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FRAUEN/487: Indien - Kein Schutz für Vergewaltigungsopfer, Reform der Polizei gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Mai 2013

Indien: Kein Schutz für Vergewaltigungsopfer - Reform der Polizei gefordert

von Ranjit Devraj


Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Proteste gegen Vergewaltigungen
Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Neu-Delhi, 10. Mai (IPS) - In Indien hat das brutale Vorgehen der indischen Polizei bei landesweiten Protesten gegen die jüngste Vergewaltigungswelle Empörung ausgelöst. Kritiker fordern die längst überfällige Reform einer Institution, die sich Methoden aus der britischen Kolonialherrschaft bedient.

Richter am Obersten Gerichtshof, empört über die Gewalt der Polizei gegen Frauen in Neu-Delhi und den nördlich gelegenen Bundesstaaten, verlangten im April Auskunft darüber, wie weit die vor sechs Jahren von dem Tribunal beschlossene Reform der Sicherheitskräfte gediehen sei.

"Kein Tier würde sich so verhalten, wie es die Polizei täglich in unterschiedlichen Landesteilen tut", protestierten die Richter. Sie bezogen sich unter anderem auf die Misshandlung einer 65-jährigen Frau, die sich an einer Demonstration gegen Vergewaltigungen im Staat Uttar Pradesh beteiligt hatte. "Wie können die Beamten eine unbewaffnete Frau schlagen?"

Der vorsitzende Richter G. S. Singhvi verwies ferner auf den Übergriff eines Polizisten, der eine junge Frau während Protesten am 19. April vor einem Krankenhaus der Hauptstadt ins Gesicht geschlagen hatte. In dem Hospital war zu dem Zeitpunkt ein fünfjähriges Mädchen wegen schwerer Verletzungen infolge einer Vergewaltigung behandelt worden.

"Die Polizei kann nur wenig tun, um Verbrechen wie Vergewaltigungen einzudämmen. Sie sollte aber danach beurteilt werden, wie sie auf solche Straftaten reagiert", sagte Jyotiswaroop Pandey, der im vergangenen Jahr von seinem Amt als Generaldirektor der Polizei im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand zurückgetreten war. Zurzeit ist er Mitglied der Kommission für Polizeireformen.

Pandey zufolge war es völlig "inakzeptabel", dass die Sicherheitskräfte am 16. Dezember 2012 nicht auf Beschwerden gegen das Verhalten eines Busfahrers reagierten. Stunden später hat derselbe Busfahrer mit anderen Männern eine 23-jährige Studentin so schwer vergewaltigt und misshandelt, dass sie zwei Wochen später an den Verletzungen starb.


Bevölkerung will nichts mit Polizei zu tun haben

Das Opfer und ihr Freund waren nach der Tat aus dem Bus geworfen worden. Nackt und blutüberströmt lagen sie fast eine Stunde lang am Rand einer vielbefahrenen Straße in Neu-Delhi. Niemand half den Opfern aus Angst vor einer langwierigen Auseinandersetzung mit der Polizei. Mehrere Stunden später wurden die Täter gefasst.

Doch das Verbrechen löste landesweit Proteste aus und veranlasste die Regierung, die junge Frau zur Behandlung ihrer Verletzung nach Singapur zu bringen, wo sie am 29. Dezember an den Folgen der Misshandlungen starb. In Neu-Delhi ging die Polizei derweil mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten in Parlamentsnähe vor. Zahlreiche Menschen wurden festgenommen.

Pandey beschuldigte die Beamten, "ihre vordringliche Aufgabe vergessen" zu haben. Sie seien dazu da, für Recht und Ordnung zu sorgen anstatt gewalttätig zu werden oder Spannungen weiter zu schüren, erklärte er.

Frauen- und Menschenrechtsaktivisten beunruhigt aber nicht nur die Gewalt, mit der die Sicherheitskräfte gegen Demonstranten vorgehen, sondern auch deren Umgang mit Vergewaltigungsopfern auf Polizeiwachen. Viele weigern sich, Anzeigen aufzunehmen.

Im Dezember brachte sich eine Frau, die von mehreren Männern im Staat Punjab vergewaltigt worden war, mit Gift ums Leben. In ihrem Abschiedsbrief warf sie der Polizei vor, ihr nicht geholfen, sondern sie eingeschüchtert zu haben. Kurz nach dem Verbrechen hatte das Opfer sogar noch im Fernsehen beschrieben, was ihr angetan worden war. Die Polizei reagierte immer noch nicht. Selbst nach dem Suizid musste das Hohe Gericht von Punjab einschreiten, bevor die Behörden drei Polizisten entließen und Ermittlungen gegen sie einleiteten.

Die Menschenrechtsorganisation 'Commonwealth Human Rights Initiative' (CHRI) äußerte am 23. April in einer Mitteilung ihre "ernsthafte Sorge über die anhaltende Reaktionslosigkeit gegenüber Vergewaltigungsopfern". CHRI verwies auf den Fall eines fünfjährigen Mädchens, das im April in Neu-Delhi entführt und vergewaltigt worden war. Statt eine Vermisstenmeldung aufzunehmen, habe die Polizei die verzweifelten Eltern weggeschickt. Beamte hätten der Familie sogar Schmiergeld geboten, damit sie den Fall nicht in die Medien brächten.


Neues Gesetz könnte Makulatur bleiben

Selbst ein neues Gesetz, nach dem Polizisten, die eine Vergewaltigung nicht zur Anzeige bringen, zwei Jahre Haft drohen, habe offenbar nichts bewirkt, kritisierte CHRI-Direktorin Maja Daruwala. Das in Absprache mit der Zivilgesellschaft entworfene Gesetz war am 20. März vom Parlament gebilligt worden. Es berücksichtigt die aktuelle Diskussion über die Benachteiligung der Frau und patriarchalische Sichtweisen, wie sie im indischen Strafrecht fortbestehen, das 1860 unter der britischen Herrschaft eingeführt worden war.

Daruwala befürchtet, dass Gesetzesänderungen wenig bewirken werden, solange die Polizei an ihren "subversiven Praktiken" festhalte. Viskash Narain Rai, ein früherer Polizei-Generaldirektor im nördlichen Unionsstaat Haryana hält einen Erfolg der Reformen nur dann für möglich, wenn sie von Justiz- und Gefängnisreformen begleitet werden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.humanrightsinitiative.org/
http://www.ipsnews.net/2013/05/rape-cases-highlight-colonial-police-practices/

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IPS-Tagesdienst vom 10. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2013