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INTERVIEW/400: Pflegenot - ein Mehrfrontenkrieg ...    Michael K. im Gespräch (SB)


Gespräch am 3. März 2018 in Hamburg-St. Georg


Der 160. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken [1], der am 3. März in den Räumen der Föderation demokratischer Arbeitervereine (DIDF) [2] im Stadtteil St. Georg stattfand, stand unter dem Thema "Kämpfe in Krankenhäusern in Hamburg, Bremen und Berlin - Organisierung von Pflegebündnissen - die Macht der Öffentlichkeit". Er ging auf eine Anfrage bzw. eine Initiative von labournet tv [3] zurück. Die inhaltliche Gestaltung war dann die gemeinsame Sache von Bärbel Schönafinger (labournet tv) und dem Jour Fixe, die beide Michael K. (Krankenpfleger) schon länger kennen. Eingeladen wurde auch Silvia Habekost (Pflegerin im Vivantes Klinikum) aus Berlin, die von Kalle Kunkel (ver.di-Sekretär für die Charité) empfohlen worden war, zu dem ebenfalls schon seit längerem Kontakt besteht. Das gilt auch für Ariane Müller aus Bremen (Krankenschwester und Mitbegründerin des dortigen Pflegebündnisses) und Christoph Kranich (Sprecher des Hamburger Pflegebündnisses) [4], zu dessen Gründungsmitgliedern der Jour Fixe gehört.

Michael K. engagierte sich in den Streiks der Pflegekräfte 2006 und 2011, gehörte einem Personalrat an und war auch 2015 aktiv am Arbeitskampf beteiligt. Im Anschluß an den Jour Fixe beantwortete er dem Schattenblick einige vertiefende Fragen.


Stehend vor einem Fensterbrett mit einigen Blumen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Streitet für ein sozial gerechteres Gesundheitswesen
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Wenn man die Entwicklung im Gesundheitswesen über die Jahre verfolgt, kann man den Eindruck gewinnen, daß eine Art Moloch aufgebaut wird, der immer weniger mit den Patienten und dem Pflegepersonal zu tun hat. Läßt sich dieser Entwicklung deiner Einschätzung nach etwas entgegensetzen?

Michael K. (MK): Ja, sonst würde eine Veranstaltung wie diese hier keinen Sinn machen. Insofern glaube ich das schon und insbesondere, wenn wir es schaffen, über unsere Scheuklappen hinwegzugucken und nicht nur die eigene Berufsgruppe zu sehen. Die Pflege hat sich hier auf den Weg gemacht und ein wichtiges Problem ihrer Überlastung thematisiert. Nun wird es darauf ankommen, daß man alle anderen Bereiche der Gesundheitsversorgung peu à peu mit in die Diskussion, die Aktionen und Bündnisse hineinnimmt, um erstens zu schauen, daß man die schlimmsten Auswirkungen zu zügeln versucht, und zweitens, sich zusammensetzt und einen Kopf macht, was für ein Gesundheitssystem wir eigentlich wollen. Insofern glaube ich schon, daß man dagegen wirksam vorgehen kann, auch wenn es ein bißchen Geduld braucht.

SB: Du hattest unter anderem beschrieben, wie Teile der Kolleginnen und Kollegen durch diese Auslagerung gespalten werden. Wie sind deine Erfahrungen mit Bündnismöglichkeiten?

MK: Es gibt verschiedene Motivationen, warum es für die Arbeitgeber attraktiv ist, Ausgliederungen vorzunehmen. Das eine ist natürlich ein ökonomisches Motiv, mit dem anderen verfolgt man, wie ich glaube, durchaus das Interesse, je zersplitterter eine Belegschaft ist, je mehr einzelne Glieder sie hat, die womöglich auch zueinander als Kunde und Dienstleister in Beziehung stehen, genau diese Art der Spaltung innerhalb der Belegschaft und der Kollegen voranzubringen. Das ist durchaus absichtlich gewollt und nicht nur unmittelbar ökonomisch begründet. Insofern ist es wichtig, daß die Belegschaften sich klarmachen - sie können die Firma nennen, wie sie wollen, ob Charité Facility Management, Charité Physiotherapie und Präventionszentrum oder Labor GmbH -, daß wir Charité sind. Wir sind Kollegen, die diesen Beruf gewählt haben, nicht nur, um unseren Lebensunterhalt als Röntgenarzt, Krankenpflegekraft oder Krankentransporter zu verdienen, sondern um eine sinnvolle Tätigkeit zu machen. Diese Sinnhaftigkeit, die ich in meiner täglichen Beschäftigung suche, kann eben auch dazu führen, daß wir uns trotz dieser künstlichen Spaltung als eine Belegschaft mit einem gewissen Ziel verstehen. Darin besteht meines Erachtens auch die Möglichkeit, diese Spaltung zu überwinden.

Im Moment funktioniert die Spaltung noch ziemlich gut. Es gibt zwar Kollegen, die von ihrem Verständnis her schon irgendwie weiter sind, aber bislang ist es den Unternehmern noch recht gut gelungen, diese Spaltung aufrechtzuerhalten und in den Köpfen einzelner oder vieler Kollegen wirklich zu verankern. Aber dennoch gibt es Leute, die sich damit auch im eigenen Betrieb kritisch auseinandersetzen, so daß die Möglichkeit vorhanden ist, darüber hinauszuwachsen. Wenn man die CFM [5] und VSG [6] nimmt, die zwei verschiedenen Unternehmen angehören, erkennt man durchaus, daß es Kollegen gibt, die eine solche Position haben, sonst hätten sie nicht mehrere Streiktage organisieren, sich gegenseitig unterstützen und Demonstrationen bei den jeweiligen Aufsichtsratsitzungen machen können. Und ich hoffe, daß sich das auf Dauer verstärken wird.

SB: Wie sind deine Erfahrungen mit anderen Berufsgruppen wie beispielsweise der Ärzteschaft, die ja wesentlich besser bezahlt und privilegierter im Vergleich zu euch ist? Gibt es da Solidarität oder überwiegen doch eher die Abgrenzungserscheinungen?

MK: Es ist schwer, das pauschal zu sagen. Die Ärzte sind, ähnlich wie wir in der Pflege, ziemlich hierarchisch organisiert. Je weiter man nach oben kommt, desto mehr mag es eigene Interessen geben, die es dem einzelnen schwerer machen, sich als Teil einer Gemeinschaft zu sehen. Daß sich das im Alltag umsetzt, merkt man auch daran, wie man miteinander umgeht. Gleichwohl gibt es auch unter den Ärzten genügend kluge Leute, die sich nicht so einfach spalten lassen. Bei Aktionen ist es im Moment aber noch so, daß es dem einzelnen durch die Spaltung der Gewerkschaft in Marburger Bund und ver.di, die im Augenblick noch sehr manifest ist, sehr schwer fällt, diese Kluft zu überbrücken. Wenn ich mich recht entsinne, gab es durchaus auch von arbeitenden Ärzten während des Streiks in der Charité solidarisches Verhalten. In dem Film über den Streik haben wir studentische Kreise gesehen, sozusagen Ärzte in spe, die ein Plakat mit der Aufschrift "Mehr von euch ist besser für uns alle" getragen haben.

Trotzdem ist es auch bei ihnen so, daß die Spaltung von den Chefs gewollt wird, zum Beispiel durch das Ausspielen von Pflege und Ärzten, was ihre Tätigkeiten angeht, daß die Pflege sich gebauchpinselt fühlen soll, wenn sie ärztliche Tätigkeiten übernimmt. Weil dies in den Köpfen mitverankert ist, bedarf es schon eines permanenten Agitierens und einer Auseinandersetzung in den Betrieben, um darüber hinwegzukommen. Warum sollen Ärzte jetzt weniger solidarisch sein als Schwestern miteinander? Klar haben sie andere Einkommensverhältnisse, aber wenn man sich anschaut, was viele von ihnen im Sinne von Stunden dafür leisten, dann relativiert sich das wieder. Sie müssen wahrscheinlich nicht jammern, daß sie zu wenig Geld haben, aber was sie dafür an Freizeit opfern, ist auch nicht zu verachten.

SB: Die Erfahrungen mit der Gewerkschaft oder ver.di speziell waren offenbar unterschiedlich in den einzelnen Städten. Inwieweit kann Gewerkschaft aus deiner Sicht ein Bündnispartner sein oder muß man sie im sprichwörtlichen Sinne zum Jagen tragen?

MK: Dazu kann ich persönlich schwer etwas sagen. Ich bin zwar ver.di-Mitglied, aber, was die Betriebsgruppenarbeit angeht, nicht so involviert im Berliner Geschehen. Dennoch erleben wir ja immer wieder, daß die aktiven Kollegen wie hier bei Vivantes sich erst gegen einen gewissen schwerfälligen bürokratischen Apparat durchsetzen müssen, wenn es ihnen denn überhaupt gelingt, und daß die Gewerkschaft, so wie sie hier organisiert ist, ja ganz eigene Interessen vertritt, bis hin zur Verquickung in die Politik hinein, und es so den Aktiven an der Basis nicht immer leichtgemacht wird. Das mit dem Tragen zum Jagen trifft es bestimmt. Die Frage ist, ob sie nicht manchmal zu schwer ist und die Kollegen daran eher kaputtgehen, weil sie das Tragen nicht schaffen. Im Moment sehen wir außer den Gewerkschaften, die derzeit real existieren, keine andere Organisation, die eine Möglichkeit dazu bieten könnte. Wichtig wäre, daß neben diesen Gewerkschaften Leute solche Bündnisse zusammenfassen, die dann vielleicht auch in die Gewerkschaft hineinwirken, indem sie sagen, hier seid ihr viel zu wenig aktiv, da gibt es deutlich mehr Probleme, als ihr sie im Moment thematisiert. Ohne Gewerkschaft wird es nicht gehen, aber ohne den Druck von Beschäftigten und ganz vielen Leuten drum herum werden die Gewerkschaften sich nicht bewegen.

SB: Welche Reaktionen aus der Öffentlichkeit habt ihr zu eurem Streik erlebt, denn eigentlich müßte doch jeder Mensch damit rechnen, eines Tages selbst ins Krankenhaus zu kommen und auf eine gute Pflege angewiesen zu sein?

MK: Eigentlich wundert es mich, daß wir als Pflegekräfte immer darüber skandalisieren müssen, obgleich doch jeder weiß, warum man nicht ins Pflege- oder Altenheim will. Jede Krankenschwester hat eine Familie, der sie von ihrer Arbeit erzählt, und die Kids erleben, wie groggy die Mama ist, wenn sie nach Hause kommt. Das weiß jeder. Während des Streiks 2015 gab es ganz viel Verständnis und eher eine positive Meinung gegenüber diesem Streik. Ich glaube, die Grundstimmung hat sich in dieser Hinsicht auch heute nicht geändert. Selbst Leuten, die immer wieder beteuern, wir müssen Steuern sparen und dürfen das Sozialsystem nicht weiter ausbauen, ist völlig klar, daß Gesundheitsversorgung gewährleistet sein muß, auch weil sie selbst davon betroffen sein könnten. Bei der Altenpflege ist es ähnlich. Insofern ist es tatsächlich auch eine Frage, wie wir diese eher solidarische Position großer Teile der Bevölkerung wirklich nutzen könnten. Statt immer zu skandalisieren, müßten wir sagen, so geht es nicht weiter, jetzt handeln wir. Es gab kleine Ansätze dazu, aber bisher sind sie recht vereinzelt geblieben. Die Charité ist beim Streik 2015 alleine geblieben, und zwei Jahre später ebenfalls.

SB: Es gibt Berlin, Hamburg und, wie wir heute gehört haben, nun auch Bremen. Werden weitere Städte einbezogen, vielleicht auch in einer bundesweiten Vernetzung?

MK: Es gibt Freiburg und das Saarland und noch ein paar andere Städte, die auch von den ver.di-Oberen geadelt wurden. Zehn Krankenhäuser gehören zu den Auserwählten, die im Rahmen dieser "Kampagne Entlastung" auch in den Arbeitskampf gehen können. Das waren bisher jedenfalls in meiner Wahrnehmung relativ symbolische ein- oder zweitägige Warnstreiks. Das letzte Mal beteiligten sich immerhin vier Unikliniken in Baden-Württemberg gleichzeitig an dem Streik, was schon einmal eine Steigerung war. Daß es eine größere Ausweitung geben könnte, würde ich im Moment mit ein paar Fragezeichen versehen, zumindest, wenn man darauf wartet, daß ver.di etwas macht. Es wird sicherlich ein bißchen davon abhängen, was für eine Bundesregierung zustande kommt, weil ver.di sehr stark auf politische Institutionen, auf den Ansprechpartner Bundesregierung bzw. den Gesundheitsminister, orientiert ist. Darüber hinauszugehen, ist, wie ich finde, wiederum Aufgabe von Leuten, die sich zusammensetzen in solchen Bündnissen und sagen, wir vernetzen uns jetzt über unsere kleine Stadt, vielleicht sogar über das eigene Bundesland hinaus. Wenn es dazu kommt, werden wir vielleicht in zwei Jahren eine deutliche Ausweitung haben. Wenn diese Bündnisse jedoch scheitern und nur zum Erfüllungsgehilfen der ver.di-Bürokratie dienen, werden wir es nicht erleben. Ich glaube, es ist ziemlich offen.

SB: Michael, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:


[1] http://www.gewerkschaftslinke.hamburg

[2] http://www.didf.de

[3] http://www.labournet.tv

[4] http://www.pflegenotstand-hamburg.de

[5] CFM (Charité Facility Management GmbH) ist die größte Tochterfirma der Charité, in die nichtmedizinische und nichtpflegerische Dienste ausgelagert wurden.

[6] VSG (Vivantes Service GmbH) ist eine Tochter von Vivantes, in die verschiedene Versorgungsdienste ausgelagert wurden.


Berichte und Interviews zum Jour Fixe "Kämpfe in Krankenhäusern" im Schattenblick unter:
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BERICHT/309: Pflegenot - Menschenrecht Gesundheit ... (1) (SB)
BERICHT/311: Pflegenot - Menschenrecht Gesundheit ... (2) (SB)


11. März 2018


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