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FRAGEN/002: Migration - Potenziale nutzen, Interview mit Bela Hovy von UN-DESA (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Oktober 2012

Migration: Potenziale nutzen - Interview mit Bela Hovy von UN-DESA

von Mathieu Carat



New York, 1. Oktober (IPS) - Die Migration ist längst zu einem wichtigen Bestandteil der globalen Wirtschaft geworden. Zwar haben auch die Zuwanderer die negativen Folgen der Weltwirtschaftskrise in Form von Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit zu spüren bekommen. Dennoch werden sie auch weiterhin eine Schlüsselrolle gerade bei der Entwicklung ihrer Herkunftsländer spielen, wie Bela Hovy von der UN-Hauptabteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA) im IPS-Gespräch erklärte.

Nach Angaben der Weltbank ist die Gesamtzahl der Migranten zwischen 2005 und 2010 von 195 auf 214 Millionen gestiegen. Mehr als drei Prozent der Weltbevölkerung leben somit außerhalb ihrer Heimatländer. Geldüberweisungen in Entwicklungsländer wurden im Jahr 2011 auf 372 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das bedeutete einen Anstieg um 12,1 Prozent während des vorangegangenen Jahres.

Diese Entwicklungen haben Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Menschenrechtslage. Die Vereinten Nationen bereiten daher für September 2013 den zweiten Dialog auf hoher Ebene über internationale Migration und Entwicklung vor. Die erste Diskussion hatte 2006 die UN-Vollversammlung in New York organisiert.

Wie Bela Hovy, Leiter der Sektion Migration in der DESA-Bevölkerungsabteilung erklärte, wird das Augenmerk darauf liegen, wie Regierungen die Migration besser für die Entwicklung nutzbar machen können und wie sie insbesondere seit 2006 mit Problemen umgegangen sind, die mit der Migration zusammenhängen. "Wir hoffen, dass der Dialog auf hoher Ebene im nächsten Jahr dazu führen wird, dass Strategien abgesteckt werden, die tatsächlich funktionieren und anderen empfohlen werden können", sagte Hovy.

Die UN verfolgt seit 2006 das Ziel, die Migration besser in den Dienst der Entwicklung zu stellen und ihre negativen Auswirkungen zu reduzieren. Hovy sprach mit IPS über die Folgen der internationalen Migrationsprogramme, die das Thema im Kontext der derzeitigen Wirtschaftskrise betrachteten.

IPS: Welche Fortschritte sind seit dem ersten Dialog auf hoher Ebene 2006 erzielt worden, um die positiven Auswirkungen der Migration auf die Entwicklung zu fördern?

Bela Hovy: Nach diesem Dialog in der Vollversammlung haben viel mehr Länder angefangen, Entwicklungsprogramme aufzulegen, um die Vorteile der Migration auszuschöpfen. Die G8-Staaten haben sich beispielsweise das spezifische Ziel gesetzt, über die kommenden fünf Jahre die oftmals sehr hohen Kosten für Geldüberweisungen um fünf Prozent zu senken, damit den Migranten ein größerer Anteil bleibt.

UN-Agenturen haben Programme aufgelegt, die sich mit diesen Aspekten befassen und Migranten dabei helfen, einen Beitrag zur Entwicklung zu leisten. Im vergangenen Jahr wurde eine neue Konvention angenommen, die zumutbare Arbeitsbedingungen für Haushaltshilfen festlegte. Obwohl dies keinen wirtschaftlichen Vorteil darstellt, ist dieses Personal nun besser geschützt. Dies nutzt auch der Entwicklung.

Manche Staaten, die niemals Einwanderungsländer gewesen sind, erproben jetzt Migrationsprogramme, die Einwanderern den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Einige europäische Länder setzen Programme für zirkuläre Migration um, die vorsehen, dass Einwanderer sich neue Kenntnisse aneignen, Geld verdienen und dann in ihre Länder zurückkehren.

IPS: Welche neuen Probleme könnten Migranten durch die globale Wirtschaftskrise entstehen?

Hovy: Die globale Wirtschaftskrise hat Druck erzeugt. Es gibt zwei sehr negative Auswirkungen. Zum einen ist die Arbeitslosenrate von Migranten in den Zielländern oftmals doppelt so hoch als die der Einheimischen. Arbeitslosigkeit ist die direkte Auswirkung, die die Krise auf Migranten und ihre Erwerbsfähigkeit hat. Außerdem bemerken wir leider Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung. Wenn sich die Dinge in einem Land zum Schlechteren wenden, werden Sündenböcke gesucht. Die Diskriminierung von Migranten hat in einigen Staaten sicherlich zugenommen, leider auch in den politischen Debatten.

Wir wissen, dass Migranten selten Jobs nachgehen, die auch für Einheimische geeignet sind. Die meisten Arbeiten, die von Einwanderern erledigt werden, würden die Einheimischen nicht annehmen, unter anderem deshalb, weil sie höher qualifiziert sind. Wir haben gesehen, dass die Überweisungen leicht zurückgegangen sind. Dennoch sind Migranten ein fester Bestandteil der Wirtschaft. Kurzfristig gibt es immer Höhen und Tiefen, aber die Nachfrage besteht weiterhin.

IPS: Wo sollten die Prioritäten bei dem Treffen 2013 liegen?

Hovy: Der am 3. August dieses Jahres veröffentlichte Bericht des UN- Generalsekretärs schlägt vier Themen für vier Runde Tische vor. Einmal soll es darum gehen, welchen Beitrag Migranten zur Entwicklung leisten. Das zweite Thema wäre, wie die reguläre Einwanderung erleichtert werden kann, die illegale Migration angegangen werden kann und die Menschenrechte der Migranten geschützt werden können. Drittens gilt es Antworten auf die Frage zu finden, wie das Thema Migration in die Entwicklungsstrategien eingepasst wird.

Das vierte Thema, das wir wichtig finden, ist die Steuerung von Migration. Es gibt Regeln für das globale Finanzwesen und den globalen Handel. Experten befassen sich mit der Frage, wie solche Regeln für die Migration aussehen könnten. Jede UN-Organisation befasst sich ein wenig mit Migration. Die Arbeit ist aber nicht gut koordiniert. Wie können wir die Mitgliedsländer besser und kohärenter unterstützen? Das ist eine der Schlüsselfragen bei dem vierten Thema, bei dem es um bessere Kooperation geht. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.un.org/en/development/desa/index.html
http://www.un.org/esa/population/unpop.htm
http://www.ipsnews.net/2012/09/qa-migration-now-a-key-part-of-the-global-economy/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2012