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FRAUEN/513: Pakistan - Säureangriffe gegen Frauen nehmen trotz verschärfter Gesetze weiter zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. August 2013

Pakistan: Säureangriffe gegen Frauen nehmen trotz verschärfter Gesetze weiter zu

von Zofeen Ebrahim


Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Das 26-jährige Säureopfer Ruqqaiya Perween
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Karachi, 7. August (IPS) - Vor fünf Monaten kam die 26-jährige Pakistanerin Ruqqaiya Perween mit schweren Verätzungen in das Zentrum für Verbrennungsopfer des Stadtkrankenhauses von Karachi. 22 Prozent ihres Gesichts und Oberkörpers sind von der Säure zerfressen, die ihr ihr Mann im Schlaf ins Gesicht geschüttet hatte.

"So sah ich vorher aus", sagt Perween, Mutter von vier Kindern, während sie ein Foto einer lächelnden und gesunden jungen Frau zeigt. "Ich glaube, es wird nie wieder so werden wie früher. Ich bete zu Gott, dass ich wenigstens für meine Kinder sorgen kann. Sonst möchte ich nicht mehr leben."

Zwölf Jahre lang sei sie mit Asghar Maulvi Bukhsh verheiratet gewesen. Seitdem habe sie keinen Tag mehr in Frieden gelebt, berichtet sie. "Er, der während unserer gesamten Ehe keiner Arbeit nachging, hat mich regelmäßig verprügelt, denn er wollte das Geld, das ich als Haushaltshilfe verdiente. Doch das, was ich verdiente, war so wenig, dass ich damit kaum die Kinder sattkriegen konnte", erzählt sie.


Neues Gesetz sieht scharfe Haftstrafen vor

Seit 2011 müssen Säureattentäter in Pakistan zwar mit Haft zwischen 14 Jahren und lebenslänglich sowie mit Geldstrafen bis umgerechnet 10.000 US-Dollar rechnen. Dennoch beobachten Menschenrechtsaktivisten eine Zunahme der Säureattentate auf Frauen.

Wie aus einem Bericht der Aurat-Stiftung (AF) hervorgeht, wurden im letzten Jahr zwar generell zwölf Prozent weniger Fälle von Gewalt gegen Frauen gemeldet. Doch die Zahl der zur Anzeige gebrachten Säureangriffe nahm um 89 Prozent zu. Bei der häuslichen Gewalt verbuchte die Frauenorganisationen einen Zuwachs um 62 Prozent, bei Verbrennungen um 33 Prozent und bei Morden um elf Prozent.

"Säureangriffe sind die einfachste Art, Gewalt auszuüben", sagt Maliha Zia von AF. "Die Säure ist ohne Probleme in Geschäften erhältlich, und Täter fürchten keine Bestrafung." Viele Aktivisten haben die Regierung bereits aufgefordert, den Verkauf konzentrierter Säure stärker zu kontrollieren. Zia weist darauf hin, dass ein entsprechender Passus vor der Verabschiedung der Gesetzesänderungen gestrichen worden wurde.

In Pakistan wird über solche Angriffe inzwischen aber häufiger in der Öffentlichkeit gesprochen, vor allem seit der pakistanische Film 'Saving Face' 2012 einen Oscar gewonnen hat. Zia befürchtet, dass diese Diskussion manche Männer überhaupt erst auf den Gedanken zu einer solchen Tat gebracht hätte.

Die Statistiken vermitteln allerdings kein vollständiges Bild der Lage. Nicht alle Fälle werden angezeigt, und nicht alle Frauen schaffen es bis in ein Krankenhaus. Die in Islamabad ansässige Stiftung für Überlebende von Säureattentaten (ASF) berichtet, dass in den vergangenen sieben Monaten mehr als 65 solcher Fälle in ganz Pakistan bekannt geworden sind. 2012 sammelte die Stiftung Informationen über 111 solcher Attacken. Quellen sind unter anderem Nichtregierungsorganisationen, Überlebende und deren Familien, die Polizei und staatliche Krankenhäuser.

Den Untersuchungen zufolge sind 70 Prozent der Säureopfer weiblich, und etwa 60 Prozent der Angriffe ereignen sich im Verlauf familiärer Streitigkeiten. "Die Gesetze hier in Pakistan sind sehr gut", erklärt Dabir-ur-Rehman von der Patientenhilfsorganisation Freunde des Zentrums für Verbrennungsopfer. Dennoch habe er in den vergangenen zwölf Jahren nicht erlebt, dass auch nur ein einziger Täter verurteilt worden sei.


Die meisten Täter nicht verurteilt

Valerie Khan von ASF hat dagegen festgestellt, dass sich die Zahl der Verurteilten 2012 nach einer Gesetzesänderung von sechs auf 18 Prozent verdreifacht hat. "Das ist schon eine Verbesserung. Andererseits bedeutet das auch, dass mehr als 80 Prozent der Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden."

Khan hält es daher für dringend notwendig, dass die Einhaltung der Gesetze stärker überwacht wird. Die Gesetzesänderung sei ein guter erster Schritt gewesen, reiche aber allein nicht aus. Die Stiftung setzt sich nun für ein umfassenderes Gesetz zur Ahndung von Säureangriffen ein, das noch verabschiedet werden muss.

Zia sieht auch die Medien in der Pflicht. Sie sollten nicht nur über die Verbrechen berichten, sondern auch über Verurteilungen der Täter, fordert sie. Nur so könne eine Strafe auch eine abschreckende Wirkung haben.

Zohra Yusuf von der unabhängigen Pakistanischen Menschenrechtskommission erklärt die geringe Zahl der Verurteilungen damit, dass die Ermittlungen nach den meisten Säureangriffen so schlecht geführt werden, dass die Verdächtigen am Ende freigesprochen werden. Darüber hinaus würden die Opfer bedroht.

Fakhra Younus, die als Überlebende einer Säureattacke vor 13 Jahren internationales Medieninteresse fand, kam nie zu ihrem Recht, weil ihr Peiniger Bilal Khar aus einer politisch einflussreichen Familie kommt. Nachdem sie mehr als drei Dutzend Operationen über sich ergehen lassen musste, nahm sie sich im vergangenen Jahr das Leben. Khar wurde bis heute nicht zur Verantwortung gezogen.

Perweens Mann, der sich immer noch auf freiem Fuß befindet, versucht sein Opfer mundtot zu machen. Er ruft jeden Tag an und droht damit, die jüngere Schwester seiner Frau mit Säure zu übergießen, sollte Perween ihre Anschuldigen gegen ihn nicht fallen lassen. Doch dazu ist sie nicht bereit: "Komme, was wolle, ich werde auf keinen Fall einen Rückzieher machen." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://savingfacefilm.com/
http://www.af.org.pk/
http://acidsurvivorspakistan.org/
http://www.ipsnews.net/2013/08/despite-stiffer-penalties-acid-attacks-continue/

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IPS-Tagesdienst vom 7. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2013