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INTERVIEW/386: G20-Resümee - Bündnis nach Maß ...    Tina Sanders im Gespräch (SB)


Gespräch am 15. September in Hamburg

Tina Sanders ist Mitglied des Parteivorstandes der DKP und war in Hamburg in der Vorbereitungsgruppe für die Beteiligung ihrer Partei an den Protesten gegen G20 aktiv. Sie war zudem im Bündnis für die Großdemonstration engagiert und gehörte dessen Koordinationskreis an. Am Rande der Veranstaltung "G20 - das war der Gipfel - Aktivistinnen und Betroffene berichten", die am 15. September im Hamburger DGB-Haus stattfand, beantwortete Tina Sanders dem Schattenblick einige Fragen zur Rolle der DKP bei den Gipfelprotesten.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tina Sanders
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Tina, wie breit war das Bündnis gegen den G20-Gipfel in Hamburg angelegt?

Tina Sanders (TS): Zu der Demonstration haben etwa 165 Organisationen und sehr viele Einzelpersonen aufgerufen. Das Spektrum war insgesamt schon sehr breit und trotzdem links orientiert. Es war aber enger, als wir am Anfang gehofft hatten, die Proteste aufstellen zu können. Innerhalb der Plattform des politischen Dreiklangs (Gegengipfel, Aktionen des zivilen Ungehorsams und Großdemo) bestand die Hoffnung, auch ins linke bürgerliche Spektrum vorzustoßen, was leider durch die Auseinandersetzung mit Campact zum Schluß gescheitert ist.

SB: Habt ihr als DKP auch zu der Vordemo, die eine Woche vor G20 lief, aufgerufen?

TS: Wir haben nicht offiziell zu der Protestwelle aufgerufen, sind aber dort gewesen, um unsere Positionen zu vertreten und auch unsere Flugblätter zu verteilen. Zur Protestwelle haben insbesondere die Gewerkschaften mobilisiert, aber auch NGOs sowie Compact. Wir haben also an der Protestwelle teilgenommen, um so die Gelegenheit zu nutzen, auch innerhalb der Gewerkschaften unsere Standpunkte darzustellen.

SB: Das bürgerliche Lager hat sich geweigert, an der Samstagsdemo teilzunehmen, wodurch ein Spalt in der Protestbewegung entstand. Ist dieser Punkt aus deiner Sicht genügend aufgearbeitet worden oder gab es darüber keine Diskussion mehr?

TS: Ich denke, dass Campact relativ früh ihre Position kommuniziert haben. Schon im Dezember war klar, daß sie eigentlich keine Demonstration an dem Samstag während des Gipfels haben wollten. Sie begründeten das damit, dass sie mit einer Demo vor dem Gipfel mehr Aufmerksamkeit in den Medien auch über ihre Inhalte bekommen würden und weil sie Angst vor Ausschreitungen hatten. Zu diesem frühen Zeitpunkt wäre es eigentlich noch möglich gewesen, aus dem Dreiklang, den es dann gegeben hat, einen Vierklang zu machen. Aber es hat eben auch Kräfte im linken oder linksradikalen Spektrum gegeben, die das auf jeden Fall ausschließen wollten. In meinen Augen haben zwei starke Akteure vor Ort zur Spaltung beigetragen. Campact ist aber vorzuwerfen, dass sie durch ihr Verhalten schon den vorauseilenden Gehorsam praktiziert haben, nicht mit Linksradikalen gemeinsam zu demonstrieren. Die Gewaltfrage war, aus meiner Sicht, nur ein Vorwand.

SB: Du sagtest, daß die DKP es gerne gesehen hätte, auch bürgerliche Kreise mit in die Proteste einzubeziehen. Wie weit geht euer Selbstverständnis? Ist es wichtig, soviele Leute wie möglich auf die Beine zu kriegen oder gibt es eurerseits bestimmte Grenzen der Bündnisfähigkeit?

TS: Es geht ja darum, dass möglichst viele Menschen für ihre Interessen aktiv werden und um ihre Rechte kämpfen und um notwendige Veränderungen im Massenbewusstsein. Insofern stehen wir grundsätzlich für eine breite Bündnispolitik ohne Ausgrenzung. Dabei wird man sich von Fall zu Fall auf einen Konsens einigen müssen und da gibt es natürlich auch Grenzen. Wir ringen dabei um Positionen und wollen unsere Bündnispartner natürlich auch von der Richtigkeit unserer Überlegungen überzeugen. Die Breite darf nicht soweit gehen, dass ihr zuliebe Themen ausgespart werden.

Ich setze mich natürlich mit einem SPD-Mitglied in eine Antifa-Blockade. Ich werde aber versuchen, ihn mit dem Widerspruch zu konfrontieren, dass die Agenda-2010-Politik seiner Partei das Erstarken der Rechten mitverursacht, dass die Kriegspolitik seiner Partei im Widerspruch zu seinem Tun steht.

Wir sehen auch insofern für breite Bündnisse, dass wir eine Aufgabe darin sehen Aufspaltungen, zum Beispiel in "gute" und "böse" Antifaschisten oder GipfelgegnerInnen zu verhindern. Und wir gehen von der Gleichberechtigung der Bündnispartner aus. Entscheidend ist für uns aber, dass sich Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und ihre Organisationen stärker in Bündnisse einbringen und die Themen auch in die Betriebe getragen werden.

SB: Auf der gestrigen Veranstaltung zum G20-Gegengipfel hat sich ein ver.di-Mitglied ziemlich bitter über die Rolle der Gewerkschaften bei den G20-Protesten beklagt, weil es kaum bis überhaupt kein Engagement gegenüber der ver.di-Jugend gegeben habe. Wie beurteilst du auf diesem Feld den Kurs der großen DGB-Gewerkschaften momentan?

TS: Das ist schon sehr erschreckend. Im Jugendbereich war das ja dieses mal anders. Da hat sich ja gegen G20 etwas zusammengeschoben. Gewerkschaftsjugend und linke und fortschrittliche Jugendorganisationen wie die Falken und die SDAJ haben sich bundesweit an den Tisch gesetzt. Das ist seit Jahrzehnten so nicht mehr passiert.

In Hamburg ist die Gewerkschaftsführung gerade beim DGB sehr klar am SPD-Senat orientiert. Auch innerhalb von ver.di gab es Auseinandersetzungen darüber, zu welchen Protesten gegen G20 man aufruft. Der Beschluss war am Ende so weitgehend, daß man praktisch zu allen Protesten mobilisierte. Aber das musste erkämpft werden. Das hängt auch an uns, inwieweit wir als Gewerkschaftsmitglieder in die Auseinandersetzung gehen.

Zum Teil gibt es Aktivitäten, die auch von den Gewerkschaften sehr gut unterstützt werden wie zum Beispiel die Kämpfe um Personalbemessung in den Krankenhäusern. ver.di, Die Linke, unsere Partei und andere sind in einem Bündnis aktiv, um die Beschäftigten zu unterstützen. Da wird es auch darum gehen, Druck zu entwickeln, damit die Gewerkschaft dabei bleibt.

SB: In letzter Zeit ist die Klimagerechtigkeitsbewegung stärker in Erscheinung getreten. So gibt es im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen ihr und der IG BCE harte Auseinandersetzungen. Hält sich die DKP aus diesen Konflikten eher heraus oder gibt es in eurer Partei auch Überlegungen, welche Position man dazu bezieht?

TS: Die Umweltfrage gehört in der DKP nicht wirklich zu den Kernkompetenzen, so daß wir dazu sehr lange keine Positionierung hatten, auch weil wir uns mit anderen Themen beschäftigt haben. Auf dem letzten Parteitag haben wir uns eine grundsätzliche Positionierung zum menschengemachten Klimawandel erarbeitet. Auch haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Gewerkschafts- und Betriebsratvertretern bei Volkswagen eine sehr klare Orientierung gegen den Ausstoß von CO2 gegeben. Wir sind also dabei, zu Klima- und Umweltfragen Positionen zu erarbeiten und wir beteiligen uns auch an Protesten. Zum Beispiel rufen wir am 11.11. zur Demo in Bonn anlässlich des Klimagipfels auf.

SB: Glaubst du, daß sich Arbeitskämpfe in der Bundesrepublik irgendwann wieder in die Richtung einer Massenbasis entwickeln könnten, oder sind die Leute einfach zufrieden damit, in einem Land zu leben, das zu den sogenannten Krisengewinnern gehört?

TS: Das Land gehört zu den Krisengewinnern, aber die Arbeiterklasse nicht. Die Krisenlasten wurden voll auf die Bevölkerung abgewälzt und die Ausbeutung wurde immer weiter verschärft. Banken und Konzerne sind die Gewinner. Auch hier geht es darum, die Spaltung innerhalb der Klasse aufzubrechen und die Gewerkschaften von ihrer SPD-Gefolgschaft wegzubringen und kämpferische Kräfte in ihnen zu stärken.

Es ist dem Kapital gelungen, Teile der Klasse, Teile der Beschäftigten in Großbetrieben, einzubinden. Mancher VW-Arbeiter mit gutem Gehalt und hohem Organisationsgrad sieht sich doch selber auf der Gewinnerseite und verteidigt nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern auch "seinen" Konzern. Das sind dann auch oft die, die in Gewerkschaften eine Stimme haben, deren Interessen vertreten werden. Wer vertritt die Interessen der Leiharbeiter? Dieser Standortlogik und Entsolidarisierung müssen wir dringend entgegentreten.

Zufrieden sind die Menschen nicht. Das zeigen nicht zuletzt die Wahlergebnisse der AfD. Sie sehen aber momentan keinen Weg, wie und mit wem die Gesellschaft zu verändern ist. Wir müssen stärker versuchen mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch und die Diskussion zu kommen. In diesem Sinne war es auch richtig, zu versuchen, die Hafenarbeiter anzusprechen, um gemeinsam gegen G20 aktiv zu werden und Aktionen im Hafen zu organisieren. Dazu hatten wir auch Kontakte zu Arbeitern aus Eurogate hergestellt, um die Proteste dort zu vernetzen.

SB: Im Rahmen des social strike sollte der Hafen während des G20-Gipfels lahmgelegt werden. Fandest du den Ansatz, wie er dann schlußendlich durchgeführt wurde, in Ordnung, obwohl stellenweise Kritik aufkam, daß zu wenig Ansprache an die dort Beschäftigten erfolgt ist, um sie angemessen in die Proteste einzubeziehen?

TS: Ich hatte den Eindruck, daß diejenigen, die es organisiert haben, am Anfang überhaupt nicht daran gedacht haben, mit den Hafenarbeitern zu kommunizieren und sie in den Protest mit einzubeziehen. Vor allem von internationalen Aktivisten aus Italien und Belgien wurde dies in der internationalen Vorbereitung zu G20 jedoch eingefordert, auch weil sie in ihren Heimatländern in den großen Häfen arbeiten und dort auch aktiv sind. Erst dann ist die Protestbewegung auf die Idee gekommen, mit den Gewerkschaften bzw. mit den Menschen dort zu reden. Aber das ist nicht unbedingt auf Gegenliebe gestoßen. Trotzdem können solche Protestformen nur erfolgreich sein, wenn die Menschen, die dort arbeiten einbezogen oder besser treibende Kräfte sind

SB: Ihr seid auch gegen das Freihandelsabkommen TTIP aktiv geworden, woraus eine ziemlich breite Bewegung entstanden ist. Wurde dabei mit der bei diesem Thema so notwendigen Kapitalismuskritik bzw. antikapitalistischen Politik, so ist zumindest mein Eindruck, nicht ziemlich oberflächlich umgegangen?

TS: Ja, das stimmt sicher. Es wurden Auswüchse des Kapitalismus kritisiert und angegriffen, aber nicht das grundlegende System. Die Freiheit des Kapitalverkehrs nützt nur den Konzernen und Banken. Sie dient der Ausplünderung ganzer Völker, der Umverteilung zu Gunsten der Mächtigen. Sie muss beseitigt werden.

Es ist natürlich auch unsere Aufgabe und die anderer antikapitalistischer Organisationen, die Zusammenhänge und Widersprüche aufzuzeigen. Wir sind bei den Demos gegen die Freihandelsabkommen mit dem Slogan "Nein zu TTIP, Nein zur NATO!" aufgetreten. Die NATO ist das militärische Pendent zu TTIP und CETA. Du kannst dir vorstellen, dass wir damit auf den Demos nicht nur auf Zustimmung gestoßen sind.

SB: Tina, vielen Dank für das Gespräch.


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18. Oktober 2017


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