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FRAUEN/550: Kuba - Die Pflege von Senioren wird vor allem für Frauen zur Belastungsprobe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. August 2014

Kuba: Die Pflege von Senioren wird vor allem für Frauen zur Belastungsprobe

von Patricia Grogg


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Frauen kaufen auf einem Markt im Stadtteil Playa in Havanna ein
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna, 18. August (IPS) - Hortensia Ramírez müsste eigentlich zehn Hände haben: Sie kümmert sich nicht nur um den eigenen Haushalt, sondern auch um ihre pflegebedürftige Mutter. Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, stellt sie zu Hause Pralinen her, die sie später verkauft.

Ihr Tag beginnt morgens bereits um sechs Uhr. Zunächst kümmert sie sich um ihre Mutter, die frische Wäsche braucht. Dann bereitet sie zum einen den Teig für die Pralinen vor, zum anderen das Mittagessen für ihre zwei Kinder, die noch studieren.

Eigentlich ist Ramírez Krankenschwester und hat sich zuletzt um Patienten mit Arteriosklerose gekümmert. "Vor zwei Jahren habe ich den Beruf aufgegeben", erzählt die 57-Jährige. "Meine Mutter kann einfach nicht mehr alleine zu Hause bleiben. Zum Glück hilft mir mein Bruder finanziell aus." Vom Vater ihrer Kinder lebt Ramírez mittlerweile getrennt.

"Ich bin den ganzen Tag mit der Pflege meiner Mutter beschäftigt. Aber irgendwie muss auch Geld reinkommen. Die Medikamente werden immer teurer, und nun braucht meine Mutter auch noch Windeln." Durch die Pralinen könne sie wenigstens ein bisschen Geld verdienen. Abends falle sie dann völlig erschöpft ins Bett.


Dreifachbelastung überfordert Frauen

Viele Frauen in Kuba sind mit der Doppel- oder sogar Dreifachbelastung überfordert. Von ihnen wird nicht nur erwartet, dass sie - oft neben einem Job - sich um den Haushalt und die Familie kümmern. In der Regel fällt den Frauen die Pflege ihrer Angehörigen zu: laut kubanischem Statistikamt zu 92 Prozent.

Die Reformen, die Präsident Raúl Castro im Jahr 2008 auf den Weg brachte, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Produktivität zu erhöhen, kommen bei den Frauen häufig nicht an - denn nicht nur Ramírez musste ihren Beruf aufgeben, um sich um die alte Mutter zu kümmern. Vielen Frauen geht es ähnlich.

Hinzu kommt, dass Castro es bisher versäumt hat, die Reformen mit einer Anhebung der Löhne zu paaren. Und während der monatliche Durchschnittslohn bei 20 US-Dollar liegt, gibt eine Familie für Wohnung und Essen pro Monat in der Regel das Dreifache aus. Staatliche Unterstützung ist in diese Zahl noch nicht einmal einberechnet.

Gleichzeitig wurden die Sozialleistungen immer weiter zurückgefahren. Viele günstige oder gar kostenlose Kantinen für Arbeiter wurden geschlossen und schließlich auch die Leistungen der Sozialhilfe kräftig gestutzt. Für letztere hatte der Staat 2008 noch umgerechnet 656,2 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Dem Statistikamt zufolge waren es 2013 nur noch 262,9 Millionen. Auch gibt es weniger berufsbegleitende Schulen, in denen Kinder schon während der Schulzeit einen Beruf lernen.

"Der Staat hat in den vergangenen Jahren einen Teil der Pflege- und Gesundheitsleistungen sowie einen Teil der Ausbildung zurück in die Familien gegeben", so die Wirtschaftswissenschaftlerin Teresa Lara gegenüber IPS. Leidtragende sind meist die Frauen, die diese Aufgaben traditionell übernehmen. Doch früher oder später wirke sich das negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. "Wenn der Staat nicht dafür sorgt, dass es Kantinen gibt, in denen für die Arbeiter gekocht wird, wenn er sich aus dem Bildungssektor zurückzieht und schließlich die Pflege alter Menschen an die Frauen abschiebt, dann sinkt auf Dauer die Erwerbsbevölkerung", so Lara.


Arbeit im Haushalt ist unsichtbar

Die häusliche Mehrarbeit bleibt in der Regel unsichtbar. Wertschätzung für das Kochen, Putzen und Kinderhüten bleibt meist aus. Und das, obwohl nach der bisher einzigen Untersuchung zum Thema, die das Nationale Statistikamt 2002 durchführen ließ, die befragten Frauen angaben, 71 Prozent ihrer täglichen Arbeitszeit in den privaten Haushalt zu stecken. Die Untersuchung ließ darüber hinaus schlussfolgern, dass pro 100 Arbeitsstunden, die Männer tätigen, Frauen 120 Stunden arbeiten. Expertinnen auf dem Gebiet schätzen, dass diese Zahlen heute noch immer gelten.

Lara schätzt, dass Hausarbeit und Pflege zusammen - Arbeit, die sich nicht im Bruttoinlandsprodukt widerspiegelt - rund 20 Prozent der gesamten Arbeitsstunden ausmachen. Damit übersteigen diese Arbeiten sogar die produzierende Industrie.

Und immer häufiger schaffen die Frauen nur entweder Job oder Haushalt und Pflege. Laut Statistikamt waren im Jahr 2008 lediglich zwei Prozent der Frauen arbeitslos. 2013 waren es bereits 3,5 Prozent. Weil der Staat zwecks Bürokratieabbau Arbeitsplätze streicht, kann mittelfristig eine Million weitere Arbeitslose hinzukommen.

Für die Soziologin Magela Romero ist die Pflegearbeit ein Kampffeld zwischen den Geschlechtern. Hier zeige sich ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen, das sich insgesamt negativ auf die Gesundheit, finanzielle Situation und das emotionale Gleichgewicht der Frauen auswirke. Und die Zukunft sieht schwarz aus: Die Bevölkerung altert. Schon jetzt sind 18 Prozent der Kubaner älter als 60 Jahre.

Auch Adriana Díaz hat wegen der Pflege ihrer Mutter ihren Job an den Nagel gehängt. "Erst wurde ich schwanger. Statt zu arbeiten, kümmerte ich mich jahrelang um die Kinder. Dann ließ ich mich scheiden und nahm einen Job an. Die vier Jahre waren die besten meines Lebens. Doch als meine Mutter schwer krank wurde, habe ich den Job wieder aufgegeben und kümmere mich nun hauptsächlich um sie."

Seit neun Jahren pflegt die 54-Jährige nun schon die alte Frau. Weil sie ihre Mutter ständig heben muss, hatte sie bereits einen Bandscheibenvorfall. Neuerdings kommt auch eine Herzinsuffizienz hinzu, mit der Adriana Díaz zu kämpfen hat. Finanziell ist sie vollkommen abhängig von ihren Kindern, die im Ausland leben. (Ende/IPS/jt/2014)


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http://www.ipsnoticias.net/2014/08/las-tareas-del-cuidado-aumentan-como-carga-para-las-cubanas/

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IPS-Tagesdienst vom 18. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2014