematisiert wird, heißt es, die Zukunft liegt nicht in der Konzernstruktur der industriellen Landwirtschaft, sondern in kleinbäuerlichen Produktionsweisen. Was halten Sie von dieser Vorstellung?

MB: Ich glaube, das ist eine Frage der Nuancierung. Selbst der Weltagrarbericht verurteilt nicht pauschal die großflächige Agrarindustrie. Man muß das fördern, was auch wirtschaftlich Sinn macht. An diesem Punkt scheiden sich natürlich die Geister. Was ich persönlich am Weltagrarbericht für ein wenig unterbelichtet halte, ist die ungenügend erfaßte Problematik der Kleinbauern, aber vor allem der Kleinstbauern, überhaupt Märkte zu erreichen, weil die Agrarmärkte sich stark ändern und die Anforderungen steigen. Selbst in den afrikanischen Ballungszentren können die Leute mittlerweile zwischen verschiedenen Produktqualitäten wählen. Die Stadtbevölkerung bevorzugt bestimmte höherwertige Produkte, die schön verpackt sind. Das sind jedoch Märkte, an die die Kleinbauern kaum herankommen. Man kann es über Kooperativen versuchen, aber meines Erachtens muß man in diesem Bereich gewisse Grenzen akzeptieren.

Ich glaube allerdings auch, daß Familienbetriebe, zumindest größere, die Landwirtschaft der Zukunft darstellen. Der große Teil der Produktion wird auch weiterhin dort stattfinden. Familienbetriebe sind einfach flexibler und haben nicht so viel Probleme mit der Kontrolle von Landarbeitern, usw. Es geht also um das Mischungsverhältnis und nicht um die prinzipielle Frage, entweder so oder so. Gott sei Dank hat auch der Weltagrarbericht das nicht so pauschal gesagt, sonst hätten ihn viele der Länder, die ihn finanziert haben, im Prinzip nicht unterschrieben.

SB: Einige Staaten sind allerdings ausgestiegen.

MB: Vor allem jedoch wegen der GMO-Geschichte. [2] Im Weltagrarbericht steht, daß es eine ökologischere Landwirtschaft sein muß, aber was genau unter "ökologischer" zu verstehen ist und ob das nur für Kleinbauern oder auch für die Großbetriebe gilt, steht nicht drin. Die Akzente sind vielleicht anders, aber damit kann jeder Agrar- oder Entwicklungsökonom sehr gut leben.

SB: Noch vor einigen Jahren wurde die Purgiernuß - Jatropha curcas - als Wunderpflanze gehandelt. Eine Begeisterungswelle ging durch die Medien, und auch die Entwicklungsorganisationen sind darauf eingestiegen. Haben Sie auch den Eindruck, daß die Euphorie inzwischen reichlich verflogen ist?

MB: Mein Fazit ist, daß man die Sache total überschätzt hat. Leider überschätzt, muß man sagen, denn dadurch wurden viele andere vernünftige Investitionsmodelle ebenfalls in Frage gestellt. Daraus wird man noch viele Lektionen ziehen, warum man die Pflanze so maßlos überschätzt hat. Denn eigentlich kam das nicht wirklich überraschend. Erstens ist Jatropha keine Kultur-, sondern eine Wildpflanze. Die muß zunächst einmal domestiziert werden, ehe man aus einem Strauch, der vielleicht in einer Hecke wächst, eine Kulturpflanze macht, die man im Verband anpflanzen kann. In Namibia hat man festgestellt, daß auf einmal ganz neue Schädlinge auf die Pflanze gehen und, obwohl sie eigentlich giftig ist, es dennoch Tiere gibt wie Stachelschweine, aber auch kleine grüne Käfer, die sie gerne fressen. Da entstehen ganz neue Populationsdynamiken. Der Anbau funktioniert nicht so, wie man sich das vorgestellt hat. Daß eine Pflanze, die trockenresistent ist und auf marginalen Böden leben kann, keine Höchsterträge liefert, ist nun nicht wirklich überraschend. Auch sind die Anbautechnik und das Ernten sehr aufwendig. Das hat man völlig unterschätzt.

SB: Kann die Ernte nur per Handarbeit erfolgen?

MB: Ja. Vielleicht kann das irgendwann mechanisiert werden, aber es ist nicht so einfach. Man hat im Prinzip erst einmal große Flächen gekauft oder gepachtet, bevor man sich über die Nutzungsmöglichkeiten Gedanken gemacht hat. Ich glaube, daß man daraus viel lernen kann. Die meisten Investoren, die ich kenne, kamen gar nicht aus dem Agrarbereich, sondern aus der Energie- und Mineralölwirtschaft, in Namibia auch aus dem Bergbau. Die hatten im Prinzip überhaupt keine Ahnung davon, was sie machen. Es gibt ein schönes Parallelbeispiel dazu. Henry Ford hatte in den 20er Jahren versucht, große Kautschuk-Plantagen in Brasilien anzulegen. Es gibt lehrreiche Reportagen darüber, wie grandios es gescheitert ist, eine industrielle Produktionslogik auf die Landwirtschaft anzuwenden. Das hat genauso wenig funktioniert wie hundert Jahre später der Jatropha-Anbau.

SB: Kennen Sie konkrete Beispiele, in denen sich Investoren mit kargen Böden zufriedengegeben haben oder ist es erfahrungsgemäß eher so, daß sie dann doch immer die fruchtbaren Böden vorziehen und damit in Konkurrenz zur Nahrungsproduktion stehen?

MB: Sie werden immer versuchen, die besten Böden mit verkehrsnaher Anbindung für den Transport des Produkts zu den Märkten zu bekommen. Das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage und was man auf den Böden anpflanzen kann. Solange die Investoren im Prinzip so gut wie nichts zahlen müssen - gerade in Afrika wird ihnen das Land regelrecht nachgeschmissen -, solange kann man von ihnen nicht verlangen, sich mit kargen Böden zufriedenzugeben. In Nordnamibia hingegen waren es solche kargen Böden, aber eben auch die einzigen, die in der Größenordnung zur Verfügung standen. In den Fällen ließen sich auch die Investoren darauf ein, zumal sie angenommen hatten, daß die Jatropha besser mit den marginalen Konditionen zurechtkommt. Oder man wollte bewässern. Das Wasserthema birgt allerdings viel Sprengstoff. Der Okawango ist fast tabu und aus dem Sambesi kann man zwar noch einiges abschöpfen, aber das muß natürlich zwischen den Anrainerstaaten koordiniert werden. Auch das haben die Investoren, aber auch die Behörden, die das zugelassen haben, einfach ignoriert.

SB: Unterstützt die namibische Regierung den Jatropha-Anbau?

MB: Im Moment nicht mehr. Als wir damals vor Ort waren, hat sie es noch getan, aber dann verhängte sie ein Moratorium, weil ihnen die Sache wohl über den Kopf gewachsen war und die Dimensionen zu groß wurden. Ich finde, man muß den afrikanischen Regierungen zugute halten - das gilt selbst für Namibia, das ja eigentlich ein reiches Land ist -, daß sie bis jetzt in ihrer Landwirtschaft hauptsächlich die Armut und das Problem gesehen. Und dann kommt plötzlich so ein Boom von Investoren. Die Regierungen hatten in allen möglichen Bereichen Investoren gesucht, warum also nicht auch in der Landwirtschaft, um endlich einmal aus den durchaus vorhandenen und untergenutzten Ressourcen Kapital zu schlagen.

Es gibt es diese alten Investitionsregeln, wonach einem Investor, der aufs Land geht - sagen wir mal, mehr als 100 Kilometer von der Hauptstadt entfernt - Zollfreiheit eingeräumt wird. Das gibt es schon lange, aber trotzdem hatte sich kein Mensch für das Land interessiert. Jetzt auf einmal kommt so eine Welle, und damit waren die afrikanischen Staaten überfordert und haben wahrscheinlich aus der anfänglichen Euphorie heraus, daß es endlich funktionieren könnte, durchaus viele Fehlentscheidungen getroffen. Jedenfalls liegen die vielen Investitionen im Jatropha-Bereich im Moment wieder brach. Es ist also nicht so, daß diese riesigen Ländereien jetzt kultiviert würden.

SB: Vermutlich liegen die Rechtstitel jetzt in ausländischer Hand bzw. bei den jeweiligen Unternehmen, oder sie haben sie teilweise abgegeben und lassen das Land brachliegen. Oder kann es vorkommen, daß es wieder von den Einheimischen genutzt wird, die sich nicht um solche Rechtsfragen scheren?

MB: Das letztere trifft wohl eher zu. Die meisten Verträge sind zwar nicht transparent, aber normalerweise gibt es in ihnen Klauseln, die Investoren verpflichten - hoffentlich verpflichten -, innerhalb einer bestimmten Zeit mit den landwirtschaftlichen Projekten anzufangen und sie dann auch auszubauen. Wenn das nicht geschieht, würden diese Rechte zurückfallen. Aber an wen? In Namibia würden sie unter Umständen an den Zentralstaat und nicht wieder an die Gemeinde, die das Land an die Unternehmen ausgegeben hatte, zurückfallen. Das ist eine unmögliche Rechtslage. Je nach Land oder Vertrag gibt es da ganz viele Unstimmigkeiten. Eine andere Sache ist, daß viele dieser Ländereien nicht zum ersten Mal vergeben wurden. Ich kenne Beispiele aus Tansania oder Namibia, wo viele Flächen für irgendwelche Nutzungen vorgesehen waren. Es ist aber nichts passiert, und so blieb es ein rechtsfreier Raum. In Uganda beispielsweise ging es in dem Fall sogar um Staatsland. Da ist die Rechtslage sogar wichtig. Die Kleinbauern, die das Land mittlerweile bewirtschaften, sind rechtlich nicht dazu berechtigt, sondern haben es, wenn man so will, okkupiert. Natürlich ist das unter einem menschenrechtlichen Ansatz eine unmögliche Sache, schließlich haben die Kleinbauern Gewohnheitsrechte. Aber diese Gemengelage wird mit jeder Generation, in denen diese Ländereien vergeben werden, immer komplizierter, weil sich alte und neue Rechte immer mehr überlappen. Das ist ein Riesenproblem.

(Fortsetzung folgt)


Fußnoten:

[1] Den Bericht zu der Veranstaltung können Sie unter POLITIK, REPORT, BERICHT/110: Afrikas Erde - Im Fokus globaler Landnahme (SB) nachlesen.
http://schattenblick.com/infopool/politik/report/prbe0110.html

[2] GMO - Gentechnisch manipulierter Organismus. Im Weltagrarbericht wird der gentechnischen Veränderung von Pflanzen als Antwort auf den globalen Nahrungsmangel eine Absage erteilt.

Interviewpartner, am Tisch sitzend - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Michael Brüntrup und SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

4. Juni 2012