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FRAUEN/342: Frauenorganisationen und Aid Effectiveness (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 117, 3/11

"Unsere Vision ist eine Welt, in der keine Hilfe mehr mötig ist!"
Frauenorganisationen und Aid Effectiveness

von Brita Neuhold


Vom 29. November bis zum 1. Dezember dieses Jahres soll in Busan (Südkorea) auf Initiative der OECD das 4. High Level Forum (HLF IV) zum Thema Aid Effectiveness stattfinden. Im Folgenden ein Überblick zum Hintergrund des Themenkomplexes "Wirksamkeit von Hilfe" und zu den diesbezüglichen Forderungen der Frauenbewegungen.


Im Zusammenhang mit diesem Großereignis kann bereits auf eine längere Entwicklung zurückgeblickt werden: Im Jahr 2003 wurde in Rom ein High Level Forum on Harmonisation hochgezogen, das nachträglich als HLF I bezeichnet wurde. Es war bereits von dem Wunsch der Geberländer innerhalb der OECD getragen, sicherzustellen, dass ihre Geldtransfers in die materiell armen Länder der Erde Früchte tragen sollten. Im Jahr 2005, bei der Pariser Konferenz , dem HLF II, aus der die Parise Erklärung (PD) hervorging, gab bereits der von der OECD formulierte Begriff der Aid Effectiveness den Titel vor. Anstoß war damals bereits die Sorge, dass die Millennium Development Goals nicht verwirklicht werden könnten. 2008 fand in Accra das HLF III statt, bei dem sich die TeilnehmerInnen auf die Accra Agenda of Action als Programm für die Umsetzung der in der Erklärung genannten Grundsätze und Ziele einigten. Die Verhandlungen in Busan sollen jetzt dazu dienen, eine Bestandsaufnahme und abschließende Evaluierung der bisherigen Umsetzungsbemühungen des Konzepts der Aid Effectiveness zu erstellen.


Mängel und Richtungsänderungen

Sowohl die Pariser Erklärung als auch die Accra Agenda of Action stellen zweifellos wichtige Impulse für die Hinterfragung und Abstimmung der entwicklungspolitischen Ziele von Geber- und Empfängerländern dar und enthalten begrüßenswerte Ziele. Trotzdem ist nicht zu leugnen, dass in allen Prozessen und Dokumenten zu Aid Effectiveness Theorien und Strategien westlicher Regierungen im Vordergrund stehen: Das Schwergewicht liegt auf technischen Aspekten des Managements; die Einbindung der "Hilfe" in das vorherrschende neoliberale Wachstums- und Wirtschaftsmodell wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Die organisatorischen Anstöße gingen zudem immer von der OECD aus.

In dieser Hinsicht haben allerdings seit 2005 nicht zu unterschätzende Veränderungen stattgefunden: So hat sich einerseits die Zusammensetzung der Gruppe der donors stark gewandelt, es sind Regierungen und Gruppierungen von und innerhalb sogenannter Entwicklungsländer - Beispiele dafür sind Nigeria und Indien -, aber auch Einzelpersonen, wie Bill Gates, dazugekommen. Dadurch hat sich auch der Spielraum der OECD verengt und bezieht sich nur mehr auf 82% der gesamten Hilfeleistungen.

Stark verändert hat sich auch die Rolle der NGOs, die in Rom und Paris noch in sehr geringem Maße einbezogen waren. In Accra waren diese innerhalb des Civil Society Parallel Forum und auch innerhalb vieler Regierungsdelegationen sehr aktiv. Tonangebend waren und sind dabei die BETTER AID-Plattform und das Open Forum for CSO Development Effectiveness. Letzteres hatte im September 2010 die Istambul Development Effectiveness Principles verabschiedet. Aufgrund ihres nachdrücklichen Auftretens in Accra haben die VertreterInnen der Zivilgesellschaft denn auch erreicht, dass sie voll in den Vorbereitungsprozess für Busan und auch in den Verhandlungsprozess daselbst einbezogen sein werden. Sie kritisieren grundlegend das Konzept der Aid Effectiveness und setzen sich für einen auf Grundrechten basierenden Begriff der Development Effectiveness ein.


Weichenstellungen aus der Genderperspektive

Frauenbewegungen und Frauenorganisationen waren in Accra bereits sehr stark vertreten und hatten ein eigenes Accra International Women's Forum gegründet. Ihr Engagement fand einen deutlichen Niederschlag in dem Schlussdokument, wobei der Vergleich mit der Pariser Erklärung einen echten Fortschritt darstellt. In dieser war nur in einem Paragraphen (42) von gender equality die Rede, wobei diese als ein wichtiges Querschnittthema bezeichnet wurde.

Demgegenüber stellt das Aktionsprogramm von Accra eine beeindruckende Verbesserung dar. Gleich zu Beginn, in Paragraph 3, wird hervorgehoben, dass Gleichberechtigung der Geschlechter, Respekt vor den Menschenrechten und ökologische Nachhaltigkeit Eckpfeiler in den Bemühungen um arme Frauen, Männer und Kinder darstellen und dass diese Fragen in einer systematischeren und kohärenteren Weise als bisher behandelt werden müssen. In Paragraph 13c wird die Notwendigkeit hervorgehoben, alle entwicklungspolitischen Politiken und Programme auf internationale Verpflichtungen zu oben genannten Zielen abzustimmen. Nach diesen umfassenden Bekenntnissen werden in nachstehenden Paragraphen konkrete Forderungen zu Detailfragen gestellt, wie zum Schutz von Frauen und Kindern in bewaffneten Konflikten (21c) und zur Wichtigkeit von Daten, die nach verschiedenen Gesichtspunkten aufgeschlüsselt sind, wobei das Geschlecht an erster Stelle genannt wird (23a).


Frauenrechte als Ansatzpunkt

Zur Vorbereitung von Busan sind entwicklungspolitische Frauennetzwerke und Frauenrechtsorganisationen seit geraumer Zeit sehr aktiv. So haben sie schon im Frühjahr mit der Erarbeitung gemeinsamer Strategiekonzepte begonnen, versuchen in die Verhandlungsunterlagen Einsicht zu nehmen und ihre Standpunkte in Gremien, die die Überlegungen auf der offiziellen Ebene beeinflussen könnten, wie in dem Gendernet der OECD, vorzubringen. In diesen Bemühungen haben Befürchtungen Platz gegriffen und sich mehr und mehr erhärtet, dass ihre Anliegen nicht mehr, sondern sogar noch weniger als in Accra berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund fand vom 9. bis 10. Juni eine wichtige Veranstaltung in Brüssel statt. Die Initiative dafür ging von WIDE International und von Frauenrechtsorganisationen innerhalb von BETTER AID aus(1). Zwischen 60 und 70 Frauen nahmen an diesem Treffen teil und gaben sich sowohl als bedrückt als auch als kämpferisch aus. Den Hintergrund für diese Stimmung sahen sie in dem allerorten festzustellenden Backlash im Hinblick auf genderspezifisches Denken, in der sinkenden Gebe- und Hilfsbereitschaft und in der allgemeinen aid effectiveness fatigue. Insgesamt waren sie skeptisch, was die Einbindung von Anliegen der Gendergerechtigkeit innerhalb der gesamten Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik, also auch innerhalb der Privatwirtschaft und was die Errichtung der immer wieder zitierten New Aid Archtitecture betrifft.

In ihrer abschließenden Erklärung befürworten sie ein neues System der Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik, das an internationale Verpflichtungen zur Umsetzung von Menschenrechten, auch von Frauenrechten, anknüpft. Dabei fordern sie explizit die diesbezüglichen Verpflichtungen der Privatwirtschaft ein. Was die Planung und Abwicklung der Hilfe betrifft, so setzen sie sich für die Verlegung dieser Aufgaben von der OECD in die Vereinten Nationen ein. Insbesondere Überlegungen zu Aid Effectiveness sollten innerhalb des im Jahr 2007 angelaufenen Development Cooperation Forum (DCF) angestellt werden. Sie plädieren für die Nutzung weiblichen Wissens und feministischen Gedankenguts in allen Bereichen der Entwicklungspolitik und für die stärkere finanzielle Unterstützung ihrer Anliegen. Den von der OECD strapazierten Begriff der "wechselseitigen Verantwortung" (mutual accountability) erweitern sie zur "vielfältigen Verantwortung", in deren Rahmen auch NGOs, Frauenrechtsorganisationen, politische Vertretungen, aber auch Unternehmen der Privatwirtschaft, teilnehmen und zur Rechenschaft gezogen werden können.


Noch viele Hindernisse "on the road to Busan"

Wie wichtig und schwierig der Einsatz der Frauenrechtsorganisationen für die Einbeziehung ihrer Anliegen in die Verhandlungen in Busan ist, zeigte sich schon in den Entwicklungen kurz nach der beschriebenen Tagung. So zeigte bereits der Anfang Juli erschienene erste Entwurf für das Schlussdokument von Busan, dass die OECD zwar sprachlich von der Zivilgesellschaft gelernt hat - sie verwendet jetzt auch den Begriff der Development Effectiveness -, dass aber Menschenrechte und Gender Equality nur sehr am Rande vorkommen. Es wird also in Busan sehr großer Anstrengungen bedürfen, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und Rechte von Frauen nicht wieder einmal unter den (Verhandlungs)Tisch fallen.


Anmerkungen:
(1) Dazu gehörten: Association of Women's Rights in Development (AWID), African Women's Development and Communication Network (FEMNET), Asia Pacific Forum on Women, Law and Development (APWLD) und Coordinadora de la Mujer/Bolivia.


Zur Autorin:
Brita Neuhold ist Politikwissenschafterin und Expertin für Gender und Entwicklung. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 117, 3/2011, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2011