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INTERVIEW/331: EU Gleichung - Aufrüstungsreigen ...    Norman Paech im Gespräch (SB)


Frage von Krieg und Frieden - Ein Kernelement linker Politik

Interview am 13. Dezember 2016 in Hamburg-Barmbek


Der Völkerrechtler Norman Paech war von 1975 bis 1982 Professor für Politische Wissenschaft an der Einstufigen Juristenausbildung der Universität Hamburg, 1982 bis 2003 für öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Von 1969 bis 2001 gehörte er der SPD an, 2007 trat er in die Partei Die Linke ein. Er war von 2005 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und Außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. [1]

Norman Paech eröffnete mit einem Grußwort die von der Journalistin Luc Jochimsen moderierte Podiumsdiskussion "EU am Abgrund? Wohin steuert die EU zwischen Brexit, CETA, Euro- und Flüchtlingskrise?" mit Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, und dem Europaabgeordneten Fabio Di Masi im Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbeck. [2] Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu diesem Themenkomplex.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Norman Paech
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Eine immer wieder diskutierte Kernfrage lautet: War die Europäische Union am Anfang ein demokratisches Projekt oder, wie Kritiker meinen, ein Projekt bestimmter Nationalstaaten und deren Eliten sowie Kapitalfraktionen?

Norman Paech (NP): Ich bin der Überzeugung, daß es zu Anfang wirklich ein demokratisches Projekt - allerdings mit schweren Geburtsfehlern - war. Die Idee Europas ist sehr alt, aber als sie sich dann von der Montanunion allmählich zu einer politischen Union durchentwickelte, hat es sehr starke Fehler gegeben, die jetzt einen Zustand hervorgerufen haben, in dem sie mehr als reparaturbedürftig ist. Es gibt auch Stimmen, die eine Neugründung fordern.

SB: Wie könnte man die EU denn neu gründen? Einer These aus deutscher Sicht zufolge könnte man sie eher in Berlin als in Brüssel reparieren.

NP: Im Augenblick würde ich sagen, daß die Situation in Berlin nicht günstig ist, denn die Regierung Merkel/Schäuble ist für den derart elenden Zustand der EU durchaus mit verantwortlich. Sie ist diejenige treibende Kraft gewesen, die zum Beispiel TTIP fast durch die Staaten durchgepeitscht und den unseligen Griechen nicht etwa geholfen, sondern sie stranguliert hat. Das heißt, Berlin als Stadt geht ohne weiteres in Ordnung, aber gegenwärtig würde ich davor warnen, Berlin als politischem Ort den Hut aufzusetzen, um die EU zu reformieren. Damit würde man eigentlich den Bock zum Gärtner machen.

SB: Sie hatten in Ihrer Vorrede die Militarisierung der EU angesprochen. Aus deutscher Perspektive gibt es seit mehreren Jahren Pläne dazu, sei es im Konzept "Neue Macht. Neue Verantwortung" oder im aktuellen Weißbuch der Bundeswehr. Wie sind die deutschen Ambitionen zu bewerten?

NP: Die deutschen Ambitionen sind unter der Zwei-Frauen-Führung Merkel/von der Leyen sehr unverdaulich. Beide gehen im Grunde davon aus - was auch Gauck angesprochen hat und leider von Steinmeier übernommen worden ist -, die politische Verantwortung, die wir zweifelsohne in Europa aufgrund unserer politischen und ökonomischen Gesamtstärke haben, im wesentlichen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Das halte ich für den grundlegenden Fehler. Wir sollten unsere kulturellen, politischen und auch ökonomischen Fähigkeiten statt dessen einsetzen, um aus diesem Projekt der EU wirklich ein demokratisches, soziales und friedliches zu machen. Doch die Deutschen wollen ihre Verantwortung militärisch umsetzen und damit natürlich auch eine imperialistisch unantastbare Position innerhalb Europas einnehmen und so zum Juniorpartner der USA im imperialistischen scramble for europe aufsteigen.

SB: Wie steht es aus Ihrer Sicht um das Verhältnis zwischen den USA und Europa bzw. Deutschland?

NP: Die USA haben nicht erst seit Trump die Forderung America first aufgestellt. Auch alle Vorgängerregierungen haben zugesehen, daß die Amerikaner in ihrer ökonomischen und vor allen Dingen in ihrer militärischen Stärke unantastbar sind. Ihr Militäretat ist größer als der gesamte europäische und auch russische und chinesische zusammen. Das ist die Grundbasis für ihre imperialistische Dominanz in der Welt, auch gegenüber Europa, die sie für sich dauerhaft beanspruchen. Natürlich brauchen sie Europa auch innerhalb der NATO, um ihre Ziele, ob nun im Nahen Osten, Südamerika, Afrika oder Asien, arbeitsteilig durchführen zu können. Die Unantastbarkeit ihrer Dominanz in dieser Zusammenschau ist für alle US-Regierungen immer ohne Frage gewesen.

SB: Die Orientierung der USA auf den pazifischen Raum wurde bereits unter Obama vorangetrieben. Nun hat Trump sehr schnell nachgelegt. Wird damit China massiv ins Visier genommen?

NP: Eine Konkurrenz ist möglich, aber ich halte es für sehr gefährlich, eine Konfrontation mit China aufzubauen. Denn China wird in der Zukunft eine viel stärkere ökonomische und damit auch politische Rolle spielen. Ich bin der Überzeugung, daß, wenn Trump mit seinem neuen Außenminister eine Entspannung des Verhältnisses zu Rußland hinbekommt, dies auch gegenüber China notwendig ist. Aber seine Vorgaben sind sehr widersprüchlich. Nehmen wir als Beispiel das Handelsabkommen TTIP, das er nicht mehr haben will. TTIP war ein Projekt, das Rußland und China isolieren sollte und ganz eindeutig gegen diese beiden Staaten gerichtet war. Jetzt will Trump mit den Russen verhandeln, aber die Konkurrenz bzw. Konfrontation mit China aufrechterhalten. Ich weiß noch nicht, wie das ausgehen wird, aber ich würde davor warnen zu glauben, daß es eine positivere Entwicklung nimmt als die, die wir bisher gehabt haben.

SB: Steht möglicherweise zu befürchten, daß die Konstellation der Machtblöcke, wie wir sie jahrzehntelang hatten, völlig neu aufgerollt wird und es zu neuen Bündnissen und Freundschaften kommt?

NP: Alles ist möglich, weil man so gar nicht weiß, was Trump eigentlich umtreibt und was er sich von einem Tweet zum anderen Tweet überlegt. Im Augenblick weiß man nur, daß er sein Kabinett fast ausschließlich mit Milliardären besetzt hat, und das bedeutet eigentlich Wall Street, obwohl sein populistischer Wahlkampf gegen die Wall Street gerichtet war. Und jetzt sehen wir alle Kerngranden der Wall Street in seinem Kabinett. Insofern ist es außerordentlich schwierig, hier Voraussagen zu machen. Nur eines ist ganz klar: Auch innerhalb des, sagen wir es mal so, imperialistischen Lagers NATO wird es zwischen den USA und Europa in Zukunft enorme Auseinandersetzungen und Reibungen geben, und das ist für die Gesamtsituation in der Welt außerordentlich schädlich.

SB: Im Moment wird kontrovers diskutiert, ob man die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei weiter in der Schwebe halten oder ganz abbrechen soll. Was ist Ihre Sicht dazu?

NP: Allmählich ist das, was Erdogan macht, jenseits jeglicher Duldung, die wir aufbringen können. Nicht nur, daß er die demokratischen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit aufs gröbste verletzt, er führt auch einen regelrechten Krieg gegen den kurdischen Bevölkerungsanteil in Südostanatolien und interveniert darüber hinaus in Syrien absolut völkerrechtswidrig. Ich bin der Überzeugung, daß man sich jetzt ein grundsätzlich anderes Kooperations- und, sagen wir mal, Erziehungsmodell überlegen sollte. Vor allem jedoch muß das Militär aus Incirlik abgezogen werden. Es kann nicht mehr um die Verwirklichung von Plänen gehen, dort einen deutschen Standort zu etablieren. Dann sollte man - und da bin ich mit den Österreichern einer Meinung - zunächst einmal die Beitrittsverhandlungen sistieren und damit klar zum Ausdruck bringen: So geht das nicht weiter. Wenn die Europäische Union und die Amerikaner eindeutig und einhellig gegen die Türkei Position bezögen, würde das etwas verändern und die demokratischen Kräfte in diesem Lande stärken. Im Augenblick sind sie völlig auf sich allein gestellt und wissen nicht, auf wen sie sich verlassen können. Nur auf ein paar Intellektuelle und Journalisten aus Deutschland und Frankreich können sie sich noch stützen, aber auf keine Regierung. Das ist ein großes Defizit und ein echter Skandal.

SB: Erdogan droht indessen damit, unter Umständen den Flüchtlingsdeal mit der EU aufzukündigen. Wie ist diese Drohkulisse in bezug auf die europäische Flüchtlingspolitik einzuschätzen?

NP: Allmählich hat die EU Zeit genug gehabt, sich ein alternatives Modell, quasi einen Plan B zu überlegen. Sie könnte zum Beispiel das gesamte Geld, das im Augenblick an die Türken überwiesen werden soll, den Griechen zukommen lassen, um sie zu entlasten. Die Türkei müßte dann zusehen, was sie mit den Flüchtlingen macht. Eventuell müßte sie auch in den Nachbarländern, sei es Jordanien oder Libanon, Strukturen aufbauen, damit die Flüchtlinge nahe ihrer Heimat versorgt werden können. Aber vor allen Dingen müssen sie den Krieg beenden und in enger Zusammenarbeit mit den Russen eine politische Lösung für Syrien finden, anders geht es nicht.

SB: Im kommenden Jahr ist Bundestagswahlkampf, und damit stellt sich für die Partei Die Linke natürlich die Frage nach der Koalition. Ist es für Sie vorstellbar, daß die Linke regierungsfähig wird, ohne die Grundposition einer Nichtkriegsbeteiligung aufzugeben?

NP: Das hängt von den anderen Kräften ab, mit denen wir koalieren wollen. Auf dieser Veranstaltung ist ja sehr deutlich geworden, daß es nicht auf Personen, sondern wirklich auf Inhalte ankommt. Wenn auf seiten der anderen Kräfte bei Sondierungsgesprächen einige der grundsätzlichen Positionen der Linken vollkommen ausgeschlossen werden, wird es keine Koalition geben. Ich bin davon überzeugt, daß gerade die Frage von Krieg und Frieden ein ganz entscheidendes Merkmal unserer Partei und damit auch ein Kernelement unserer Politik ist. Da darf es kein Zappeln und Zucken geben. Vielmehr sollten sich die Grünen und auch die SPD einmal überlegen, ob sie nicht eventuell ihre Politik verändern. Es wird immer nur davon gesprochen, daß die Linken sich ändern sollen. In der Frage von Krieg und Frieden ist es jetzt an der Zeit, daß sich die SPD und auch die Grünen einmal bewegen.

SB: Herr Paech, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://norman-paech.de/zur-person/

[2] Siehe dazu:
BERICHT/253: EU Gleichung - Primat der Verteilungsökonomie ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0253.html

22. Dezember 2016


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