Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAUEN/626: Aufzieh-Aktivismus - Lasst euch nicht instrumentalisieren (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 135, 1/16

Aufzieh-Aktivismus
Lasst euch nicht instrumentalisieren

Von Jasna Strick


Zu den Übergriffen in der Silvesternacht, die sich in Köln und anderen deutschen Städten ereigneten, wurde medial erschöpfend berichtet. Was dabei auffällt: Das Thema ist spannend, sobald die Täter_innen als eine Gruppe der vermeintlich "Anderen" definiert werden können. Feminist_innen sollten sich hier aber nicht gemein machen mit einer Debatte, die vor allem rassistisch geführt wird.


"Aber ist es nicht schön, dass nun endlich über Frauenrechte geredet wird?" - diese Frage bekam ich in den letzten Wochen häufiger gestellt. In der Silvesternacht wurde in Köln und anderen deutschen Städten eine Vielzahl Frauen belästigt. Zahlreiche sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung wurden gemeldet. Erst als bereits die erste Arbeitswoche des neuen Jahres begonnen hatte, schafften es die ersten Meldungen über diese Taten in die überregionalen Medien. Unheimlich schnell entzündete sich an den Ereignissen ein neues Kapitel der eh schon heiß geführten Debatte um Geflüchtete. Denn obwohl zum Tathergang in der Silvesternacht noch kaum etwas bekannt war, stand in der Öffentlichkeit schon fest, dass es sich bei den Tätern um "arabisch" oder "nordafrikanisch" aussehende Einwanderer gehandelt hätte. Was ich gleich bemerkte: Trotz der unklaren Faktenlage wurde an keiner Stelle die Aussage der betroffenen Frauen in Zweifel gezogen. Das würde ich mir immer so wünschen. Normalerweise gehen Fälle von sexualisierter Gewalt in den Medien immer damit einher, dass die Tat an sich in Zweifel gezogen und den Opfern zumindest eine Mitschuld gegeben wird. Das verstärkt sich noch, wenn es sich beim Täter um einen prominenten (weißen) Mann handelt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Nacht vor drei Jahren, in der wir auf Twitter den Hashtag #aufschrei(1) starteten und tausende Menschen öffentlich über sexualisierte Gewalt und Alltagssexismus berichteten. Schon nach den ersten Tweets bekamen wir die ersten Nachrichten, in denen behauptet wurde, wir würden uns die Taten nur ausdenken. Das setzte sich die folgenden Monate im Meinungsjournalismus fort: Probleme mit Sexismus? So etwas gäbe es in Deutschland nicht. Und außerdem müssten wir nur mal die Bluse zumachen, dann würde uns auch nichts passieren.

Die gleichen Leute, die solche Aussagen trafen, schrieben mir noch bevor ich Gelegenheit hatte, die Nachrichten zu lesen und in Erfahrung zu bringen, um was es in Köln genau ging, ich solle gefälligst Stellung zu den schrecklichen Taten nehmen. Ich sei doch Feministin und demnach sozusagen verpflichtet, das anzuprangern. Ich bin aber keine Aufzieh-Aktivistin. Ich glaube auch nicht daran, dass Deutschland über Nacht ein feministisches Land geworden ist. Ich beobachte vielmehr sehr genau, dass die gleichen Leute, die nun den Anspruch an Feminist_innen stellen, sich zu Köln zu äußern, diejenigen sind, die sexualisierte Gewalt gewöhnlich nicht als Problem betrachten und Feminismus eher gering schätzen.


Feministische Erweckung?

Natürlich ist es gut, dass nun über sexualisierte Gewalt gesprochen wird, aber als Feminist_innen müssen wir aufpassen, mit wem wir uns gemein machen. Feminismus und Antirassismus dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Wir können keine Debatte um sexualisierte Gewalt auf dem Rücken von Männern of Color führen, die nun verstäkt rassistischen Vorurteilen und auch Gewalt ausgesetzt sind. Wir dürfen keine Debatte führen, in der die Perspektive von Frauen of Color gar nicht vorkommt. Dass die "fremden Kulturen", denen nicht nur die Männer, sondern auch die nichtweißen Frauen angehören, Mitschuld tragen an sexualisierter Gewalt - wie wirkt sich das denn aus, wenn nichtweiße Frauen Übergriffe anzeigen möchten?

Es reicht nicht, dass über sexualisierte Gewalt gesprochen wird, man muss auch untersuchen: wie, von wem und wann? Sexualisierte Gewalt ist kein Novum in Mitteleuropa und nichts, was mit dem Islam oder Geflüchteten Einzug gehalten hat - auch wenn Rape Culture für deutsche Medien immer noch ein Fremdwort ist. Wenn konservative Politiker_innen, die sich sonst beispielsweise abfällig über die Bemühungen zur rezeptfreien Abgabe der "Pille danach" äußern, einen neuen #aufschrei fordern, dann stinkt da doch was. Dann liegt hier keine Spontanerweckung zum Feminismus vor, sondern da wird der Feminismus vor einen rechten Karren gespannt.

Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt ist feministisches Tagesgeschäft. Nur scheint diese Gewalt derzeit sowohl medial als auch (partei-)politisch nur wirklich spannend, wenn sich damit die Hetze gegen Geflüchtete und Migrant_innen weiter anheizen lässt. Die Täter_innen, das sind immer die vermeintlich "Anderen" und "Fremden". Ein sehr einfacher Mechanismus, um das eigene Verhalten und die eigenen Privilegien als weiß-deutscher Mann nicht reflektieren zu müssen. Und auch ein einfacher Mechanismus, um als Gesellschaft nicht vor der Frage zu stehen: Haben wir eigentlich ein grundsätzliches Problem? Wir haben - dafür sprechen die Zahlen zu sexualisierter Gewalt, die Übergriffe, die jeden Tag passieren. Der Einsatz gegen sexualisierte Gewalt muss absolute Priorität haben - egal ob jemand am Kölner Hauptbahnhof, auf dem Sommerfest der Firma oder im eigenen Zuhause zum Opfer wird. Egal ob der Täter ein weißer Mann aus dem Aufsichtsrat einer wichtigen Firma ist oder ein schwarzer Geflüchteter. Egal ob das Opfer ein trans Zimmermädchen mit Migrationshintergrund ist oder eine berühmte weiße Schauspielerin. Der Kampf gegen Sexismus und der Kampf gegen Rassismus dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Nutzen wir die Chance, den Medien den Spiegel vorzuhalten: Wie wird über sexualisierte Gewalt berichtet? Wann wird den Opfern geglaubt, wann den Tätern? Wann wird auf feministische Themen aufgesprungen, um eine ganz andere Agenda nach vorne zu bringen? Und natürlich müssen wir endlich analysieren, wie es überhaupt zu Gewalt kommt, wie mit Täter_innen umgegangen werden muss und wie den Opfern am besten zu helfen ist. Lösungsvorschläge haben Feminist_innen schon lange in der Schublade liegen.

Den Massenmedien, den konservativen Feuilletonist_innen und rechts offenen Politiker_innen sind die Opfer sexualisierter Gewalt vielleicht schon nächste Woche wieder egal. Aber für uns als Feminist_innen bleibt das Thema Kerngeschäft - immer, überall, ausnahmslos.


ANMERKUNG:
(1) 2013 wurde auf Twitter mit dem #aufschrei eine Debatte über Sexismus gestartet. Anlass waren Übergriffe des FDP-Politikers Rainer Brüderle. #aufschrei wurde im Juni 2013 mit dem Grimme Online Award - einer Auszeichnung für publizistische Qualität im Internet - in der Kategorie "Spezial" ausgezeichnet, da noch nie zuvor ein soziales Medium eine derart breite Diskussion ausgelöst hatte.

WEBTIPPS:

ausnahmslos.org
jasnastrick.blogspot.co.at

ZUR AUTORIN:
Jasna Strick ist Autorin und feministische Aktivistin. Sie lebt in Berlin und war nach den Ereignissen in Köln Mitverfasserin des Statements #ausnahmslos.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 135, 1/2016, S. 16-17
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang