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ARBEIT/520: Bangladesch - Druck auf Textilindustrie trifft vor allem die Frauen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Mai 2013

Bangladesch: 'Kapitalistischer Halsabschneidermarkt' - Druck auf Textilindustrie trifft vor allem die Frauen

von Suvendrini Kakuchi



Dhaka, 13. Mai (IPS) - Im letzten Monat war die 18-jährige Shapla noch eine von Tausenden Textilarbeiterinnen in einer Fabrik in Savar, einem Vorort der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka. Heute ist sie körperbehindert, nachdem sie einen der schlimmsten Werksunfälle in der Geschichte des Landes überlebt hat.

Am 24. April wurden beim Einsturz von 'Rana Plaza', einem Komplex aus fünf Fabriken, viele Beschäftigte unter Zement- und Glastrümmern begraben. Die Zahl der Todesopfer ist inzwischen auf mehr als 1.100 gestiegen, zahlreiche Menschen werden noch vermisst.

"Ich könnte verzweifeln, wenn ich an die Zukunft denke", sagt Shapla. Ähnlich empfinden hunderte weitere Frauen, die an diesem Unglückstag verstümmelt wurden. Die junge Mutter wird zurzeit in einem Krankenhaus in Dhaka behandelt. Ihr wurde dort eine Hand amputiert. Sie befürchtet, angesichts ihrer Behinderung keine Arbeit mehr zu finden.

Die Frauen, die rund 80 Prozent der Arbeitskräfte in dem Fabrikkomplex ausmachten, sind offensichtlich die Hauptleidtragenden der Tragödie. "Sie sind sozial und wirtschaftlich erheblich im Nachteil", bestätigt Mashuda Khatun Shefali, Gründerin der Frauenorganisation 'Nari Uddung Kendra' (NUK), die sich für die Bildung von Frauen einsetzt.

Einige Arbeiterinnen seien so schwer traumatisiert, dass sie nie wieder in einer Fabrik arbeiten wollten, berichtet sie. "Sie müssen langfristig physisch und mental rehabilitiert und von ihren Familien und der Gesellschaft als Behinderte akzeptiert werden."


Hoher Profit durch Dumpinglöhne

In den vergangenen zehn Jahren hat es Bangladesch dank seiner billigen Arbeitskräfte zu einem bedeutsamen Player innerhalb der internationalen Bekleidungsindustrie gebracht. Das südasiatische Land besitzt mittlerweile die drittgrößte Textilindustrie der Welt nach China und Vietnam. In dem Bereich verdient Bangladesch 20 Milliarden US-Dollar, was etwa 80 Prozent des jährlichen Außenhandelsvolumens entspricht. Das sind wichtige Einnahmen für ein Land, in dem 49 Prozent der rund 150 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze leben.

Die größten Bekleidungskonzerne in der westlichen Welt und in den reichen asiatischen Staaten wie Japan und Südkorea haben ihre Produktion nach Bangladesch verlagert, nachdem die Löhne an den bisherigen Standorten wie Thailand gestiegen sind. In Bangladesch lassen Ketten wie Gap, Primark, Walmart, Sears und American Apparel Kleidungsstücke fertigen, die dann in anderen Ländern verkauft werden.

Geschäftsleute wie Zahangir Kabir, Eigentümer der Firma 'Rahman Apparels' in Dhaka, räumt ein, dass die Textilarbeiter unter harten Bedingungen arbeiten müssten. Anderseits stünden aber auch die Arbeitgeber unter massivem Druck, erklärt er. Wenn kleinere Unternehmen wie seins nicht die hohen handelsüblichen Standards einhielten, müssten sie Verluste in Kauf nehmen.

In der Peripherie der Hauptstadt, wo Menschen dichtgedrängt leben, besitzt Kabir eine eigene Näherei und eine Fabrik, in der Jeansstoff gewaschen wird. Seine 500 Beschäftigten, vorwiegend Frauen, stellen Jeanshosen und -jacken für den europäischen und US-Markt her.

Oftmals können die strengen Qualitätsanforderungen jedoch in Bangladesch nicht eingehalten werden. "Unerwartete politische Unruhen und regelmäßige Stromausfälle haben zur Folge, dass wir Waren nicht preisgünstig oder rechtzeitig ausliefern können. Jede kleinste Panne und jeder noch so kleine Fehler berechtigen den Käufer dazu, unsere Produkte zurückzuweisen", erklärt Kabir. Während die Bangladescher auf ansehnliche Profite hofften, riskierten sie zugleich viel auf dem "kapitalistischen Halsabschneidermarkt".

Vor allem aus diesem Grund zögerten Firmen, sich den höheren Arbeitsstandards anzupassen und die Löhne heraufzusetzen, sagt der Unternehmer, der sich grundsätzlich für striktere Kontrollen in der Branche ausspricht.

In Dhaka und den umliegenden Bezirken sind etwa 3,5 Millionen Arbeiter in Hochhäusern rund um die Uhr beschäftigt. Die meisten Mitarbeiter sind junge Frauen, die aus ländlichen Regionen stammen und nach Dhaka kommen, um sich beruflich zu qualifizieren.


Frauen leichte Beute für ausbeuterische Chefs

In der Stadt leben die Arbeiterinnen auf engem Raum zusammen und teilen sich Küche und Bad. Häufig Analphabetinnen, haben es die Frauen schwer, ein regelmäßiges Einkommen zu erwirtschaften. Ohne eigene Lobby sind sie für Unternehmer leichte Beute.

Wie Shefali berichtet, fangen die jungen Frauen als Praktikantinnen an. Das bedeutet, dass sie bestenfalls eine Aufwandsentschädigung von einem US-Dollar pro Monat erhalten. Innerhalb eines Jahres lernen die Arbeiterinnen die betriebseigenen Maschinen zu bedienen und beziehen ab dann ein reguläres Einkommen.

Die meisten Frauen nähen, waschen oder verpacken Kleidungsstücke für durchschnittlich 30 bis 40 Dollar im Monat, bei einer täglichen Arbeitszeit von zehn Stunden an sieben Tagen in der Woche. Männer kommen dagegen eher in höheren Positionen zum Einsatz, etwa in der Qualitätskontrolle und im Management.

Das Unglück in Dhaka ist nicht das erste. Im vergangenen November kamen bereits mehr als 100 Menschen in der 'Tazreen Fashion Factory' am Rand von Dhaka ums Leben. Überlebende warfen den Firmenmanagern vor, die Türen verschlossen zu haben.

Nach Warnungen vor einem möglichen Einsturz wurde den Beschäftigten von Rana Plaza mit Entlassungen gedroht, sollten sie nicht zur Arbeit erscheinen. Das achtstöckige Gebäude hätte eigentlich nur fünf Etagen hoch gebaut werden dürfen. Eine Woche vor dem Unglück waren bereits große Risse an den Decken sichtbar. Experten fordern nun, dass die einlaufenden Hilfsmittel aus Ländern wie den USA und Deutschland direkt an die betroffenen Frauen geleitet werden. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/05/female-garment-workers-bear-brunt-of-tragedy/

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IPS-Tagesdienst vom 13. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2013