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FRAUEN/506: Bangladesch - Mädchen machen Front gegen Frühehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juli 2013

Bangladesch: Mädchen machen Front gegen Frühehen - Hilfe von Gleichaltrigen und Organisationen

von Naimul Haq


Bild: © Naimul Haq/IPS

Als 13-jährige hat sie sich den Heiratsplänen der Familie widersetzt - Shirin Aktar mit ihrer Mutter Bild: © Naimul Haq/IPS

Rangpur, Bangladesh, 8. Juli (IPS) - Shirin Aktar hätte mit 13 heiraten sollen. Doch die älteste Tochter einer armen konservativen Familie aus dem Bezirk Rangpur hatte andere Pläne, die sie mit Hilfe von Gleichaltrigen und Kinderrechtsorganisationen durchsetzen konnte.

Nach ihren Wünschen sei sie damals, vor fünf Jahren, gar nicht erst gefragt worden, erzählt die heute 18-Jährige. Ihr Vater war damals ohne festen Job, und die Familie besaß kein eigenes Haus. Als ein 31- jähriger Vetter um ihre Hand anhielt, waren die Eltern sofort bereit, das Mädchen dem wohlhabenden Geschäftsmann zur Frau zu geben.

Doch Shirin spielte nicht mit. Entschlossen, ihre Schulausbildung zu Ende zu bringen, holte sie sich Hilfe von den 'Child Journalists', einer Gruppe von Mädchen und Jungen, die sich für Kinderrechte einsetzen.

Wie Shirin in Arajemon, ihrem Heimatdorf rund 370 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Dhaka, berichtet, hatte sie das Leid vieler Freundinnen und Verwandter abgeschreckt, die verschiedenen Formen der häuslichen Gewalt von Seiten der Schwiegereltern und die schwere Arbeit, die sie verrichten mussten. "Ich wusste immer: So will ich nicht enden", sagt sie. Doch den Eltern zu trotzen, kostete sie viel Kraft und Mut - und die Unterstützung von Gleichaltrigen.


Mobilisierung von Unterstützern

"Obwohl uns durchaus klar war, dass die Einmischung in die Angelegenheiten Erwachsener Konsequenzen haben könnte, fanden wir, dass das, was Shirins Eltern vorhatten, Unrecht war", erinnert sich Reza, der Leiter der Child Journalists. "Wir mussten ihr einfach helfen."

Die jungen Leute wandten sich an die Dorfältesten, einflussreiche Wissenschaftler und lokale Geschäftsleute, die sich dazu bereit erklärten, mit Shirins Eltern zu reden.

Doch ohne 'Kishori Abhijan', einer Initiative der bangladeschischen Sektion des Weltkinderhilfswerks UNICEF zur Stärkung der Rechte von Kindern, wären sie nicht weit gekommen. Das Programm unterstützt junge Mädchen dabei, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Das 2001 gestartete Projekt reagiert auf die erschreckend hohe Zahl von Kinderehen in dem 150 Millionen Einwohner zählenden Land und hat bis heute nicht an Relevanz verloren.

Angesichts einer Armut, die ein Drittel der Bevölkerung dazu zwingt, mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auszukommen, ist es kein Wunder, dass sich viele Familien um eine gute Partie für ihre Töchter bemühen, die sie als einen Ausweg aus der sozialen Misere sehen. Einen passenden Mann zu finden, bedeutet nicht nur einen Esser weniger, sondern auch die Aussicht auf finanzielle Hilfe des angeheirateten Mannes.

Trotz der viel versprechend hohen Mädcheneinschulungsraten, dem bemerkenswerten Rückgang der Fruchtbarkeitsrate und der größeren Freiheiten, die junge Frauen inzwischen genießen, sind Kinderehen in Bangladesch nach wie vor verbreitet. Neuen Forschungsergebnissen zufolge sind 68 Prozent aller Frauen zwischen 20 und 24 Jahren seit mehr als zwei beziehungsweise sechs Jahren verheiratet. Andere Studien belegen, dass eine große Mehrheit der Betroffenen vor deren 16. Geburtstag verheiratet worden sind.

Nach offiziellen Angaben werden mehr als 50 Prozent der auf 13,7 Millionen geschätzten bangladeschischen Teenager vor ihrem 19. Lebensjahr Mutter.

In den ländlichen Gebieten, in denen die Armut noch viel verbreiteter ist als in den Städten, gelten Mädchen mit Einsetzen ihrer Pubertät als heiratsfähig. Das bedeutet, dass bereits 13- oder 14-Jährige verheiratet werden.

In der Hoffnung, den Brautpreis zu drücken und die Töchter vor sexueller Belästigung zu schützen, denken arme Familien nicht lange nach, wenn sich Ehekandidaten auftun. Dass sie häufig viel älter sind als die Frauen, die sie heiraten wollen, spielt keine Rolle.

Kinderrechtsaktivisten zufolge sind Kinderehen nicht nur ein soziales Problem, sondern gefährden zudem die Gesundheit der betroffenen Mädchen. In einem Land, in dem 80 Prozent der Geburten in Abwesenheit von ausgebildeten medizinischen Kräften zu Hause stattfinden, sind Komplikationen vor, während und nach der Entbindung häufig.

Frühehen sind ein entscheidender Faktor für die hohe Müttersterblichkeitsrate in Bangladesch von 320 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten. In Deutschland liegt die Rate bei ungefähr fünf pro 100.000.

Doch scheinen sich die Bemühungen einheimischer Gruppen in Verbindung mit internationalen Organisationen langsam aber sicher auszuzahlen. So finden sich in den Gesprächskreisen der als 'Kishori'-Clubs bekannten Selbsthilfegruppen alle zwei Wochen an die 30 junge Leuten zusammen, um über Themen wie reproduktive Gesundheit, gesunde Ernährung und Gewalt gegen Frauen zu sprechen.


Ausbildungskurse

Die von UNICEF geschulten Gruppenleiter organisieren Kurse, in denen junge Frauen zu Näherinnen, Töpferinnen oder Geflügelzüchterinnen ausgebildet werden. Mit Hilfe solcher Fähigkeiten sollen sie sich ein Auskommen sichern.

Die Kishori-Clubs arbeiten mit Graswurzelorganisationen wie dem 'Centre for Mass Education in Science' (CMES) zusammen, die in landesweit hunderten Unterbezirken Computer-, Tischler- und andere Kurse anbieten. Die Jugendverbände agieren zudem als Koordinationsstellen für Aufklärungskampagnen, die junge Leute und ganze Gemeinschaften über die Folgen von Kinderehen informieren.

Shirins Geschichte zeigt im Grunde den Einfluss dieser lokalen Gruppen. Als ihr Vater sie wegen der Trauung zum Standesbeamten schleppte, verlangte dieser Einsicht in die Geburtsurkunde des Mädchens. Das ist ein relativ neues Verhalten gegenüber Zeiten, in denen die Beamten keine Miene verzogen, wenn sich Eltern mit ihren minderjährigen Töchtern bei den Standesämtern einstellten.

Doch die Gegner von Kinderehen sind sich durchaus im Klaren, dass Bildung allein nicht ausreicht, um ein Umdenken zu bewirken. Entscheidend ist, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der armen Familien ändern.

Wie Rose-Anne Papavero, die Kinderschutzbeauftragte von UNICEF in Bangladesch, gegenüber IPS berichtete, arbeitet das UN-Kinderhilfswerk mit der Regierung an einem Plan, der Hilfszahlungen für arme Familien - 472 US-Dollar jährlich - vorsieht, die sich bereit erklären, halbwüchsige Töchter nicht zu verheiraten. Auch soll auf diese Weise Kinderarbeit und der Misshandlung von Kindern vorgebeugt werden.

Die vielen Bemühungen in diesem Bereich zeigen Wirkung. Eine bangladeschische Demografiestudie von 2007 dokumentiert eine Erhöhung des Heiratsalters in den letzten 25 Jahren. Lag das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen, die auf die 50 zugehen, noch bei 14 Jahren, wurden die Anfang Zwanzigjährigen durchschnittlich im Alter von 16,4 Jahren verheiratet. (Ende/IPS/kb/2013)

Links:
http://www.un-bd.org/pub/unpubs/KA_Highlights-LR-2007.pdf
http://www.popcouncil.org/pdfs/TABriefs/13_KishoriAbhijan.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/07/girls-fight-back-against-child-marriage/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2013