Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FAMILIE/234: Das Ende der Versorgerehe (DJI)


DJI Bulletin 4/2009, Heft 88
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Das Ende der Versorgerehe

Von Susanne Nothhafft und Barbara Thiessen


Das neue Unterhaltsrecht markiert einen historischen Wandel: Es stellt das Kindeswohl an erste Stelle und verlangt, dass Mütter nach einer Trennung rasch selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Doch fehlende Betreuungsangebote, eingeschränkte Karrierechancen und niedrige Einkommen können Kinder zum Risikofaktor für Frauen machen.


Die gesellschaftliche und familiale Realität ändert sich und mit ihr die Vorstellungen darüber, was gerecht ist. Im Unterhaltsrecht geht es um Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der Familie und der Ehe. Die entscheidenden Maßstäbe sind hier die familiale beziehungsweise (nach-)eheliche Solidarität und - soweit Kinder betroffen sind - das Kindeswohl. Die Suche nach einem vernünftigen und für die Bürgerinnen und Bürger akzeptablen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen von verheirateten und nicht mehr verheirateten Eltern sowie deren Kindern war in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder eine große Herausforderung für den Gesetzgeber und die Rechtsprechung. Das größte Streitpotenzial in der Praxis, aber auch in der politischen Diskussion, lag und liegt unverändert im Bereich des Ehegattenunterhalts. Schon bei der Scheidungsreform in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts musste der Gesetzgeber in einer äußerst kontrovers geführten Diskussion entscheiden, wie die Ansprüche auf nacheheliche Unterhaltszahlungen gestaltet sein würden. Zuletzt wurde das Gesetz im Jahr 2008 grundlegend reformiert.

Gegenwärtig wird etwa jede zweite bis dritte Ehe geschieden. Die höchste Scheidungsintensität findet sich zwischen dem fünften und siebten Ehejahr. Viele Geschiedene sind daher nach ihrer Scheidung noch so jung, dass sie zweite oder dritte Ehen beziehungsweise Beziehungen eingehen können (Statistisches Bundesamt 2009). Die Ehe wandelt sich damit von der Gemeinschaft auf Lebenszeit (§ 1353 S. 1 BGB) zu einer Gemeinschaft auf Zeit.


Mehr Rechte für Kinder und unverheiratete Eltern

Das neue Unterhaltsrecht gilt seit dem 1. Januar 2008. Es stellt das Kindeswohl stärker in den Vordergrund: Im Mangelfall haben nun die Unterhaltsansprüche von minderjährigen und volljährigen Kindern, die sich beispielsweise in der Ausbildung befinden, den Vorrang vor allen anderen Ansprüchen. Alle Elternteile, die Kinder betreuen, nehmen unabhängig von ihrem Familienstand Rang zwei ein. Damit wurden die Unterhaltsansprüche von geschiedenen Eltern eingeschränkt. Vor der Reform konnten Verheiratete bis zum achten Lebensjahr des gemeinsamen Kindes vollen Unterhalt einfordern, Unverheirateten stand dieses Recht nur drei Jahre lang zu. Die nun geltende Gleichstellung in der Rangfolge war in den Beratungen über die Gesetzesreform heftig umstritten. Kritiker sahen dadurch die Institution der Ehe in Frage gestellt. In dieser Auseinandersetzung setzte das Bundesverfassungsgericht allerdings im Februar 2007 einen Schlusspunkt: Die Benachteiligung unverheirateter Elternteile bei Unterhaltszahlungen wurde für verfassungswidrig erklärt.

Das zweite zentrale Element der Reform des Unterhaltsrechts ist die Stärkung der Eigenverantwortung der Geschiedenen. Grundsätzlich sind sie nun dazu verpflichtet, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Ausnahmen können sich aufgrund von Kinderbetreuung, Krankheit, Ausbildung oder sonstigen sogenannten Billigkeitsgründen ergeben. An Stelle des eher starren Altersphasenmodells, das bislang regelte, ab welchem Kindesalter dem Elternteil wie viel Erwerbsarbeit zuzumuten war, tritt also die Einzelfallgerechtigkeit. Es hängt von der Abwägung des jeweiligen Richters ab, wie er die Dauer einer Ehe oder die geleistete Familienarbeit im Verhältnis zum gesetzlich intendierten beruflichen Wiedereinstieg der unterhaltsberechtigten Geschiedenen gewichtet.

Nach der Neufassung des § 1570 BGB besteht ein Unterhaltsanspruch für mindestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes. Danach kommt eine Verlängerung nach Gesichtspunkten der Billigkeit in Betracht, für die sowohl kindbezogene als auch elternbezogene Argumente sprechen können. Kindbezogene Gründe liegen vor, wenn zum Beispiel die notwendige Betreuung auch unter Berücksichtigung staatlicher Hilfen nicht gesichert ist, weil Angebote der Ganztagesbetreuung fehlen oder ein Kind behindert oder krank ist. Elternbezogene Gründe sind Ausdruck eines Vertrauenstatbestandes, der zum Beispiel durch eine in der Ehe abgesprochene oder gelebte Rollenverteilung geschaffen wird. Den elternbezogenen Gründen wird allerdings ein geringeres argumentatives Gewicht zugeordnet.


Umbruch ohne Öffentlichkeit

Die Höhe der Unterhaltszahlungen orientiert sich nach neuem Recht nicht mehr nur an den vormaligen ehelichen Lebensverhältnissen, sondern kann auf den »angemessenen Bedarf« beschränkt werden. Grundsätzlich ist in § 1578 b BGB die Möglichkeit zur Befristung und Herabsetzung aller Unterhaltsansprüche vorgesehen. Korrigierend werden hier nur die Belange des betreuten gemeinsamen Kindes und mögliche »ehebedingte Nachteile« einbezogen. Fraglich ist, ob die neue Gesetzeslage die sogenannten Altfälle ausreichend berücksichtigt. In den Blick genommen werden sollen damit Frauen, die seit langen Jahren in einem männlichen Ein-Verdiener-System lebten und nun - quasi abredewidrig - nach den Maßstäben des neuen Unterhaltsrechts geschieden werden.

Mit der Gesetzesänderung wurde das gesellschaftliche Konstrukt »Alleinernährermodell« abgeschafft. Bei den hohen Scheidungsraten werden Ehepartner bei einer Familiengründung nun sehr genau darüber verhandeln müssen, wer wie viel Betreuungsarbeit leistet und wer wie lange Auszeiten von der Erwerbstätigkeit nimmt. Denn ein langer Berufsausstieg kann zu einem finanziellen Risiko werden. Für Deutschland als Europas letzter Bastion des »Alleinernährermodells« sind dies bemerkenswerte Veränderungen. Umso erstaunlicher ist es, dass viele Menschen über die Folgen der Reform für das Familienleitbild und für den Alltag in den Familien offenbar wenig wissen. Nach den Ergebnissen einer Umfrage mit dem Titel »Das neue Unterhaltsrecht«, die die Bertelsmann-Stiftung 2009 veröffentlicht hat, kennen nur 17 Prozent der befragten Mütter und Väter überhaupt die Details der Gesetzgebung (Bertelsmann 2009).


Kritiker befürchten »Vätereskapismus«

Bis heute fehlt eine breite öffentliche Diskussion über das neue Unterhaltsrecht, obwohl es gesellschaftlich relevante Fragen nach sich zieht. So geht das Gesetz beispielweise von gleichen Chancen von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt aus und unterstellt, dass Frauen ebenso wie Männer in der Lage sind, den Lebensunterhalt einer Familie zu sichern. Tatsächlich sind bis heute jedoch klassische Frauenberufe im Dienstleistungssektor als Zuverdienst konzipiert (Thiessen 2004). Vom Einkommen einer Verkäuferin, Verwaltungsangestellten, Erzieherin oder Altenpflegerin lassen sich keine Kinder versorgen. Hinzu kommt die hohe Anzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse in diesen Berufssparten (Bosch/Kalina/Weinkopf 2008).

Es wird zudem beobachtet werden müssen, ob und wie die neue Gesetzeslage zukünftig auf Berufswahl, Lebensplanung, Kinderwünsche, Eheschließungen und Ehestabilität Einfluss nimmt. Kritiker befürchten, dass das Unterhaltsrecht insbesondere bei einer Familienneugründung den »Vätereskapismus« befördert. Damit wird die Tendenz geschiedener Väter beschrieben, den Kontakt mit den Kindern aus erster Ehe abzubrechen. Positiv gewendet könnte das Gesetz aber auch zu mehr Chancengerechtigkeit führen, weil es Frauen und Männer gleichermaßen zum Selbstunterhalt verpflichtet und die Definition von Frauen über das Einkommen und den Status ihrer Männer obsolet werden lässt.


Dr. Susanne Nothhafft ist Juristin, Kriminologin und Mediatorin. Seit 2007 verstärkt sie das Team des Informationszentrums Kindesmisshandlung/Kindesvernachlässigung am Deutschen Jugendinstitut (DJI).
Kontakt: nothhafft@dji.de

Die Sozialpädagogin und Supervisorin Dr. Barbara Thiessen ist Grundsatzreferentin in der Abteilung »Familie und Familienpolitik« des Deutschen Jugendinstituts (DJI)
Kontakt: thiessen@dji.de


Literatur:

Bertelsmann Stiftung (2009): Das neue Unterhaltsrecht. Mehr Fairness nach der Trennung? Bielefeld

Bosch, Gerhard / Kalina, Thomas / Weinkopf, Claudia (2008): Niedriglohnbeschäftigte auf der Verliererseite. In: WSI-Mitteilungen, Heft 8/2008, S. 223-240

Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung, Eheschließungen und Ehescheidungen. Wiesbaden

Thiessen, Barbara (2004): Re-Formulierung des Privaten. Professionalisierung personenbezogener Dienstleistungsarbeit. Wiesbaden


*


Quelle:
DJI-Bulletin Heft 4/2009, Heft 88, S.16-17
Herausgeber:
Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI)
Nockherstraße 2, 81541 München
Tel.: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de/bulletins

Das DJI-Bulletin erscheint viermal im Jahr.
Außerdem gibt es jährlich eine Sonderausgabe in
Englisch. Alle Hefte sind kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010