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FRAGEN/038: Vida da Voss Links zu der feministischen Organisation Sister Namibia (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 141, 3/17

Building the Feminist Movement in Namibia
Interview mit Vida da Voss Links

von Gertude Eigelsreiter-Jashari


Die NGO Sister Namibia mit Sitz in Windhoek setzt sich für Frauenrechte ein, gibt die gleichnamige Zeitschrift heraus und betreibt unter anderem eine Bibliothek. Sie wurde 1989 kurz vor der Unabhängigkeit Namibias gegründet, um Bewusstseinsbildung und Lobbying für Frauenrechte zu machen, den Status von Frauen zu verbessern und Gleichberechtigung in der Gesellschaft voranzutreiben. Im Geiste von Feminismus, Demokratie und Menschenrechten engagieren sich die Mitarbeiterinnen für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in den ökonomischen, politischen und privaten Bereichen der Gesellschaft. Gertrude Eigelsreiter-Jashari konnte die Geschäftsführerin der feministischen Organisation Sister Namibia, Vida da Voss Links, in Windhoek interviewen.


Frage: Du bist seit 2013 Geschäftsführerin von Sister Namibia. Wie schaut eure Arbeit konkret aus, und was hat sich seit der Gründung 1989 verändert?

Vida da Voss Links (VL): Seit unserer Gründung kann man unsere Arbeit in drei Phasen einteilen. Zu Beginn haben wir uns auf die Durchsetzung von Frauenrechten als Menschenrechte konzentriert. Wir haben uns für bessere und gleiche Löhne für Frauen eingesetzt. In der zweiten Phase ab 2010 führten wir die 50/50-Kampagne durch, forderten Gender Equality-Politiken, verbreiteten unser Manifest in den 14 Distrikten von Namibia und setzten uns für LBTIQ-Rechte ein.

Ein wichtiges Thema war auch der Kampf gegen Gewalt an Frauen, gegen FGM (harmful practices) und sexuell übertragbare Krankheiten. Wir arbeiteten besonders mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen. In der dritten Phase, ab 2013, mussten wir uns ein grundsätzlich neues Konzept überlegen. Einiges funktionierte nicht so gut. Das Büro im Norden Namibias musste geschlossen werden, die Finanzierung war nicht gesichert, Oxfam stoppte die Finanzierung.

Feminismus steht im Mittelpunkt unserer Agenda. Wir sehen die Frauen als change agents in ihrem Leben. Wir wollen sie durch Informationen und safety workshops zur Selbstverteidigung und Selbstermächtigung befähigen. Zusätzlich riefen wir Frauen über unsere Zeitschrift, soziale Medien, Fernsehen und Radio dazu auf, ihre positiven Geschichten zu erzählen - wie sie es geschafft haben, Hindernisse zu überwinden und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Frage: Mit welchen Herausforderungen seid ihr hauptsächlich konfrontiert, und wie überwindet ihr diese?

VL: Ein ganz wichtiger Punkt ist Sprache - und hier sind nicht die Sprachen der verschiedenen Ethnien gemeint, sondern dass bestimmte Begriffe im Sprachgebrauch vieler Frauen fehlen. Es gibt sprachliche Tabus in Zusammenhang mit Sexualität, HIV/AIDS oder auch Gewalt. In kleinen Gesprächsgruppen nähern wir uns diesen Themen und erarbeiten dann gemeinsam Begrifflichkeiten. So wird vieles, das das Leben der Frauen stark mitbestimmt, erstmals benannt, und es werden Erfahrungen dazu in der Gruppe ausgetauscht. Im nächsten Schritt können wir dann über Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten sprechen. So entsteht eine andere Sprachkultur.

Eine weitere ganz große Herausforderung sind Stereotype, die Frauen und Männern zugeschrieben werden. Diese versuchen wir ebenfalls in den Gesprächsgruppen zu thematisieren und über das Sprechen darüber diese auch aufzubrechen. Damit verbunden und als weiteren großen Bereich sehen wir die Kindererziehung. Für Veränderungen ist es notwendig, dass bereits bei der Erziehung der Buben und Mädchen angesetzt wird, damit sie gleichberechtigt erzogen werden. In den Frauenrunden schaffen wir dafür bei den Müttern ein entsprechendes Bewusstsein.

Frage: Was sind aktuell eure wichtigsten Projekte?

VL: Viele Frauen hier haben keine ökonomische Absicherung, kein sicheres Zuhause, keine Jobmöglichkeiten, nicht die kleinsten Reserven. Es ist daher in einem ersten Schritt wichtig, Informationen zu verteilen, Frauen mit Wissen auszustatten. Sie brauchen Informationen darüber, wie sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und es verändern können. Als erstes ist es wichtig, Workshops zur Selbstverteidigung abzuhalten.

Aufgrund ihrer prekären Situation lassen sich viele junge Mädchen von sogenannten Sugar Daddies aushalten. Wir ermutigen Eltern, den Mädchen Ausbildungen zu ermöglichen, damit sie von diesen Abhängigkeiten loskommen.

Jetzt haben wir das Projekt "wiederverwendbare Binden" in Angriff genommen. Junge Mädchen und Frauen versäumen oft Schule, Job oder andere Aktivitäten, weil sie während der Menstruation keine Möglichkeit haben, das Haus zu verlassen. Die Armut ist so groß, dass sie keine Binden oder Stofffetzen haben, um das Regelblut aufzusaugen. Wir haben daher wiederverwendbare waschbare Binden entwickelt und verteilen sie möglichst breit an junge Frauen.

Um mit unseren Anliegen und Projekten möglichst viele Frauen in allen Regionen und Volksgruppen zu erreichen, bilden wir Trainerinnen aus, die vor Ort die Workshops durchführen. Um das Projekt zu verbreiten, haben wir das Konzept Train the Trainer angewandt und hunderte Studentinnen ausgebildet, die in den Provinzen mit kleinen Frauengruppen Workshops abgehalten haben. Finanzieren konnten wir dies durch Unterstützung aus Schweden. Auch Frauen vor Ort sind in das Projekt eingebunden. Es gibt auch eine Zusammenarbeit mit der Regierung zum Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte.

Frage: Wie können junge Frauen aus der Armut und ökonomischer Abhängigkeit herauskommen?

VL: Anhand positiver Beispiele anderer Frauen. Frauen erzählen, wie sie ihr Leben bewältigen, wie sie Rückschläge überwinden, wie ihnen ökonomische Verbesserungen gelingen und wie sie Unabhängigkeit erreicht haben. Wenn andere Frauen und Mädchen diese Geschichten hören oder lesen, ermächtigt sie dies, selbst aktiv zu werden, etwas auszuprobieren. Daher verbreiten wir diese Geschichten über unsere Zeitschrift und - ganz wichtig - auch über das Radio in allen Regionen Namibias, zum Teil auch in unterschiedlichen Sprachen.

Frage: Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?

VL: Wir konzentrieren uns darauf, nachhaltig zu sein, das heißt, wir wollen verbessern, Veränderungen auf lokaler Ebene bewirken und Frauen eine Stimme geben. Wir wollen mittels Informationen, die wir auch in ländliche und entlegene Regionen verbreiten, Fortschritte erzielen. Wir verstehen uns als Agency of Change und versuchen Veränderungen - auch große und langfristige - mittels kleiner lokaler Frauengruppen zu erreichen.


Anmerkung: Die Zeitschrift Sister Namibia ist in der Frauen*solidarität im C3 - Centrum für internationale Entwicklung - in der Sensengasse 3, 1090 Wien verfügbar. Weitere Informationen zu den Projekten von Sister Namibia unter: https://sisternamibia.com/

Zur Interviewerin: Gertrude Eigelsreiter-Jashari ist Soziologin und Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Innsbruck. Im Mai 2017 war sie anlässlich einer Reise zur 12. Lutherischen Reformationsversammlung - 500 Jahre Reformation - in Windhoek, Namibia.


Infobox Namibia

Namibia ist ein Land mit verschiedensten Ethnien auf über 800.000 km² - fast zehnmal so groß wie Österreich - , war deutsche Kolonie und lange unter südafrikanischer Verwaltung. Die größte Volksgruppe sind die Ovambo. Amtssprache ist Englisch. Die Herero kämpfen bis heute um Anerkennung der Vernichtung durch die deutschen Kolonialtruppen in der Zeit zwischen 1904 und 1908 (als Völkermord). Erst 1990 konnte Namibia seine Unabhängigkeit erkämpfen; seitdem ist die SWAPO (South-West Africa People's Organisation) an der Regierung.

Durch die beiden großen Wüsten - Namib im Westen und Kalahari im Osten - ist das Land sehr dünn besiedelt (drei Einwohner_innen pro km², Österreich: 100). Armut und Ungleichheit (91 % besitzen unter 10.000 Dollar, 0,2 % über eine Million) sind im internationalen Vergleich sehr hoch; der Großteil des Landes ist nach wie vor in den Händen von ca. 3.000 weißen Großgrundbesitzer_innen. Im Ranking beim Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums liegt Namibia auf Platz 14 von 144 Ländern und damit so wie Südafrika vergleichsweise gut am afrikanischen Kontinent (Österreich: Platz 52).

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 141, 3/2017, S. 30-31
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2017

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