Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/313: Nepal - Prostituierte fordern Platz in neuer Verfassung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juli 2011

Nepal: Prostituierte fordern Platz in neuer Verfassung

Von Sudeshna Sarkar

Prostituierte in Kathmandu demonstrieren für ihre Rechte - Bild: © Ghanshyam Chhetri/IPS)

Prostituierte in Kathmandu demonstrieren für ihre Rechte
Bild: © Ghanshyam Chhetri/IPS)

Kathmandu, 13. Juli (IPS) - Immer wenn Bijaya Dhakal Menschen trifft, um ihnen reinen Wein einzuschenken, wird das Vorhaben zur Mutprobe. Doch die Leiterin der ersten und einzigen Prostituiertenvereinigung Nepals weiß, dass sie sich und den Mitgliedern ihrer Organisation am ehesten hilft, wenn sie in die Offensive geht und von Dingen berichtet, die viele Nepalesen gar nicht wissen wollen: von Armut und Diskriminierung, die das älteste Gewerbe der Menschheit am Leben erhält.

Dhakal ist 35 Jahre alt, Witwe und Mutter zweier Kinder. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, die Familie mit dem mageren Lohn einer Fabrikarbeiterin durchzubringen, begann sie als Prostituierte zu arbeiten. Acht Jahre lang ließ sie ihre Familie in ihrem Heimatdorf in dem Glauben, dass sie in der Hauptstadt Kathmandu für eine Nichtregierungsorganisation arbeiten würde.

"Wir Sexarbeiterinnen werden von der Polizei drangsaliert und hin und wieder von Kunden ausgeraubt oder verprügelt", berichtet Dhakal. "Und nie dürfen wir uns beklagen, denn wird bekannt, womit wir unser Geld verdienen, werden wir schlecht behandelt: Unsere Vermieter schmeißen uns raus, und Ärzte und Schwestern in den Krankenhäusern weigern sich, uns zu behandeln."

Dhakal zufolge lässt sich für die Prostituierten im Lande nur dann etwas bewegen, wenn sie aus der Grauzone heraustreten und die Gesellschaft mit sich und ihren Problemen konfrontieren. Inspiriert durch das offensive Auftreten von Nepals Schwulenbewegung gründete Dhakal die Organisation 'Jagriti Mahila Sangh' (Erwachen) mit dem Ziel, den offiziell auf 28.000 geschätzten Prostituierten des Landes zu einem besseren Leben zu verhelfen.


Von der Schwulenbewegung angespornt

"Ich sah alle diese männlichen Huren, Transsexuellen und Menschen mit HIV/Aids, die sich öffentlich zu ihren sexuellen Neigungen oder Krankheiten bekannten und mutig die gleichen Rechte wie alle anderen Bürger einforderten. sagte die Jagriti-Leiterin in dem Büro der Organisation in Kathmandu. "Sie haben mir Mut gemacht."

Heute ist Jagriti Mahila Sangh zu Jagriti Mahila Mahasangh ausgewachsen, einer Vereinigung von 26 Prostituiertenverbänden in 23 Bezirken. Finanziert werden die Hilfsprojekte in erster Linie vom UN-Entwicklungsprogramm, der britischen Entwicklungsbehörde und dem Kinderhilfswerk 'Save the Children'.

Dhakal zufolge fühlen sich auch die Geber im Kontakt mit Nepals Prostituierten unbehaglich. "Sie ziehen es vor, mit den HIV/Aids-Gemeindegruppen zusammenzuarbeiten. Sie fürchten wohl, dass wir, die wir keine Bildung genossen haben, nicht in der Lage sein könnten, Projekte durchzuführen. "

Nepals Sexarbeiterinnen wollen in der neuen Verfassung vom 28. August berücksichtigt werden. Doch die Chancen sind nach Ansicht Dhakals vergleichsweise gering. "Kein Mensch fragt uns, was wir wollen", beschwert sich Shobha Dangol, Generalsekretärin der Frauenorganisation 'Nari Chetana Samaj'. "Auch hat uns niemand den Verfassungsentwurf gezeigt."

Die Frauen wollen vor allem Sicherheitsgarantien. "Sexarbeiter sollten ihrem Gewerbe nachgehen können, ohne ständig von den Sicherheitskräften belästigt zu werden", fordert Dangol. "In Kathmandu spitzt sich die Lage immer weiter zu. Werden wir abends mit Kondom in der Tasche angetroffen, bedeutet das Gefängnis. Die Freier hingegen werden sofort wieder laufen gelassen."

Jagriti setzt sich für die Einführung von Rotlichtmilieus wie in Thailand ein - mit Gesundheitszentren. Außerdem kämpft die Organisation für ein Ende der Diskriminierung ihrer Mitglieder.


Rechtliche Anerkennung der Prostitution gefordert

Rup Narayan Shrestha, ein Richter am obersten Gericht Nepals, setzt sich für das Forum für Frauen, Recht und Entwicklung (FWLD) ein und steht auch Jagriti rechtlich zur Seite. Er führt die Unsichtbarkeit der nepalesischen Sexarbeiterinnen vor allem darauf zurück, dass ihre Arbeit nicht rechtlich anerkannt ist.

"Sexarbeit ist in Nepal nicht verboten, wohl aber das Führen von Bordellen und Zwangsprostitution", sagt er. "Nicht das Gesetz ist schuld daran, dass Prostituierte belästigt werden, sondern die Polizei, die die Frauen mit der Begründung, sie störten die öffentliche Ordnung, verhaftet."

Shrestha zufolge hat sich die Gesetzeslage zugunsten von Nepals Sexarbeiterinnen durchaus verbessert. Bis 2002 sah das Gesetz für Vergewaltiger von Prostituierten ein Bußgeld von umgerechnet sieben US-Dollar und eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr vor. Seitdem jedoch die FWLD-Gründerin Sapana Pradhan Malla das Gesetz vom Obersten Verfassungsgericht überprüfen ließ, wurde die Haftstrafe auf bis zu zehn Jahre hoch gesetzt.

Kritik am Umgang der Polizei kommt auch von Gesundheitsexperten, die gerade mit Blick auf das Aids-Infektionsrisiko eine Sensibilisierung der Sicherheitskräfte verlangen. Dem Nationalen Zentrum für Aids und übertragbare Geschlechtskrankheiten (NCASC) zufolge waren 2009 mehr als 63.500 Nepalesen HIV-positiv. Frauen hatten daran einen Anteil von 28,6 Prozent, von denen 605 beziehungsweise ein Prozent Sexarbeiterinnen waren. Jedes Jahr kommt es im Durchschnitt zu mindestens 4.700 Neuinfektionen und etwa gleich vielen Todesfällen.

"Die HIV-Infektionszahlen sind nur die Spitze des Eisberges", sagte NCASC-Chef Krishna Kumar Rai. Berücksichtigt worden seien nämlich ausschließlich Personen, die die Krankenhäuser aufgesucht hätten. "Razzien führen jedoch nur dazu, HIV-positive Prostituierte in den Untergrund zu treiben", sagte der Experte. "In solchen Fällen ist es kaum möglich, die Betroffenen aufzuspüren oder zu behandeln." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.fwld.org/
http://www.ncasc.gov.np/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56439

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Juli 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2011