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FRAUEN/373: Die sozialistische chinesische Arbeiterin (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 118, 4/11

Die sozialistische chinesische Arbeiterin
Ihre Pornografisierung und Degradierung zur Witzfigur

Von Astrid Lipinsky


Die sozialistische Arbeiterin - chinesisch nügong - ist eine Erfindung der Volksrepublik China und genau wie ihr männliches Pendant Teil der führenden Klasse im chinesischen Staat. In Artikel 1 der geltenden Verfassung von 1982 heißt es: "Die Volksrepublik China ist ein sozialistischer Staat, [...] der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht."
Im Folgenden beschäftigt sich die Autorin mit der Geschichte eines Klischees und den realen Lebensumständen von chinesischen Arbeiterinnen.


Vor Gründung der Volksrepublik gab es zwar den Arbeiter (chinesisch gongren), aber die in Heimarbeit oder in den Fabriken der Kolonialmächte schuftenden Frauen fielen nicht als Teil dieser Kategorie ins Auge. Erst nach 1949 wurde die außerhäusliche Berufsarbeit einer möglichst großen Anzahl von Frauen aktiv eingefordert und propagiert. Die niedrigen Löhne machten die Berufstätigkeit beider Eheleute nötig; umfassende sozialpolitische Maßnahmen wie Ganztagskinderbetreuung ermöglichten auch Frauen die außerhäusliche Berufsarbeit.


Damals ...

"Sozialistische Arbeiterin" ist ein Ehrentitel: Im maoistischen China waren nügong die in staatseigenen und kollektiven Unternehmen umfassend sozialversichert lebenslang beschäftigten Frauen. Zwar blieben sie gegenüber den Männern in der Minderheit, sie hatten aber Anspruch auf Fortbildung und konnten die Karriereleiter im Betrieb hochsteigen. Auch ohne Karriere identifizierte sich die Arbeiterin mit ihrem Betrieb. Zwar waren die Gehälter niedrig, aber das galt für Männer und Frauen, und auch, dass davon abgesehen der Betrieb umfassende Lebensfürsorge garantierte: er half bei der Suche nach einem Ehepartner, kümmerte sich um Kindergarten und Schule für die Kinder, organisierte gemeinsame Kulturveranstaltungen und garantierte ein sorgenfreies Alter.

Schon Mao Zedong hatte gesagt, dass Frauen alles können, was Männer machen. Deshalb lenkten Frauen Baustellenkräne hoch über Shanghai, oder sie saßen am Schaltpult des Elektrizitätsnetzes in einer von Chinas Dutzenden Millionenstädten. In den "vier Lebensperioden", in denen sich die Arbeiterin vom Arbeiter unterschied, wurde sie umfassend gesetzlich beschützt: Bis heute gibt es ausführliche Bestimmungen zu den Rechten der Frauen während Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Stillphase. Dazu gehören vor allem Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz, denn ohne die sozialistische Arbeiterin war theoretisch ein China mit eben diesem Attribut nicht denkbar.


... und heute

Die sozialistische Arbeiterin hat Chinas Wirtschaftsreformen überlebt - aber wie? Die Werbung verkleidet sie in Bikini und High Heels; ihre Attribute - Schutzhelm und schweres Werkzeug - sind mit Sicherheit nicht für die Baustelle bestimmt. (Tatsächlich handelt es sich um Bikini-Werbung). Der Cartoon zum Missbrauch ihrer Vergünstigungen durch Schwangerschaft findet sich ausgerechnet auf der Homepage der "sozialistischen" Einheitsgewerkschaft. Aussage: Frauen und ihre "vier Perioden" sind ein unternehmensschädlicher Kostenfaktor, zumal dann, wenn sie auch noch auf dieses ihr Recht pochen.

Der Staat ist hin- und hergerissen: Einerseits ist das weibliche Gebären gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber andererseits mag sich kein Unternehmer mit solchen geschlechtsspezifischen Kosten belasten. Konfrontiert mit der Weigerung der Betriebe, überhaupt Frauen einzustellen, erfand China 1999 die "Gebärversicherung". Unabhängig von der Zahl der weiblichen Beschäftigten, sollte jedes Unternehmen angelehnt an die Gesamtzahl seiner ArbeitnehmerInnen in den Fonds einzahlen, aus dem dann wiederum die frauenspezifischen Zusatzkosten beglichen würden. Die Beiträge sollten 1% der Lohnsumme nicht überschreiten. Es handelte sich allein um einen Arbeitgeberbeitrag; die Arbeiterinnen zahlen nicht in den Fonds ein. Die Versicherung deckt einen Zeitraum von bis zu drei Monaten und alle Ausgaben von vorgeburtlichen Untersuchungen bis zu Geburt und Nachsorge. Angeblich deckt sie bereits eine Mehrzahl der Arbeiterinnen-Schwangerschaften und Mutterschaftsurlaube ab. Andererseits hört man aber hauptsächlich von Arbeiterinnen, die bei ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub ihren ursprünglichen Arbeitsplatz oder gleich ihre gesamte Firma nicht mehr vorfinden.

Das Idealbild der sozialistischen Arbeiterin überlebt in der Kunst: Ende 2005 erscheint der Roman "Nügong" der chinesischen Autorin Bi Shumin. Populär wird er umgeschrieben zur Fernsehserie, die in 20 Folgen ab September 2007 läuft. Der Staat, dessen strikter Kontrolle Gedrucktes und vor allem das TV mit seiner enormen Reichweite unterliegen, zeigt die sozialistische Arbeiterin, und zwar nicht etwa als verklärte Erinnerung, sondern im Umgang mit aktuellsten Problemen. Und natürlich löst die TV-Nügong diese Probleme, und zwar im regierungsoffiziellen Sinn. Interessant ist, dass sie das moralisch überlegen macht, aber nicht glücklich. Die Korrektheit verdammt sie zu beinahe lebenslanger Armut, aber am Ende doch zu wirtschaftlichem Erfolg.


Zunehmende Prekarisierung

Das ist die sozialistische Arbeiterin von heute: Sie ist Ende 40 wie viele der im Reformchina von ihren Unternehmen entlassenen Frauen. Sie ist unglücklich verheiratet und wird von ihrem Mann betrogen und verlassen. Dennoch gibt sie der emotionalen Alternative, der Zuneigung zu ihrer Jugendliebe, nicht nach. Dass sie eine Tochter hat, wiegt die nur noch auf dem Papier bestehende Ehe auf. Wichtiger als das Privatleben ist der Beruf. Die TV-Heldin findet sich, wie viele ihrer Altersgenossinnen, auf der Straße wieder. Die Regierung kritisiert ihre Frauen dafür, jetzt die berufliche Karriere einfach aufzugeben, und Bi Shumins Figur tut das natürlich nicht. Anders als viele Chinesinnen ist sie sich nicht zu fein, nach der einzigen Alternative zu greifen, die ihr der Chinesische Frauenverband und die Gewerkschaft vorschlagen können: Sie wird Haushaltsdienstleisterin, sprich: Sie geht putzen. Ein privater (neureicher) Arbeitgeber tritt an die Stelle des Staatsbetriebes.

Die Mehrzahl der neuerdings arbeitslosen sozialistischen Arbeiterinnen würde diese Karriere als inakzeptablen Gesichtsverlust empfinden. Deshalb muss die TV-Figur noch etwas daraus machen: Sie gründet einen eigenen Haushaltsdienste-Betrieb und wird Chefin von mehreren Angestellten. Dafür auf die finanzielle Hilfe von untreuem Ehegatten oder der Jugendliebe zurückzugreifen, lehnt sie ab. Frau schafft Vergleichbares allein, und nicht nur mit der Unterstützung Dritter (oder des Staates). Hier ist es, das Ideal der "sozialistischen Arbeiterin" im China des 21. Jahrhunderts: Unternehmensgründerin. Selbstständig. Dienstleistend (gong). Das "Sozialistische" dagegen hat China neu definiert als "sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Besonderheiten": frei vom Staat.

Die TV-Arbeiterin Pu Xiaoti ist in Chinas staatswirtschaftlicher Phase groß geworden. Damals wurden die Arbeitsplätze zentral zugeteilt, und junge Frauen wie Pu Xiaoti landeten in Großbetrieben am Fließband und wurden nügong. Was ist mit Pu Xiaotis Tochter, die gegenwärtig erwachsen wird? Wenn sie einen Unternehmens-Fließbandplatz findet, dann als dagongmei, wie zahlreiche Arbeitsmigrantinnen vom Land. Sie arbeitet nicht mehr, sondern "jobbt" (chinesisch dagong) bloß. Den Unternehmen ist die sozialistische Arbeiterin viel zu teuer. Lieber beschäftigen sie Jobberinnen: häufig ohne Arbeitsvertrag, kurzfristig kündbar, ohne Sozialversicherungsansprüche und ohne Jobgarantie bei Schwangerschaft oder Geburt.

Obwohl die dagongmei, die jobbende kleine Schwester, jung auftritt, ist sie es nicht immer, wenn auch meistens. Ist sie älter, degradiert sie dennoch die Bezeichnung zur nachgeordneten Kleinen. Wer dagongmei ist, kann nicht den Anspruch der Professionalität erheben und ist für keine Berufskarriere vorgesehen. Der Aufstieg der dagongmei zur nügong ist unvorstellbar. Wer heute in China am Fließband steht, trägt keinen Ehrentitel mehr.


Zur Autorin:
Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien mit den Schwerpunkten Gender und Recht. Von November 2011 bis Februar 2012 vertritt sie die Juniorprofessur "Modern China Studies" an der Universität Würzburg. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 118, 4/2011, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2012