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INTERVIEW/415: Kolonialwirtschaftsgeschichte - Raubgut bestimmen, Eigenbedarf sichern ...    Prof. Dr. Barbara Plankensteiner im Gespräch (SB)


Gespräch am 4. Juni 2018 in Hamburg


Graphik: By Edward Linley Sambourne (1844-1910) [Public domain], via Wikimedia Commons

Antikolonialistische Satire von 1892, gemünzt auf den britischen Kolonialisten Cecil John Rhodes, der eine Telegraphen- und Bahnverbindung von Kapstadt bis Kairo schaffen wollte
Graphik: By Edward Linley Sambourne (1844-1910) [Public domain], via Wikimedia Commons

Niemand kann bestreiten, daß der koloniale Wettlauf der miteinander konkurrierenden imperialistischen Staaten Europas gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur fast vollständigen Inbesitznahme, Plünderung und Unterwerfung des afrikanischen Nachbarkontinents führte. Auch nach Ende des Besatzungsregimes konnte von einer Dekolonialisierung keine Rede sein, vor allem, weil die ehemaligen Kolonien oft nur unter Beibehaltung der Landrechte weißer Siedler auf die landestypischen Rohstoffvorkommen in die Unabhängigkeit entlassen wurden, was insbesondere unter ökonomischen Aspekten bis heute nachwirkt und den Kontinent nicht zur Ruhe kommen läßt. So sind die meisten Staaten Afrikas, davon etliche in extremster Weise, von akuten Versorgungsengpässen bis hin zu dramatischen Hungersnöten betroffen und stehen in politischer Abhängigkeit von Entwicklungshilfegeldern oder Ernährungsprogrammen einer sogenannten Weltgemeinschaft, in der die ehemaligen Kolonialmächte den Ton angeben.

Nach weit über hundert Jahren, in denen die Verbrechen der Kolonialisierung verschwiegen, ignoriert oder gar in der Umkehr historischer Realitäten zur kulturpolitischen Großtat umgedeutet wurden, als hätten erst die europäischen Eroberer den Regionen Afrikas den zivilisatorischen Segen gebracht, steht die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte nun auf der offiziellen Agenda. Auch die deutsche wie internationale Museenlandschaft befindet sich zunehmend in einem Prozeß der Kritik bzw. Selbstkritik, waren doch die in deutschen Städten wie Hamburg und Berlin entstandenen Museen nie neutral, sondern von Anfang an aktiv in der Kolonialpolitik des Kaiserreichs eingebunden, das sich - im Vergleich zu großen Seefahrernationen wie Portugal, Spanien, den Niederlanden oder dem Britischen Empire - erst relativ spät, nämlich 1885, als Kolonialmacht etablierte.

Zwar stellten die Museen Präsentationsstätten für die auf den kolonialen Eroberungszügen geraubten Kunst- und Kulturobjekten bereit, der eigentliche Zweck bestand jedoch darin, ihre Herkunftsregionen wie auch die dort lebenden Menschen gegenüber der eigenen Bevölkerung als fremd, primitiv und unterentwickelt darzustellen. So stimmten die Museen auf ihre Art in den Chor der Begeisterung für die neue Kolonialpolitik des Kaiserreichs ein. Inzwischen jedoch sehen sich in Hamburg Institutionen wie das Völkerkundemuseum oder das Museum für Kunst und Gewerbe wie viele Häuser ihres Fachs in die Pflicht genommen, sich nicht nur mit der Herkunftsgeschichte ihrer Ausstellungstücke auseinanderzusetzen, sondern die Ausrichtung ihrer tief im kolonialpolitischen Kontext verwurzelten musealen Tätigkeit grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen.


Hamburgs Völkerkundemuseum stellt sich seiner kolonialen Vergangenheit

2014 richtete der Hamburger Senat unter Leitung von Prof. Dr. Jürgen Zimmerer eine Forschungsstelle an der Universität Hamburg ein, die mit der Aufarbeitung von "Hamburgs (post)kolonialem Erbe" beauftragt wurde. Am 4. Juni wurde auf einer Podiumsdiskussion im Haus der Patriotischen Gesellschaft eine erste Zwischenbilanz gezogen. An drei Beispielen, darunter auch das Völkerkundemuseum, legte Prof. Zimmerer die aktive Beteiligung Hamburger Kulturträger an der damaligen Kolonialpolitik dar.

Ergänzend dazu nahm mit Prof. Dr. Barbara Plankensteiner die Leiterin dieses Museums zu den Forschungsergebnissen Stellung. Die aus Südtirol stammende Ethnologin war Kuratorin der Abteilung für afrikanische Kunst an der Yale University Art Gallery in New Haven, USA, bevor sie im April vergangenen Jahres ihre heutige Tätigkeit in Hamburg antrat. Davor leitete sie von 1998 bis 2015 am Weltmuseum Wien die Abteilung Afrika südlich der Sahara. Die profunde Afrikaexpertin verfaßte 2007/2008 das Buch "Benin. Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria" als Standardwerk über die Kunst im historischen Königreich Benin.

In ihrem Eingangsreferat stellte sie klar, daß die größte Zahl der Objekte, die das Hamburger Völkerkundemuseum heute beherbergt, während der Zeit des deutschen respektive europäischen Kolonialismus gesammelt wurde. Für das Museum sei es, so Plankensteiner, sehr wichtig, seine Sammlungen historisch zu kontextualisieren, sprich, darüber zu informieren, unter welchen zeithistorischen Umständen, aber auch mit welchen wissenschaftlichen Denkmustern sie errichtet wurden und in welcher Beziehung sie zur Stadt Hamburg standen. Das Völkerkundemuseum habe die Objekte, darunter sehr wertvolle und in ihren Herkunftsgesellschaften bedeutende und heute noch sehr wichtige Kunstwerke, dazu benutzt, andere Kulturen und Völker zu beschreiben, was heute überhaupt nicht mehr zeitgemäß sei.

Für die Neuausrichtung der Museumsarbeit habe die eigene Dekolonialisierung einen hohen Stellenwert. Darunter sei zu verstehen, den Objekten ihre ursprünglichen Werte zurückzugeben und ihren Bedeutungszusammenhang hervorzuheben. Auch müßten zur ethnographischen Perspektive weitere Blickwinkel - wie die der Herkunftsgesellschaften - berücksichtigt werden. Weil der alte Name wegen seiner rassistisch-kolonialen Anklänge nicht mehr zu verwenden sei, wird das Völkerkundemuseum, wie inzwischen vom Kulturausschuß der Hamburger Bürgerschaft bestätigt, in "Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt", kurz MARKK, umbenannt.


Graphik: by Orange Tuesday (talk) at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons

Rekonstruktion einer von den Briten erbeuteten Flagge des Königreichs Benin, aufbewahrt in den Archiven des National Maritime Museum
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Am Beispiel der Bronzestatuen aus Benin

Prof. Zimmerer führte in seinem Eingangsreferat die aus dem historischen Königreich Benin stammenden Bronzen als Beispiel für die kolonialpolitisch aktive Rolle der Hafenstadt Hamburg an. Sie sind seit Februar in einer Ausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) zum Thema "Raubkunst? Die Bronzen aus Benin" zu sehen. Laut MKG steht heute außer Frage, daß es sich bei diesen von britischen Truppen 1897 aus dem Königshaus in Benin entwendeten und nach Europa verbrachten Objekten um Raubkunst handelt. Justus Brinckmann, Gründungsdirektor des MKG, habe als erster deutscher Museumsdirektor Bronzen aus Benin "erworben" und von Hamburg aus einen schwunghaften Handel mit ihnen betrieben. Ein großer Teil der 50 von ihm "vermittelten" Bronzen wurde in die Afrika-Sammlung des Hamburger Museums für Völkerkunde übergeben. Im Museum für Kunst und Gewerbe selbst verblieben nur wenige Objekte, die wegen des aufsehenerregenden handwerklichen und künstlerischen Umgangs mit dem Material Bronze zu Lehrzwecken in der dem Museum angeschlossenen Kunstgewerbeschule genutzt wurden.

Im Königreich Benin im heutigen Nigeria werden die Bronze-Statuen nicht nur als Kunstwerke angesehen, sondern haben, so das MKG, "eine identitätsstiftende Bedeutung". [1] Deren angemessene Würdigung könne besser vom Museum für Völkerkunde geleistet werden, weshalb die Bronzen nach der Raubkunst-Ausstellung an die dortige Sammlung afrikanischer Kulturgüter übergeben werden.


Graphik: by Commons and Rollebon [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Gebiet des historischen Königreiches Benin
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Was verbirgt sich hinter dem Wort "identitätsstiftend"?

Welchen Stellenwert haben die Bronzen für die Nachfahren heute? Das historische Königreich Benin, entstanden aus 130 Häuptlingstümern, gilt wegen seiner bereits im 14. Jahrhundert hochentwickelten Handwerks- und Baukunst als eines der fortschrittlichsten Reiche Westafrikas zu vorkolonialer Zeit. Um 1200 hatte der erste Oba (König) des Volkes der Edo den Thron bestiegen und einen straff organisierten Herrschaftsapparat errichtet. Das Königreich sicherte sich ein Handelsmonopol auf die zur Herstellung der Bronzen verwendeten Ressourcen wie Elfenbein, Kupfer, Zink und Zinn.

Im 16. Jahrhundert nahm es intensive Handelsbeziehungen zu Portugal und anderen europäischen Staaten auf. Gehandelt wurde mit Waren aller Art, auch mit Menschen. Über die Bucht von Benin, die den berüchtigten Namen Sklavenküste trug, wurden über 1,3 Millionen Sklaven, nicht nur aus dem Königreich, verschifft. Europäische Reisende berichteten im 17. Jahrhundert von der Hauptstadt Benin als einer mit Madrid oder Amsterdam vergleichbaren Metropole. Auch in militärischer Hinsicht war Benin mustergültig organisiert. Den Berichten zufolge konnte der Oba in kurzer Zeit 20.000 bis 100.000 Krieger mobilisieren.


Graphik: by D. O. Dapper [Public domain], via Wikimedia Commons

Benin-Stadt im 17. Jahrhundert
Graphik: by D. O. Dapper [Public domain], via Wikimedia Commons

Im 19. Jahrhundert traten die europäischen Kolonialmächte in Afrika immer aggressiver auf. So wurden die Gebiete rund um das Königreich Benin dem Britischen Empire einverleibt. Um sich der vollständigen Kontrolle des Handels und der Transportwege zu bemächtigen, entsandten die Briten 1897 eine "Strafexpedition" aus 1200 schwer bewaffneten Royal Marines und afrikanischen Begleittruppen. Unter Einsatz von Maschinengewehrfeuer und Granatwerfern nahmen sie nach einem Zehn-Tage-Krieg die Hauptstadt Benins ein und brannten sie nieder, nicht ohne zuvor zur Refinanzierung des Feldzugs 3.500 bis 4.000 Bronzen, Terrakottafiguren, Elfenbein- und Holzschnitzereien aus dem Königspalast zu rauben.

Vor dem Untergang des Königreichs zierten hunderte Bronzen die Wände des Palastes. Weil das Edo-Volk keine Schriftsprache kannte, fiel den Kunstwerken eine fundamentale Bedeutung zu. So wurden alle wichtigen Ereignisse der Herrschaftschronologie auf den Bronzen festgehalten: Welcher König welche Heldentaten vollbracht, wer wann gegen wen Krieg geführt hatte und welche Rituale vollzogen wurden. Die Reliquien galten darüber hinaus als Kommunikationsmittel für die Könige mit ihren Vorfahren. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte zwar die Inthronisierung des nächsten Oba und damit eine Restauration des Königreichs Benin. Als Protektorat besaß es jedoch keine wirtschaftliche und militärische Macht und gehörte zu Nigeria und damit bis zu dessen Unabhängigkeit zu Britannien. Mit den Bronze-Statuen hatte die britische Kolonialmacht gewissermaßen das Nationalarchiv des bis 1897 unabhängigen Königreichs gestohlen. Die von allen Oba seit 100 Jahren geforderte Rückgabe dieses Erbes wird ebenso lange verweigert.


Kein Wort zu den Restitutionsforderungen

Läge es daher nicht nahe, die geraubten Kunstwerke an die Nachfahren ihrer früheren Besitzer zurückzugeben? In der westlichen Welt stellen insbesondere die Bronzen aus Benin Vermarktungsobjekte von nahezu unschätzbarem Wert dar. Als die ersten Stücke 1897 auf dem Kunstmarkt in London versteigert wurden, wollten die Europäer kaum glauben, daß eine solche Kunstfertigkeit aus Afrika stammen könnte. Wissenschaftliche Diskussionen darüber, ob die Objekte nicht doch europäischen Ursprungs waren, erhöhten noch ihren Marktwert. Nach allem, was man heute weiß, sind sie der gegenständliche Beweis dafür, daß die kolonialistische Behauptung von der Suprematie weißer Menschen gegenüber den kulturell rückständig dargestellten Schwarzafrikanern als widerlegt angesehen werden muß.

"Stellen Sie sich nur einmal vor, wo dieser Teil Afrikas heute sein könnte ohne die kulturelle Vergewaltigung, die dieser Zivilisation angetan wurde?" [2] Diese Frage des als "Robin Hood der Kunst" gefeierten Anwalts Christopher Marinello, der Raubkunst in vielen Regionen der Welt aufspürt und für ihre Rückgabe bzw. eine finanzielle Entschädigung sorgt, wurde auf der Hamburger Veranstaltung zum (post-)kolonialen Erbe der Stadt nicht gestellt. Die Zurückführung der Bronzen wird bis auf den heutigen Tag gefordert. Prinz Edun Akenzua, der Onkel des heutigen Königs, erhob die Restitutionsansprüche im Jahre 2000 vor dem britischen Unterhaus - wie so oft vergeblich. Ministerpräsident Godwin Nogheghase Obaseki erklärte dazu: [3]

Diese Kunstwerke verkörpern das, was wir sind: unser Volk, unsere Kultur, unsere Religion, auch einen Teil unserer politischen Struktur. Sie sind Symbole unserer Identität. 100 Jahre nachdem sie uns mit fürchterlicher Gewalt entrissen wurden, versuchen wir immer noch, sie zurückzubekommen. Was 1897 passierte, hat unser ganzes Volk traumatisiert. Es war ein Schock. Vergessen Sie nicht, dass Benin einst eine Weltmacht war.

Doch diese Weltmacht stand den europäischen Kolonialmächten und ihren Eroberungsplänen im Wege. Bei allen Bemühungen Hamburger Institutionen, ihrer Repräsentanten, Museumsverantwortlichen und Geschichtsforschenden bleibt angesichts dieser oder ähnlicher Anhaltspunkte die Frage zu klären, ob die Absichtsbekundung, mit den afrikanischen Staaten und Institutionen eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe einzugehen, realisiert werden kann, ohne den Forderungen nach Rückgabe der geraubten Kulturgüter im vollen Umfang nachzukommen.

Im Anschluß an die Podiumsdiskussion konnte der Schattenblick der Direktorin des Völkerkundemuseums, Prof. Dr. Barbara Plankensteiner, einige weiterführende Fragen stellen.


Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons

Krieger, die ihre Benin-Schwerter hochhalten - Bronze aus dem 16. bis 18. Jahrhundert
Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons


Schattenblick (SB): Ich möchte gern auf die Bronzestatuen aus Benin zu sprechen kommen, genauer gesagt auf die Frage der Rückgabe der Objekte, die sich in Hamburger Museen befinden. Wie ist Ihre Position dazu, ist das für Sie überhaupt realistisch oder vollkommen illusorisch? Müßte ein Museum, wollte es dieser Forderung konsequent nachkommen, dann nicht so ziemlich alles abgeben?

Barbara Plankensteiner (BP): Nein, das denke ich nicht. Wir haben ja in den Museen ganz verschiedene Sammlungen, nicht alles wurde gestohlen oder ist das Ergebnis kolonialen Kriegsgeschehens. Die Befürchtung, alles weggeben zu müssen, braucht man, glaube ich, nicht zu haben. Ich möchte gern etwas korrigieren, denn es wird immer von den Bronzestatuen oder Bronzen aus Benin gesprochen. Doch es geht hier nicht ausschließlich um Bronzen, sondern auch um Elfenbein und Holzarbeiten, das ist ein weiteres Feld. Es handelt sich um die höfische Kunst dieses ehemals bedeutenden westafrikanischen Königreichs.

Prinzipiell ist die Frage der Rückgabe ein Thema, das wir nicht allein entscheiden. Es ist ein Prozeß, den wir mit den betroffenen Gesellschaften klären müssen. Gerade zum Thema Benin bin ich schon seit sehr langer Zeit in einen Prozeß involviert, in dem wir gemeinsam - also die europäischen Museen mit nigerianischen Museumskollegen und auch dem Königshof - versuchen, eine Lösung für dieses für beide Seiten schwierige Erbe zu klären. Dazu haben wir eine Gruppe etabliert, die es bereits seit 2010 gibt. Das ist ein sehr langer diplomatischer Prozeß, in den viele Museen und deren Entscheidungsträger miteinbezogen werden. Uns geht es darum, eine Möglichkeit zu schaffen, daß wichtige Bestände, die sich in Europa befinden, auch den Menschen in Nigeria wieder zugänglich gemacht werden. Das sind lange Aushandlungsprozesse, die wir auf Museumsebene gestartet haben, denn wir sind der Auffassung, nicht solange warten zu wollen, bis die dafür nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen wurden.

SB: Also quasi aus eigener Initiative?

BP: Ja, genau, denn wir wollen uns sozusagen in Partnerschaft und im Dialog mit dieser Frage beschäftigen. Vielleicht kommen auch ganz andere Entwicklungen auf uns zu. Es gibt bereits sehr viele internationale Diskussionen zu diesem Thema, also nicht nur zu Benin, sondern generell zum kolonialen Erbe. Ich war am Freitag in Paris bei einer UNESCO-Veranstaltung, an der viele Kulturminister aus Afrika, aber auch aus europäischen Staaten teilgenommen haben, und bei der es genau um diese Frage ging. [4] Die UNESCO will sich da jetzt aktiv einbringen. Dieses Thema beschäftigt sehr viele Menschen, auch die Museumslandschaft ist stark involviert. Wir sind alle der Meinung, daß dies ein sehr wichtiger Moment ist, unser Verhältnis zu den ehemaligen Kolonien im Zusammenhang mit vielleicht illegal erworbenem Kulturgut neu zu klären.

Auch in Deutschland gibt es durch den Koalitionsvertrag die Erklärung, daß man sich mit dem kolonialen Erbe auseinandersetzen will. Dazu hatten wir am 18. Mai in unserem Museum hier in Hamburg eine Auftaktveranstaltung. Uns hat sehr gefreut, daß man uns als den geeigneten Partner dafür angesehen hat, gemeinsam mit dem Goethe-Institut diese Veranstaltung zu organisieren - mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und mit Beteiligung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In diesem spezifischen Fall haben wir Kollegen aus der nigerianischen Museumslandschaft, aus freien kulturellen Initiativen, aber auch aus dem universitären Bereich, die sich mit dem Thema Kolonialismus befassen, eingeladen, um von ihrer Seite zu hören, welche Erwartungen sie an Deutschland und die Umsetzung des Koalitionsvertrages haben. Auch hier werden wir weiterarbeiten und gemeinsam mit diesen Partnern erste Schritte definieren, die dann politisch umgesetzt werden sollen.

SB: Würden Sie eine Prognose wagen, zu welchen Ergebnissen dies führen wird?

BP: Es ist unglaublich viel in Bewegung gekommen. Das alles ist ergebnisoffen, ich kann noch nicht vorhersagen, in welche Richtung das gehen wird. Es wird sicher oder wahrscheinlich in Restitutionen einzelner Objekte münden. Aber ich glaube nicht, daß wir jetzt die Sorge haben müssen, daß es zu Umwälzungen in der Museumslandschaft kommen wird, weil sozusagen alles in die Ursprungsregionen zurückgebracht werden müßte. Einen solchen Nationalismus verfolgt in diesen Gesprächen eigentlich niemand. Es geht einfach um die Anerkennung der Geschehnisse in der Vergangenheit und, was uns auch sehr wichtig ist, um Versöhnung und darum, unseren Partnern sozusagen im Rückblick zu Gerechtigkeit zu verhelfen.

SB: Sehen Sie da vielleicht auch einen Zusammenhang zur Afrika-Politik der Bundesregierung, die sehr bemüht ist, auch im Rahmen der EU und der G20-Staaten, das Verhältnis zu den afrikanischen Staaten partnerschaftlich auszugestalten?

BP: Ich persönlich bin jetzt erst ein Jahr in Deutschland und habe noch keinen tiefen Einblick in die deutsche Afrikapolitik gewinnen können. Doch es gibt die Erklärung der Bundesregierung, daß man die kulturelle Zusammenarbeit verstärken und auch in die kulturelle Infrastruktur Afrikas investieren will. Das ist für uns natürlich unglaublich wichtig. Denn wenn wir eine Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern anstreben, fehlen uns als Museum immer wieder die Mittel für diese kollaborativen Projekte, die natürlich sehr kostspielig sind. Selbstverständlich brauchen wir da Unterstützung, genauso wie unsere Partner in Afrika.

SB: Sie haben die Leitung des Hamburger Völkerkundemuseum im vergangenen Jahr übernommen, um für frischen Wind zu sorgen. Wo sehen Sie vor dem Hintergrund der schwierigen Auseinandersetzung um das koloniale Erbe Ihre Aufgaben?

BP: Zunächst einmal haben wir natürlich immer einen Bildungsauftrag. Wir sind aber auch aktiv in diese Prozesse involviert und wollen es auch sein, und so sind wir bemüht, ein breiteres Publikum über die Umstände und Hintergründe zu informieren. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Bildungsinstitution, in diesem Sinne unseren Beitrag zu leisten.

SB: Ich habe noch eine grundsätzliche Frage zur Museumsarbeit. Wie kann, wenn ein bestimmtes Kulturgut, eine Bronze vielleicht oder etwas anderes, aus einer Gesellschaft herausgerissen und in einem anderen Land in einem Museum gezeigt wird, der Zusammenhang zwischen der lebendigen Ursprungskultur und der eher akademischen Form einer musealen Präsentation gewährleistet werden?

BP: Dieses Problem hat man ja bei allen Objekten. Jedes Ding, auch jedes europäische Kulturgut, das in ein Museum gelangt, erfährt einen Bedeutungswandel, weil es von einem Gebrauchs- oder religiösen Gegenstand zu etwas anderem wird. Das ist ein generelles Thema der Musealisierung. Ich glaube, daß es wichtig ist, in der Museumsarbeit auch andere Perspektiven auf die Dinge mitzureflektieren. Es gibt inzwischen sogar schon Modelle, bei denen museale Gegenstände wieder in den ursprünglichen Gebrauch zurückgeführt werden. Sie haben dann sozusagen ihre Heimat im Museum, werden aber immer wieder auch bei bestimmten Zeremonien oder weiteren Anlässen benutzt. Das ist natürlich zwischen Europa und weit entfernt liegenden Regionen schwieriger zu realisieren, aber auch da gibt es inzwischen Versuche, dies zu ermöglichen. Man muß sehen, wie weit sich das verwirklichen läßt. Aber vor allem ist es wichtig, daß wir, wenn wir diese Objekte ausstellen, darüber informieren, daß sie auch eine andere Bedeutung haben als unsere musealisierte. Das müssen wir unbedingt mittransportieren.

SB: Gibt es denn Verbindungen zu den Ursprungsländern, daß beispielsweise Expertisen eingeholt oder Recherchen gemacht werden, um über das Ethnologische hinaus - was ja doch wieder einen eurozentrischen Blick darstellt - die Sichtweise der Menschen dort miteinzubeziehen?

BP: Ja, das ist natürlich die Idealsituation, die wir auch anstreben. Aber wir werden das sicherlich nicht für alles, was wir in unserer Sammlung haben, gewährleisten können. Dazu müßten ja unglaublich viele Kontakte geschlossen werden. Aber wir sind in eine breitere Museumslandschaft eingegliedert, in der es solche Verbindungen gibt. Um sie zu bekommen, müssen wir als Museum in unserem Feld enger zusammenarbeiten.


Graphik: by Giulio Ferrario [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein Oba des Königreichs Benin, in einer europäischen Darstellung des 17. Jahrhunderts
Graphik: by Giulio Ferrario [Public domain], via Wikimedia Commons

Gerade beim Thema Benin, das war ja mein Forschungsfeld, haben wir meine über viele Jahre hinweg entwickelte Kontaktarbeit auch für andere Museen fruchtbar gemacht. Dieses Netzwerk teilen wir dann mit anderen Häusern, um diese Beziehungen zusammenzuführen. Auf diese Weise kann man auch mit anderen Regionen zusammenarbeiten, wo ein Museum bereits einen engeren Kontakt aufgebaut hat und die anderen sich dann anschließen und in diese Verbindungen einsteigen können. Jedes einzelne Haus kann gar nicht all die Verbindungen pflegen, die man auf Basis der Sammlungen eigentlich herstellen müßte. Das ist natürlich ein sehr komplizierter Prozeß.

SB: Vielen Dank, Frau Plankensteiner, für dieses Gespräch.


Anmerkungen:


[1] https://www.mkg-hamburg.de/de/ausstellungen/aktuell/raubkunst-die-bronzen-aus-benin.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/benin-die-beute-bronzen-15359996.html#auf-dem-kunstmarkt

[3] http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/benin-die-beute-bronzen-15359996.html#trauma-in-nigeria

[4] Wie die Süddeutsche Zeitung am 3. Juni berichtete, hätten sich bei dieser UNESCO-Konferenz die Gesichter der europäischen Kulturverantwortlichen verdüstert, als Patrice Talon, Staatspräsident der - nicht mit dem heute zu Nigeria gehörenden Königreich Benin zu verwechselnden - Republik Benin unmißverständlich erklärte, die in Europa befindlichen Kulturgüter gehörten in die Hände derer, die sie geschaffen haben.
http://www.sueddeutsche.de/kultur/raubkunst-flucht-nach-vorn-1.3999849


im Schattenblick ist unter POLITIK → REPORT zur Veranstaltung "Hamburgs koloniales Erbe" unter dem kategorischen Titel "Kolonialwirtschaftsgeschichte" erschienen:

BERICHT/321: Kolonialwirtschaftsgeschichte - am Beispiel Hamburgs ... (SB)
BERICHT/323: Kolonialwirtschaftsgeschichte - Verhaltens- und Umfeldsmerkmale ... (SB)
INTERVIEW/413: Kolonialwirtschaftsgeschichte - eine alte Schuld ...    Prof. Dr. Jürgen Zimmerer im Gespräch (SB)


19. Juni 2018


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