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FRAUEN/411: Uganda - Eine Stimme für Kindersoldatinnen, Ex-Kombattantin gründet NGO (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2012

Uganda: Eine Stimme für Kindersoldatinnen - Ex-Kombattantin gründet NGO

von Isabelle de Grave



New York, 19. Juni (IPS) - "Als ich noch zur Schule ging, wurde ich von der 'Lord's Resistance Army' (LRA) zusammen mit weiteren 139 Mädchen verschleppt", erzählt Grace Akallo. "Ich lebte sieben Monate in Gefangenschaft, aber ich überlebte, floh und kam wieder nach Hause."

Vor zwölf Jahren war die Uganderin Akallo Joseph Konys brutaler Rebellengruppe LRA in die Hände gefallen. Heute ist sie verheiratet, hat ein Kind, einen Universitätsabschluss und eine Mission: den Kindersoldatinnen eine Stimme zu geben. Dazu hat sie eine Nichtregierungsorganisation gegründet.

Die LRA wurde in den achtziger Jahren in Uganda gegründet und ist mittlerweile in der Demokratischen Republik Kongo aktiv. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht kommt zu dem Schluss, dass sie nach wie vor schwerste Menschenrechtsverbrechen an Kindern begeht.

"Wenn Mädchen entführt werden, behandelt man sie genauso wie die Jungen", weiß Akallo. "Sie werden geschlagen und misshandelt, zu Soldaten ausgebildet, mit AK-47-Gewehren ausgestattet und zum Töten gezwungen."


Menschliche Schutzschilde

Die meisten Kinder kämpfen an vorderster Front, während ihre Anführer sich hinter ihnen verschanzen. "Deine Munition ist aufgebraucht? Dann erschießt Du Deinen besten Freund, um mehr Kugeln zu bekommen." Die Anführer missbrauchten die Kinder auch als menschliche Schutzschilde, berichtet Akallo.

Im Unterschied zu den Jungen müssen die Kindersoldatinnen zudem sexuelle Dienste leisten. "Auch ich wurde missbraucht", sagt Akallo. "Ich hatte immerhin das Glück, nicht mit einem Kind oder HIV oder anderen Viren nach Hause zurückzukehren."

Wie die ehemalige Kindersoldatin erzählt, hatten viele Mädchen in der Gefangenschaft ein Kind geboren. Einige Kindermütter hätten mit dem Baby auf dem Rücken kämpfen müssen, andere seien sogar auf dem Schlachtfeld niedergekommen.

Die Nöte der Kindersoldatinnen werden kaum thematisiert, der Missbrauch von den Rebellenführern vertuscht, indem sie die Mädchen als "Ehefrauen" oder "Schwestern" ausgeben. Männliche Kombattanten werden für ihren Kampfeinsatz häufig mit Mädchen belohnt. Für Guerillachef Kony sollen bis zu 50 junge Frauen gleichzeitig in seinem Haushalt gearbeitet haben.

Akallo zufolge müssen die Mädchen meist nicht nur einem, sondern gleich mehreren Männern sexuell gefügig sein. Außerdem werden sie zu Hausarbeiten herangezogen, kochen und schaffen die Vorräte heran. Obwohl sie in jeder Hinsicht ausgebeutet werden, sind sie weitgehend unsichtbar geblieben, wenn es um Entwaffnungs- und Reintegrationsmaßnahmen geht.

"Wenn man jemanden entwaffnet, fordert man ihn auf, seine Waffen abzugeben. Viele Kindersoldatinnen haben aber keine Waffe. Sie wurden als Sexsklavinnen missbraucht. Daher glaube ich nicht, dass die Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration erfolgreich waren", meint Ugoji Adanma, Gründerin der Stiftung 'Eng Aja Eze', eine Hilfsorganisation für weibliche Überlebende bewaffneter Konflikte.

Matthew Brotmann von der 'Pace Law School' nahe New York zufolge hat das Völkerrecht die Soldatinnen auf eklatante Weise außen vor gelassen. Die rechtlichen Instrumentarien und politischen Richtlinien berücksichtigten nicht die unterschiedlichen Geschlechter, erklärte er Anfang Juni auf einer Fachtagung.

In dem Gerichtsverfahren gegen den kongolesischen Warlord Thomas Lubanga Dyilo wurde die Rekrutierung von Kindern zwar als Kriegsverbrechen gewertet. Dennoch wurden Kommandeure von Lubangas Miliz, der Union kongolesischer Patrioten (UPC), nicht wegen Vergewaltigung zur Rechenschaft gezogen.


Finanzielle Hilfen knapp

Die Reintegration von Kindersoldatinnen gehört zu den größten Herausforderungen. Doch es fehlt an finanziellen Mitteln. Obgleich Geber rasch in Notsituationen reagieren, fällt die Wiedereingliederung oft in eine Grauzone zwischen Not- und Entwicklungshilfe.

"In Sierra Leone, wo wir an Rehabilitierungskliniken gearbeitet und uns um Bildungschancen für Mädchen bemüht haben, lautete meine Botschaft: Nehmt einen Stift zur Hand und kein Gewehr", so Rima Salah, die ehemalige Vize-Exekutivdirektorin des Weltkinderhilfswerks UNICEF.

"Weder männliche noch weibliche Kindersoldaten sind in der Gesellschaft willkommen. Für die Mädchen ist die Lage schwieriger, wenn sie ungewollt Kinder zur Welt gebracht haben", berichtet Grace Akallo. "Die Jungen können wieder zur Schule gehen und lernen, während die jungen Mütter entweder einen Babysitter finden oder zu Hause bleiben müssen."

Kürzlich hat Akallo im Norden Ugandas die Nichtregierungsorganisation 'United Africans for Women and Children Rights', die sich für die gesellschaftliche Eingliederung von Kindersoldaten einsetzt gegründet. Gerade die Mädchen seien auf Hilfe angewiesen. Ansonsten liefen sie Gefahr, erneut sexuell ausgebeutet zu werden: diesmal als bezahlte Prostituierte. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.africanwomenrights.org/
http://engajaezefoundation.org/
http://www.law.pace.edu/
http://www.ipsnews.net/2012/06/former-girl-soldiers-trade-one-nightmare-for-another/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012