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ARBEIT/583: El Salvador - Zuckerrohrernte ohne Kinderhände, Null-Toleranz-Politik zahlt sich aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2015

EL SALVADOR: Zuckerrohrernte ohne Kinderhände - Null-Toleranz-Politik zahlt sich aus

von Edgardo Ayala und Claudia Avalos



Foto: © Edgardo Ayala/IPS

Der 22-jährige Zuckerrohrschneider Evaristo Pérez, ein ehemaliger Kinderarbeiter, arbeitet als Tagelöhner auf der Finca La Isla in der westsalvadorianischen Gemeinde San Juan Opico
Foto: © Edgardo Ayala/IPS

San Juan Opico, El Salvador, 2. April (IPS) - Die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an der Zuckerrohrernte, einer der schlimmsten Formen von Kinderarbeit, wird in El Salvador bald der Vergangenheit angehören. In den letzten Jahren ist die Zahl der Minderjährigen, die auf den Plantagen des zentralamerikanischen Landes arbeiten müssen, rapide gesunken. Bis spätestens 2020 soll das Problem gänzlich behoben sein.

"Als ich noch klein war, nahmen mich meine Brüder mit auf die Felder, damit ich ihnen half, Zuckerrohr zu schneiden", erinnert sich der Tagelöhner Evaristo Pérez. Der 22-Jährige arbeitet derzeit auf der Finca 'La Isla' in San Juan Opico im westsalvadorianischen Departement La Libertad. "Irgendwann durfte ich nicht mehr mit und musste warten, bis ich 18 Jahre alt war, um wieder als Zuckerrohrschneider beschäftigt zu werden."

Jahrzehntelang waren Minderjährige zur Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen herangezogen worden. Die Tätigkeit wird von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als gefährlich eingestuft, weil Macheten zum Einsatz kommen und die Felder abgefackelt werden, um die Ernte zu erleichtern. Dabei entsteht Asche, die von den Arbeitern eingeatmet wird.


Armutsproblem

Doch aufgrund der Armut nahmen viele Kleinbauern die Gefahren in Kauf und verdingten sich mit ihren Kindern auf den Zuckerrohrplantagen. Ein Zuckerrohrschneider verdient monatlich um die 200 US-Dollar.

"Wir haben es hier mit einem kulturellen und wirtschaftlichen Phänomen zu tun, das auf Armut und fehlenden beruflichen Perspektiven in den ländlichen Gebieten gründet", erläutert Julio César Arroyo, Leiter des Zuckerverbands von El Salvador (AAES), einem Zusammenschluss von sechs privaten Zuckerproduzenten.

Im 6,3 Millionen Einwohner zählenden Land leben 38 Prozent der Bevölkerung in Dörfern. 36 Prozent von ihnen sind arm. Zahlen von 2013 belegen, dass landesweit 29,6 Prozent der Salvadorianer unterhalb der Armutsgrenze leben.

Die Zuckerindustrie generiert in El Salvador 50.000 direkte Arbeitsplätze. In 18.000 dieser Fälle handelt es sich um Saisonarbeit. Insgesamt profitieren 250.000 Menschen. Während der Ernte 2013/2014 wurden 720.000 Tonnen Zucker im Wert von 24,2 Millionen Dollar produziert. Das entsprach einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,28 Prozent und einem Fünftel des landwirtschaftlichen BIP.

Das Thema Kinderarbeit auf den Zuckerrohrfeldern hatte national und international für Schlagzeilen gesorgt, als die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) mit Sitz in Washington im Juni 2004 in einem Bericht schilderte, wie salvadorianische Zuckerrohrproduzenten Kinder und Jugendliche auf ihren Plantagen ausbeuteten.

Die Untersuchung löste heftige Reaktionen auch bei den internationalen Zuckerimporteuren aus. Kanada, nach den USA der zweitgrößte Abnehmer, drohte sogar damit, die Zuckereinkäufe aus dem zentralamerikanischen Land gänzlich einzustellen. "Die Haltung Kanadas löste große Besorgnis aus. Befürchtet wurde ein Dominoeffekt und der Verlust der für die Bauern so dringend benötigten Einnahmen", erläutert Arroyo im Gespräch mit IPS.


Verbindlicher Verhaltenskodex

Der Bericht über die Kinderarbeit und der durch ihn entstandene Druck veranlassten die Zuckerproduzenten, Zuckerrohrpflanzer und die Regierung, die im Salvadorianischen Rat der Zucker-Agroindustrie zusammengeschlossen sind, zur Einführung eines Verhaltenskodexes. Im Jahr darauf wurde eine Klausel eingefügt, in der Kinderarbeit geächtet wurde.

Ebenso wurden Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung der Klausel sicherzustellen. Dazu gehörten Kontrollen durch das Arbeitsministerium und Inspektionen. Die Folgen waren bemerkenswert. Nach Aussagen von AAES sank die Zahl der Kinder, die auf den Zuckerrohrplantagen arbeiteten, zwischen 2004 und 2009 um 72 Prozent von 12.000 auf 3.470.

2013/2014 wurden dann nur noch 700 Kinderarbeiter in der Zuckerindustrie entdeckt. "Wir werden aber erst ruhen, wenn wir das Problem komplett beseitigt haben", versichert Arroyo, demzufolge auch bei den Familien ein Umdenken stattgefunden hat.

Pablo Antonio Merino, Vorarbeiter auf der Finca La Isla, berichtet, dass er noch immer Anfragen von Familien nach Arbeit für ihre Kinder erhält, die er allerdings entschieden zurückweist. "Unter meinen Arbeitern werden Sie niemanden antreffen, der unter 18 ist", sagt der 63-Jährige. "Manchmal kommen sie sogar zu mir nach Hause, doch ich bleibe hart. Ich will keinen Ärger", sagt er.

Auch der 53-jährige David Flores arbeitet als Saisonarbeiter auf der Finca. Er gehört zu denen, die gegen das Arbeitsverbot für Minderjährige ist. Seiner Meinung nach sollten zumindest Jugendliche die Möglichkeit erhalten, zu arbeiten, anstatt den ganzen Tag herumzulungern, wie er sagt. Das führe nur dazu, dass sie sich kriminellen Banden anschlössen.

El Salvador erlebt derzeit eine Welle der Gewalt, die 2014 die Mordrate auf 63 pro 100.000 Einwohner anwachsen ließ. Viele dieser Verbrechen werden von den in Zentralamerika als 'Maras' berüchtigten Gangs begangen. "Wir tun unserem Land keinen Gefallen, wenn wir unseren jungen Leuten keine Arbeit geben", meint Flores.

Doch Ludin Chávez, Leiterin des salvadorianischen Büros der Kinderrechtsorganisation 'Save the Children', betont, dass jede Form von Kinderarbeit dazu führe, dass Heranwachsende um ihr Recht auf Entwicklung gebracht würden. "Für Kinderarbeiter ist es irgendwann normal, von anderen ausgebeutet zu werden und ihre Rechte nicht einfordern zu können. Das ist ein Teufelskreis, den wir unbedingt durchbrechen müssen."

Offenbar mit Erfolg. Eine Haushaltsumfrage aus dem Jahr 2013 hat gezeigt, dass in jenem Jahr 144.168 Jungen und Mädchen im Alter von fünf bis 17 Jahren gearbeitet haben. Das waren 11,9 Prozent weniger als im Vorjahr.

Die seit 2009 amtierende Linkspartei Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí hat in diesem Jahr einen Fahrplan zur Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit bis 2020 entworfen, der vom Wirtschafts- und vom sozialen Sektor unterstützt wird. (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnoticias.net/2015/03/los-ninos-trabajadores-salen-de-los-canaverales-salvadorenos/

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IPS-Tagesdienst vom 2. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2015

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