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INTERVIEW/329: Aufbruch demokratisch - Rechtsruck verhindern ...    Sören Altstädt im Gespräch (SB)


Die Zukunft einer progressiven Linken

Interview am 15. November 2016 in Hamburg



S. Altstädt in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Sören Altstädt
Foto: © 2016 by Schattenblick

Sören Altstädt studiert am Institut für Soziologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Er ist Aktivist der paneuropäischen "Bewegung Demokratie in Europa 2015", kurz DiEM25, die sich die Demokratisierung der Europäischen Union auf die Fahnen geschrieben hat. [1] In Berlin im Februar von Yanis Varoufakis und anderen gegründet, hat sich die Bewegung innerhalb Deutschlands wie auch anderer EU-Staaten weiterentwickelt, so auch seit April in Hamburg, wo Sören Altstädt seitdem die Aktivitäten und Bemühungen koordiniert.

Am 15. November fand in einem Hörsaal der Universität eine DiEM25-Verstaltung zum Thema "Die gegenwärtige Europapolitik und die Demokratisierung der EU" statt. [2] Im Mittelpunkt des Interesses stand zweifellos Yanis Varoufakis. An der Podiumsdiskussion vor vollbesetztem Haus nahmen aber auch wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Hamburg teil. Sören Altstädt sprach die Begrüßungs- und Einleitungsworte und stellte sich dem Schattenblick im Anschluß an die Veranstaltung zu einem kurzen Gespräch zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Die erste Frage lautet natürlich: Wie war denn Ihr Eindruck heute abend?

Sören Altstädt (SÖ): Mein Eindruck war, daß es insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung war. Wir haben hier versucht, DiEM sozusagen eine größere diskursive Reichweite zu verschaffen. Meiner Meinung nach sind Unis aufgrund ihrer gesellschaftlichen Funktion eine ideale Institution, um diese Reichweite zu erzeugen, und ich glaube, das ist uns auch ganz gut gelungen. Wir konnten DiEM ein seriöseres Ansehen verleihen, was es auf jeden Fall verdient hat und was es bisher - zumindest in der deutschen Medienlandschaft - einfach nicht bekommen hat. Nach meinem Eindruck haben wir das heute abend auf jeden Fall ein Stück weit geschafft.

SB: War denn DiEM in Hamburg schon vor der heutigen Veranstaltung verankert?

SÖ: Auf jeden Fall. Wir sind hier seit April am Netzwerken, am Organisieren, am Tun. Ich koordiniere das seitdem, also seit sieben Monaten.

SB: Wie ist denn die Entwicklung von DiEM europaweit einzuschätzen? Gibt es die Bewegung auch schon in den anderen EU-Staaten und wie ist die Beteiligung?

SÖ: Wenn wir jetzt nach den Anmeldungen auf unserer Website gehen, sind das rund 30.000 Menschen aus ganz Europa, die sich beteiligen oder sich zumindest für DiEM interessieren. Aber ich glaube, daß die Reichweite deutlich größer ist, weil sich manche Leute einfach nicht anmelden oder das aufgrund irgendwelcher Vorbehalte nicht wollen. Meiner Meinung nach ist die internationale Entwicklung von DiEM auf jeden Fall so, daß die Bewegung wächst und expandiert, interessanterweise auch in Deutschland. Wenn ich mich nicht irre, ist die deutsche DiEM-Gemeinschaft schon die zahlreichste. Gut, wir sind auch eines der bevölkerungsstärksten Länder der EU, aber ich glaube schon, daß es hier eine spezielle Verdichtung gibt.

SB: Wenn man das DiEM-Manifest [3] liest, fällt auf, daß da linke Positionen rausgelassen oder relativ niedriggehalten wurden. Ist das vielleicht auch eine taktische Entscheidung gewesen, um erst einmal möglichst viele Menschen ansprechen zu können?

SÖ: Yanis hat ja schon gesagt, daß DiEM an und für sich kein genuin linkes Projekt ist, sondern ein demokratisches. Ich persönlich sehe gerade dieses demokratische Projekt als die Zukunft einer progressiven Linken an und insofern würde ich dieses Manifest schon als stark links ausgerichtet einstufen.

SB: Sie haben die Vorbehalte oder auch das Zögern in den deutschen Medien gegenüber DiEM angesprochen. Welche Einwände mögen Ihrer Einschätzung nach dahinterstecken?

SÖ: Ich würde vermuten aufgrund der hegemonialen Funktion, die Deutschland in der EU derzeit einnimmt, daß unsere Medienlandschaft sehr darauf bedacht ist, die Austeritätspolitik gegen Griechenland - vor allem aus deutscher Sicht - als legitim darzustellen. Was ich häufig beobachte ist, daß Yanis Varoufakis persönlich sehr stark angegangen wird. Ihm wird irgendwie ein starker Narzißmus zugeschrieben. Aufgrund seiner Niederlage als Finanzminister würde er versuchen, seinen Narzißmus nun durch diese Bewegung zu befriedigen. Das sind wirklich Sachen, die in der deutschen Medienlandschaft so geäußert werden. Ich glaube, daß diese Vorbehalte ganz stark auf die Wahrnehmung von DiEM in Deutschland ausstrahlen, aber das wird sich ändern. Vor allem durch die Erschütterungen der letzten paar Wochen ist klargeworden, daß das eine gute Sache ist, und auch heute hat man ja gesehen, daß Yanis kein fanatischer Narzißt ist, sondern wirklich etwas zu sagen hat und auch für Deutschland relevante Themen konstruktiv aufbereitet.

SB: Vielen Dank, Herr Altstädt, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] www.diem25.org

[2] Siehe auch die weiteren Beiträge zu der Veranstaltung im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/252: Aufbruch demokratisch - kleinster Nenner ... (SB)
INTERVIEW/330: Aufbruch demokratisch - wohin soll's gehen ...    Martin Sauber im Gespräch (SB)

[3] Ein Manifest für die Demokratisierung Europas. DiEM25 - Democracy in Europe Movement 2015. Herunterladbar unter:
http://diem25-hamburg.de/diem25-manifesto/

23. November 2016


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