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INTERVIEW/456: Rojava - Schutz der Kurden vorrangig ...    Cansu Özdemir im Gespräch (SB)


Cansu Özdemir ist Kovorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Auf der von vielen Gruppen und Initiativen getragenen Demonstration gegen den türkischen Angriff auf Rojava am 12. Oktober in Hamburg hielt sie die Eröffnungsansprache [1]. Die Linke war die einzige der in der Hamburger Bürgerschaft und im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, die bei diesem Protest mit RednerInnen und Fahnen Solidarität mit Rojava bekundet hat.



Rede bei der Auftaktkundgebung am 12. Oktober - Foto: © 2019 by Schattenblick

Cansu Özdemir
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Gibt es in der Linkspartei eine geschlossene Position zum Thema des türkischen Angriffs auf Rojava?

Cansu Özdemir (CÖ): Geschlossen vertreten wird auf jeden Fall die Position, daß die türkische Armee sich sofort zurückziehen muß. Nächste Woche wird es in der Bundestagsfraktion eine Sitzung geben, in der auch noch andere Positionen diskutiert werden. Meine persönliche Meinung ist, daß es auf UN-Ebene auf jeden Fall eine Schutzgarantie für die Kurden in Rojava geben muß. Das kollidiert auch nicht mit unseren friedenspolitischen Positionen. Außerdem muß ein Waffenembargo international und natürlich auch auf Ebene der Vereinten Nationen durchgesetzt werden. Aber diese Forderungen werden nächste Woche diskutiert. Einig sind wir auf jeden Fall in der Frage, daß die türkische Armee völkerrechtswidrig handelt und dieser Angriff sofort gestoppt werden muß.

SB: Was sagen Sie dazu, daß die USA und Rußland im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen die Behandlung des Angriffs der Türkei auf Syrien eingelegt haben?

CÖ: Das zeigt natürlich auch die Fratze der USA und Rußlands, das zeigt natürlich, daß sie gar nicht das Interesse haben, daß in dieser Region wirklich Frieden herrscht. Das zeigt auch ganz deutlich, welche Rolle sie eigentlich bei den türkischen Luftangriffen und bei der Bodenoffensive spielen.

SB: Inwiefern ist Ihrer Ansicht nach der emanzipatorische Charakter des Projekts Rojava auch ein Grund dafür, daß es von den großen internationalen Akteuren alleingelassen wird?

CÖ: Rojava ist den Herrschenden ein Dorn im Auge, weil Rojava auch das kapitalistische System in Frage stellt, eine neue Ökonomie diskutiert und durchsetzen möchte. Zudem soll die Gleichberechtigung von Mann und Frau hergestellt werden. Wir wissen natürlich, daß wenn Rojava sich als ein Gesellschaftsmodell durchsetzt und sich auch im Nahen und Mittleren Osten verbreitet, diese Mächte weniger Chancen haben, ihre Hegemonialinteressen durchzusetzen.

SB: Das Thema Frauenbefreiung ist im kurdischen Freiheitskampf sehr präsent und wird dort auch unter dem Begriff Jineologi behandelt. Inwieweit haben Sie sich damit befaßt und halten das für eine eigenständige Form feministischer Intervention?

CÖ: Ich komme ursprünglich auch aus der kurdischen Frauenbewegung und bin dort sozialisiert worden. Dementsprechend nehme ich Jineologi auch als meinen Feminismus an. Ich bin der Auffassung, daß wir andere feministische Ansätze international mit Jineologi verknüpfen sollten und es auch bekannter machen müssen. Die radikale Umsetzung des Prinzips der gleichberechtigten Vertretung von Mann und Frau auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist ja noch nicht einmal bei uns in Deutschland angekommen. Wir diskutieren im Rathaus noch über die Frage, ob wir die 40-Prozentquote in Aufsichtsräten und auf anderen Ebenen schaffen könnten. Ich denke, daß der feministische Ansatz Jineologi ein revolutionärer und auch fortgeschrittener Ansatz ist.

SB: Frau Özdemir, vielen Dank.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0351.html

16. Oktober 2019


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