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ARBEIT/594: Mexiko - Ausgebeutet und misshandelt, Hausangestellte haben kaum Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juni 2015

Mexiko: Ausgebeutet und misshandelt - Hausangestellte haben kaum Rechte

von Emilio Godoy


Bild: © ILO

Haushaltshilfen feiern im Juni 2011 in Genf die Verabschiedung der ILO-Konvention 189
Bild: © ILO

MEXIKO-STADT (IPS) - Auf ihren letzten zwei Arbeitsstellen hat Yoloxochitl Solís nur schlechte Erfahrungen gemacht. "Eine Arbeitgeberin hat mir das Essen und ihre Medikamente einfach so ins Gesicht geschleudert", berichtet die 48-jährige Mexikanerin. "Sie konnte es nicht leiden, dass ich ihre Gäste begrüßte. Ich hatte in der Küche zu bleiben und den Mund zu halten."

Solís, die ihren inzwischen 24-jährigen Sohn allein aufgezogen hat, arbeitete von 2000 bis 2004 sechs Tage in der Woche für eine 80-jährige Frau in Villa Olímpica, einem Mittelklasseviertel im Süden von Mexiko-Stadt. Auch der etwa 60-jährige Sohn ihrer Arbeitgeberin behandelte sie rüde.

Von den umgerechnet rund 20 US-Dollar, die sie am Tag verdiente, musste sie jeweils zwei Dollar für Fahrkarten ausgeben. Täglich verbrachte sie zwei Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln, um von ihrer Wohnung im Armenviertel Magdalena Contreras zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Die kleine Prämie, die sie einmal im Jahr erhielt, konnte die Nachteile nicht aufwiegen. Irgendwann hatte Solís die schlechte Behandlung satt und kündigte.

Doch sie kam vom Regen in die Traufe, als sie sich ebenfalls in Villa Olímpica um eine Frau mit zwei Kindern kümmerte, die nach einem Schlaganfall Betreuung benötigte. Oft konnte sie sich erst um acht Uhr abends auf den Heimweg machen. Im März dieses Jahres musste Solís mit Fieber das Bett hüten. Ihre Arbeitgeberin zeigte keinerlei Verständnis: Nach wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen gab Solís auch diesen Job auf. Neun Jahre hatte sie durchgehalten.


ILO-Konvention 189 bisher nicht ratifiziert

Geschichten wie diese gehören in Mexiko zum Alltag. Viele Haushaltshilfen werden ausgebeutet, sexuell belästigt und unterbezahlt. Rechtlichen Schutz genießen sie nicht. Das Parlament des lateinamerikanischen Landes hat zwar im Jahr 2011 die Konvention 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet, bis heute aber nicht ratifiziert.

Die Übereinkunft stellt Hauspersonal auf eine Stufe mit allen anderen Arbeitnehmern. Festgeschrieben sind unter anderem Sozialversicherungsschutz, das Recht auf Urlaub, eine geregelte Arbeitszeit, die Vergütung nach Mindestlohn, bezahlte Überstunden, Mutterschutz und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

"Gleichwohl werden Dienstboten ohne Begründung entlassen, ohne jeglichen Beweis des Diebstahls bezichtigt und inhaftiert, nur damit sie nicht entlohnt werden müssen", erklärt Marcelina Bautista, Direktorin des Zentrums für Unterstützung und Ausbildung von Hauspersonal (CACEH) mit Sitz in Mexiko-Stadt.

Bautista, die auch Lateinamerika-Regionalkoordinatorin des Internationalen Hausangestelltenverbandes (IDWF) ist, hat dies am eigenen Leib erfahren. Mit 14 Jahren begann sie in einem Haushalt in Mexiko-Stadt zu arbeiten.

CACEH nimmt täglich drei bis fünf Beschwerden entgegen, die sich zumeist auf unfaire Kündigungen und Diskriminierungen beziehen. Streitfälle, die nicht auf dem Weg der Schlichtung beigelegt werden können, werden an ehrenamtlich tätige Rechtsanwälte übergeben. Das Zentrum klärt Hausangestellte außerdem über ihre Rechte auf und hilft ihnen bei der Suche nach neuen Jobs.

Nach einem Bericht der Nationalen Anti-Diskriminierungskommission vom April arbeiten in Mexiko etwa 2,3 Millionen Menschen in fremden Haushalten. Mehr als 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Die meisten verfügen nur über eine geringe Schulbildung. Viele haben ihre Dienstbotenjobs von der Mutter oder einem anderen Familienmitglied übernommen, heißt es in dem Report.

Haushaltshilfen berichteten der Kommission, dass sie nicht sozialversichert seien, misshandelt und nicht angemessen entlohnt würden. Zudem würden sie zu körperlicher Schwerstarbeit herangezogen und litten unter einer ungeregelten Arbeitszeit. Ihren Arbeitgebern warfen sie außerdem vor, gegen Arbeitsverträge zu verstoßen.


Indigene dürfen eigene Sprache nicht sprechen

Im Durchschnitt waren die Befragten 35 Jahre alt. Mehr als ein Drittel von ihnen hatte im Alter zwischen 15 und 18 Jahren zu arbeiten begonnen. 21 Prozent hatten eine Beschäftigung angetreten, bevor sie das gesetzliche Mindestalter von 15 Jahren erreicht hatten. Von den 23 Prozent der Interviewten, die indigenen Ethnien angehörten, wurden 33 Prozent abschätzig behandelt. Einem Viertel von ihnen wurde es verboten, die eigene Sprache zu sprechen.

Während der 104. Sitzungsperiode der Internationalen Arbeitskonferenz der ILO, die vom 1. bis 13. Juni in Genf stattfand, erklärten Vertreter der mexikanischen Regierung, dass eine Vereinbarkeit der Konvention 189 mit den Bundesgesetzen des Landes überprüft werde. 2012 wurde das mexikanische Arbeitsrecht reformiert, ohne dass die Verpflichtungen aus der Konvention 189 berücksichtigt wurden. (Ende/IPS/ck/18.06.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/06/domestics-in-mexico-face-abuse-and-scant-protection/
http://www.ipsnoticias.net/2015/06/trabajadoras-domesticas-subsisten-en-la-indefension-en-mexico/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2015

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