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FRAUEN/469: Haiti - Mehr Rechte für Vergewaltigungsopfer, Regierung plant Strafrechtsreform (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2013

Haiti: Mehr Rechte für Vergewaltigungsopfer - Regierung plant Strafrechtsreform

von Ansel Herz


Bild: © Ansel Herz/IPS

Frauen in einer haitianischen Zeltstadt fordern mehr persönliche Sicherheit
Bild: © Ansel Herz/IPS

Port-au-Prince, 11. März (IPS) - In Haiti steht eine Reform des Strafrechts an, die es Vergewaltigungsopfern erleichtern soll, gegen die Täter vor Gericht zu gehen. Künftig sollen sexuelle Übergriffe in dem Karibikstaat im Einklang mit dem Völkerrecht behandelt werden. Zudem ist geplant, in bestimmten Fällen Abtreibungen nach Schwangerschaften infolge von sexuellem Missbrauch zu erlauben und Vergewaltigung in der Ehe zu ahnden.

Die Änderungen sehen auch Rechtsbeihilfen für Opfer vor, die sich keinen Anwalt leisten können. Und zum ersten Mal in der Geschichte des Landes soll die Diskriminierung sexueller Minderheiten unter Strafe gestellt werden.

"Mit dem Strafgesetz ist zwar erst ein kleiner aber dafür ein guter Anfang getan", meint Rashida Manjoo, die UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, im Februar auf einer Konferenz, die sich mit den Reformen befasste.

Rechtsanwälte und Aktivisten sind zuversichtlich, dass das haitianische Parlament den dreiseitigen Reformentwurf noch in diesem Jahr billigen wird. Regierungschef und Justizminister haben bereits erklärt, dass sie die Änderungen unterstützen. Manjoo wies aber darauf hin, dass das Gesetz ohne eine angemessene Finanzierung durch die Geber und eine Mitwirkung der Öffentlichkeit nicht vollständig umgesetzt werden könnte.

In den drei Jahren seit dem Erdbeben 2010 ist sexuelle Gewalt ein viel diskutiertes Problem in Haiti. Ausländische Medien berichteten über eine "Vergewaltigungsepidemie" in den Notunterkünften in der Hauptstadt Port-au-Prince, in denen Menschen leben, die ihr Dach über dem Kopf verloren haben.


Zahlreiche Frauen in Notunterkünften attackiert

Aus einer 2012 durchgeführten Studie eines Bündnisses von Rechtshilfe- und Frauengruppen geht hervor, dass in 14 Prozent der durch das Beben obdachlos gewordenen Familien mindestens ein Mitglied sexuell angegriffen worden ist.

Bevölkerung, Polizei und Anwälte versuchen die Gewalt an der Wurzel zu bekämpfen. In mehreren Zeltstädten haben Vertriebene Brigaden gegründet, um die Bewohner der Camps gegen Bedrohungen, auch durch Vergewaltiger zu schützen. Laut einem Bericht des unabhängigen Bündnisses 'Poto Fanm+Fi' können diese Brigaden aufgrund ihrer engen Bindungen an die Bevölkerung in der Regel effizienter als die Patrouillen der UN-Blauhelme gegen sexuelle Übergriffe vorgehen.

In den Polizeiwachen in allen Teilen der Hauptstadt seien jetzt Beamte im Einsatz, die auf den Umgang mit weiblichen Vergewaltigungsopfern geschult seien, sagte Marie Gauthier, die Koordinatorin der haitianischen Polizei für Frauenangelegenheiten. "Wir brauchen aber noch mehr Fahrzeuge, um die Täter rasch fassen zu können."

Opfer sexueller Gewalt wenden sich häufig an die Frauenorganisation KOFAVIV um moralische und humanitäre Unterstützung. Das Beben hat jedoch den Hauptsitz der Gruppe zerstört, und die Gründerinnen mussten ebenfalls in eine Zeltstadt ausweichen. Da KOFAVIV auch weiterhin von internationalen Gebern unterstützt wird, konnte die Organisation ein neues Büro beziehen und ihre Programme ausweiten. Aus allen Vierteln von Port-au-Prince kommen Frauen zum alle zwei Wochen stattfindenden Erfahrungsaustausch.

Nach Angaben von Anwälten des 'Bureaus des Avocats Internationaux' (BAI), einer bekannten Kanzlei in Haiti, werden an den Gerichten mehr Vergewaltigungsprozesse als früher verhandelt. Fast ein Viertel aller im vergangenen Sommer in Port-au-Prince eröffneten Strafverfahren stand im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen. 13 Vergewaltiger sind bislang verurteilt worden, die meisten von ihnen zu der höchstmöglichen Haftstrafe. Im Herbst wurde gegen weitere Personen Anklage erhoben.


Opfer werden vor Gericht mehr respektiert

"Das ist sehr bedeutsam, wenn man bedenkt, dass noch vor zehn Jahren solche Fälle kaum vor Gericht kamen", sagte Nicole Phillips vom BAI. Sie bezeichnete die Strafverfolgung und die Reformen als "enormen Schritt vorwärts".

Früher verlangten Richter von den Opfern als Beweise ärztliche Atteste, die binnen 48 und 72 Stunden nach der Vergewaltigung ausgestellt sein mussten. Den meisten Frauen war dies jedoch nicht möglich - aus Angst vor Stigmatisierung, wegen des Schocks und auch wegen oftmals hoher Kosten. Phillips hob positiv hervor, dass die Gerichte sich nun eher auf Zeugenaussagen von Medizinern stützten. Dennoch gibt es weiterhin viele Frauen in dem Land, die in ihrer Not nirgendwo Gehör finden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.ohchr.org/EN/Issues/Women/SRWomen/Pages/SRWomenIndex.aspx
http://www.potofanm.org/
http://kofaviv.blogspot.de/
http://www.ipsnews.net/2013/03/haiti-moves-to-tighten-laws-on-sexual-violence/

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IPS-Tagesdienst vom 11. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2013