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ARBEIT/440: Thailand - Globale Ausbeutung (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 113, 3/10

Globale Ausbeutung
Wie ArbeiterInnen aus Thailand Geld dafür zahlen, um in Europa arbeiten zu dürfen
Interview mit Junya Yimprasert

Von Kathrin Pelzer


Junya Yimprasert, eine thailändische Aktivistin und Direktorin der Thai Labour Campaign und der Migrant Worker's Union, setzt sich bei einem Interview mit Kathrin Pelzer während der Jahreskonferenz von WIDE in Bukarest im Juni d. J. mit der Arbeitsmigration von ThailänderInnen nach Europa auseinander. Sie zeigt zahlreiche Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in europäischen Ländern und Handlungsalternativen in der EU auf.


KATHRIN PELZER: Mit welchen aktuellen Problemen der Arbeitsmigration ist Thailand im Moment konfrontiert?

JUNYA YIMPRASERT: Die Thai Labour Campaign und die Migrant Worker's Union sind beides Anlaufstellen für Probleme von thailändischen ArbeitsmigrantInnen. Im Moment haben wir mit zahlreichen Beschwerden von ArbeiterInnen, welche nach Skandinavien geschickt wurden, zu tun. Außerdem haben wir hunderte Fälle von thailändischen Frauen und Männern, die in Polen auf Bauernhöfen arbeiten und demnächst nach Thailand zurückkehren werden. Meist geht es um nicht ausbezahlte Löhne und fehlende Versicherungen.

KATHRIN PELZER: Was sind Rekrutierungsagenturen und wie funktionieren sie?

JUNYA YIMPRASERT: Eines der größten Probleme im Fall von Arbeitsmigration ist der Menschenhandel. Immer mehr Rekrutierungsfirmen etablieren sich jetzt in Thailand, mittlerweile stellen sie schon fast so eine Art Kartell dar - von der globalen Vernetzung und dem Profit, den sie sich gegenseitig zuspielen, ganz zu schweigen. Deswegen nenne ich es Menschenhandel, was sie da betreiben. Diese Agenturen können so viel Geld verlangen, wie sie wollen. Die ArbeiterInnen zum Beispiel, die dieses Jahr aus Polen zurückkehren werden, haben 250.000 bis 400.000 Baht gezahlt, das entspricht 8.000 bis 12.000 Euro, um von diesen Agenturen angestellt zu werden. Um in Spanien zu arbeiten, waren es sogar 14.000 Euro. Versprochen wird den ArbeiterInnen dafür ein Lohn von 750 USD bzw. 1500 Euro (in Spanien), gesundheitliche Versorgung und die Ausbezahlung von Überstunden. Das heißt, viele ArbeiterInnen träumen nur davon, in Europa arbeiten zu können, und zahlen fast alles dafür. Das Problem ist, dass diese Versprechen nur Versprechen sind, die Verträge werden selten bis nie eingehalten: In Wirklichkeit erhalten die ArbeiterInnen letztendlich viel weniger, arbeiten oft in einem anderen Umfeld als ausgemacht, den Unterkünften mangelt es an Einrichtung und sanitären Anlagen - um die Toiletten zu benutzen, müssen die ArbeiterInnen Schlange stehen und oft auch etwas zahlen. Von einer Gesundheitsversicherung ganz zu schweigen. Wir hatten zum Beispiel den Fall einer Arbeiterin, die während der Arbeit auf einen Nagel gestiegen war. Als sie verlangte, ins Spital gebracht zu werden, weigerten sich die Betriebsleiter mit der Ausrede, dass die Entzündung noch nicht auf den ganzen Fuß übergegangen war. Die arme Frau musste sich Antibiotika von Freunden ausleihen und verwendete eine Kerze, um die Wunde auszubrennen. Es gibt viele solcher Geschichten.

KATHRIN PELZER: In welchen Betrieben werden ArbeitsmigrantInnen aus Thailand eingesetzt?

JUNYA YIMPRASERT: Am Beispiel von Polen sieht es meist so aus, dass die ArbeiterInnen anfangs nach Berlin kommen und über Nacht nach Polen gefahren werden. Dort werden sie vorerst in eine Fabrik gebracht und wenige Tage später werden sie in kleinen Gruppen in verschiedene landwirtschaftliche Betriebe an der Grenze zu Deutschland verteilt. Das sind dann Betriebe aus der Blumen-, Pilz-, Hühner- und Schweinezucht und sogar Teigwarenfabriken; thailändische ArbeiterInnen finden sich aber auch als HundesitterInnen für Politiker wieder. Problematisch ist, dass viele ArbeiterInnen früher oder später von der Grenzpolizei festgenommen werden, mit dem Vorwurf illegal ins Land gekommen zu sein und keine Arbeitsgenehmigung zu haben. Die Verträge mit den Rekrutierungsfirmen werden nicht anerkannt, die ThailänderInnen abgeschoben, und die Agenturen behalten sich das Geld.

Das ist aber nicht das einzige Problem, die ArbeitsmigrantInnen, die nicht abgeschoben wurden, bekommen häufig monatelang keinen Lohn, und wenn sie dann protestieren, werden auch sie abgeschoben. In beiden Fällen dürfen die ArbeiterInnen daraufhin jahrelang nicht mehr in Europa einreisen, die Einstellungsverhältnisse und Arbeitsverträge werden gar nicht kontrolliert, ohne Gerichtsverhandlung werden sie einfach ihres Lebensunterhalts beraubt.

Außerdem werden die Verträge zumeist für fünf Jahre abgeschlossen. Das Problem hierbei ist, zum Beispiel in Spanien, dass die ArbeiterInnen für fünf Jahre Arbeit und einen ebensolchen Profit in Spanien bezahlt haben und dann der Besitzer der Tomaten- oder Gemüseplantagen nach einem Jahr die Verlängerung des Arbeitsvertrages verweigert. Die ArbeiterInnen müssen dann zurückkehren, auch weil sie ohne Visum nicht in Europa bleiben können. Die Rekrutierungsfirma selbst zu verklagen können sich aber viele nicht leisten, dabei ginge die ganze Familie bankrott. Deswegen kommen sie zu uns.

KATHRIN PELZER: Heißt das, die ganze Familie spart dafür und ist letztendlich abhängig vom Profit der ArbeitsmigrantIn?

JUNYA YIMPRASERT: Genau so ist es. Die Familien müssen das Geld für die Agenturen aufbringen, müssen Hypotheken und Kredite auf ihr Haus, ihr Land und sogar ihr Auto aufnehmen. Wenn eine Arbeiterin nicht den erwarteten Profit einbringen kann, sondern im Gegenteil um fehlende Gehälter, gegen frühzeitige Kündigung und wegen unbezahlter Überstunden etc. die Rekrutierungsfirma anklagen muss, so ist die Familie verpflichtet, zehn Jahre lang Schulden zu begleichen, und ihr ganzer Besitz steht auf dem Spiel. Die Kartelle machen dabei ein Millionengeschäft.

KATHRIN PELZER: Inwiefern kann die EU hier einen Beitrag leisten? Wie sieht es mit den Freihandelsabkommen aus?

JUNYA YIMPRASERT: Seit den 1950er Jahren war Thailand stark von der Politik des Westens beeinflusst. Freihandelsabkommen wurden quasi erzwungen. Aber irgendwann ist es einfach nicht mehr möglich, die Mindestlöhne und die Wohlfahrtseinrichtungen in Thailand, aber auch in anderen Ländern des Südens, zu kürzen, um europäische Investoren anzuziehen. Im Fall der EU ist es so, dass sie die zweitgrößte bilaterale Partnerin Thailands und eine wichtige Partnerin anderer Länder des Südens ist, bemüht, die Verträge aufrecht zu erhalten, im Sinne des neoliberalen Wirtschaftsgedankens. Die EU selbst jedoch hat sehr positive Seiten: der Schutz der Menschenrechte, Demokratie, Wohlfahrtsgesellschaft - das sind Kapazitäten der EU, die sie sich auch für die Länder des Südens denken sollte, anstatt in die Falle des Neoliberalismus zu tappen.

KATHRIN PELZER: Wie sind Sie Aktivistin für Frauen- und Arbeitsrechte geworden?

JUNYA YIMPRASERT: Ich bin eine Bauerntochter aus sehr armen Verhältnissen. Nie hätte ich mir gedacht, dass ich höhere Bildung erhalten werde. Nur über die Unterstützung meiner Familie konnte ich die Universität besuchen. Dort traf ich erstmals auf "reiche" Menschen: StudentInnen, die in schöner Kleidung und mit dem Auto auf die Universität fuhren. Nur 5% der armen Bevölkerung schafften die Aufnahmeprüfung und hatten das Geld, um auf die Universität zu gehen. Diese Konfrontation mit der Klassengesellschaft führte dazu, dass ich Sozialwissenschaften studierte und mir schwor, gegen die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich zu kämpfen. Das schwierigste Problem, wie mir scheint, ist, dass es unmöglich ist, gegen alles etwas zu tun, ohne die Wurzel des Problems anzupacken: die fehlende demokratische Struktur meines Landes. Dafür müssen wir kämpfen!


Lese- und Hörtipp:

Das komplette Interview mit Junya Yimprasert zu hören unter:
http://noso.at/?p=2155

"Why I don't love the King" (2010): ein Bericht über das Leben von Junya Yimprasert und die innenpolitischen Probleme Thailands, herunterzuladen unter:
http://www.globallabour.info/en/2010/06/why_i_dont_love_the_king_by_ju.html


Übersetzung aus dem Englischen: Jenni Jerabek und Steffi Gratzer


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 113, 3/2010, S. 32-33
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2010